Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Syriens Kurden beklagen den „russischen Verrat“
Türkische Armee und verbündete Rebellen setzen Offensive in Afrin trotz internationaler Appelle fort
LIMASSOL - Allen Aufrufen zur Zurückhaltung zum Trotz hat die Türkei ihre Offensive gegen die syrischen Kurden in Afrin unvermindert fortgesetzt. Während sich die türkische Armee am Dienstag weiter heftige Gefechte mit den syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) lieferte, verkündeten die Kurden eine „Generalmobilmachung“zur Verteidigung von Afrin. In der Türkei wurden fast hundert Menschen unter dem Vorwurf der „Terrorpropaganda“festgenommen.
Unermüdlich schwört der türkische Staatschef Recep Tayyib Erdogan Armee und Bevölkerung auf die Ziele der „Operation Olivenzweig“ein, nämlich die Befreiung der syrischen Region Afrin von der „Unterdrückung durch Terroristen“. Gezeigt werden von den Staatsmedien die zur Unterstützung der türkischen Armee eingesetzten syrischen Rebellen. Zu ihren offiziellen Aufgaben gehört auch die Bekämpfung der Terrormiliz „Islamischer Staat“(IS), die es in Afrin freilich niemals gab. Garant dafür war die YPG, deren Sprecher jetzt davor warnen, dass sich „die Geschichte wiederholen könnte“, der „IS“im Schlepptau der türkischen Armee im Norden Syriens wieder Fuß fassen könnte.
Mehr als zwei Jahre lang hatten ISTerroristen die türkisch-syrische Grenze „gesichert“. Erst nachdem die Dschihadisten von der mit amerikanischer Luftunterstützung operierenden YPG vertrieben worden waren, hatten die türkischen Streitkräfte im Sommer 2016 erstmals die Grenze mit Syrien überschritten.
Für das Zustandekommen der „Operation Olivenzweig“macht die YPG den „russischen Verrat“verantwortlich. Zwei Jahre lang seien russische Streitkräfte in Afrin stationiert gewesen, zitiert die Nachrichtenagentur „Firat News“den YPG-Kommandanten Sipan Hemo. Immer wieder habe Moskau betont, dass ohne die Mitwirkung der Kurden keine Lösung in Syrien möglich sei. Mit den Russen seien klare Vereinbarungen getroffen worden, die diese gebrochen hätten. Für Hemo steht daher fest, dass man von den Russen „verkauft wurde“. Russische Diplomaten in Damaskus bestreiten dies. Um die Offensive der Türken abzuwenden, hätte Moskau der YPG die Stationierung von russischen und syrischen Regierungstruppen entlang der türkisch-syrischen Grenze vorgeschlagen. Die kurdischen Städte und Ortschaften hätten weiterhin von kurdischen Bürgerwehren kontrolliert werden können.
Kontrolle über Ölfelder verlangt
Als Gegenleistung für ihr „Entgegenkommen“sollen Moskau und Damaskus die Kontrolle über die von der YPG kontrollierten Ölfelder im Nordosten Syriens verlangt haben, was von den Kurden abgelehnt worden sei. Diese wollen trotz der jüngsten Spannungen am Bündnis mit Washington festhalten und eine spätere Ausbeutung der Ölquellen offenbar US-Konzernen überlassen.
Im Gegensatz zu Russland, das langfristig die vollständige militärische Rückeroberung Syriens durch die Assad-Armee unterstützt, verfolgen die Amerikaner im Bürgerkriegsland ganz andere Ziele: Man will ein Wiedererstarken des IS verhindern und gleichzeitig dem wachsenden iranischen Einfluss in Syrien entgegentreten. Dennoch gestattete Washington der Türkei den Einmarsch nach Nord-Syrien, ohne über die potenziell verheerenden Folgen dieser „Carte blanche“nachzudenken.