Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Auffällige Schüler frühzeitig erkennen
Nach der Messerattacke von Lünen sieht Elternvertreter wenig Sinn in Zugangskontrollen
BAD SAULGAU/OSTRACH/ MENGEN - An der Käthe-Kollwitz-Gesamtschule im westfälischen Lünen hat ein 15-jähriger Schüler einen 14-Jährigen mit einem Messer erstochen. Solche Fälle zu verhindern, ist schwierig. Darüber sind sich die Gesprächspartner aus Schulen in der Region Sigmaringen einig. Es komme darauf an, auffällige Schüler möglichst frühzeitig zu erkennen und ihnen zu helfen.
„Die Schule ist nichts anderes als ein Spiegel der Gesellschaft“, sagt Michael Skuppin, Vorsitzender des Gesamtelternbeirats an den Bad Saulgauer Schulen. Entsprechend könne ein Fall wie der in Lünen nicht allein den Schulen angelastet werden. Gesellschaftliche Probleme würden die Arbeit der Schulen schon heute belasten. „Die Schulen machen jede Menge Präventionsarbeit und Medienerziehung. Sie übernehmen jetzt schon Aufgaben, die nichts mit ihrem ursprünglichen Bildungsauftrag zu tun haben.“
Welche Konsequenzen aus einem solchen Fall gezogen werden, müssten ganz genau durchdacht werden. Eingangskontrollen für die Suche nach Waffen hält er für wenig sinnvoll. „Wir können die Schulen zu Hochsicherheitstrakten umbauen. Was wir dann aber vermitteln ist zweifelhaft, nämlich dass der Mensch dem Menschen ein Wolf ist.“Die Frage sei, ob die Gesellschaft möchte, dass Freiräume weggenommen würden. Ein hundertprozentiger Schutz vor einer solchen Tat sei gar nicht möglich, so Skuppin.
Nicht genau hingeschaut?
„Falls der Täter wirklich in diesem Moment ausgerastet ist und grundlos zugestochen hat, muss bei ihm im Kopf sehr viel früher etwas passiert sein. Da hat irgendjemand schon vorher nicht genau hingeschaut“, meint Skuppin. Und falls ein auffälliger junger Mensch erkannt werde, müsse Hilfe auch schnell verfügbar sein. Es könne nicht sein, dass man für die Hilfe des schulpsychologischen Dienstes erst nach Wochen einen Termin bekomme. Es komme auch auf die entsprechende personelle Ausstattung an: „Schulsozialarbeit und Schulpsychologie sind personell zu wenig stark ausgebaut.“
„Fassungslosigkeit“war die erste Reaktion von Oliver Paul, Schulleiter der Gemeinschaftsschule in Ostrach. Es sei schwierig, gefährdete Schüler im Vorfeld zu erkennen. „Wir können in die einzelnen Schüler nicht hineinsehen.“Warnsignale trotzdem so früh wie möglich zu erkennen, sei Aufgabe von allen Beteiligten, nicht nur der Schule. Das Elternhaus, die schulpsychologische Beratungsstelle und das Jugendamt gehörten ebenfalls dazu. In der Schulordnung der ReinholdFrank-Gemeinschaftsschule sei klar festgelegt, dass Schüler keine Gegenstände mitbringen dürften, die andere Schüler verletzen können. Dazu gehörten unter anderem Messer, aber auch Laserpointer, mit denen Augen geschädigt werden könnten.
Joachim Wolf von der Sonnenluger-Gemeinschaftsschule in Mengen nahm die Nachricht von der schrecklichen Tat in Lünen zum Anlass, mit Mitarbeitern der Schulsozialarbeit in Mengen zu sprechen. An der Sonnenlugerschule gebe es ein Netzwerk, das dafür sorgen soll, dass auffällige Schüler möglichst früh erkannt werden. Bei 952 Schülern an der Gesamtschule in Lünen gebe es einen hohen Grad an Anonymität. Die Sonnenlugerschule zum Vergleich habe 250 Schüler. Wolf: „Wir kennen alle Schüler mit Namen.“Wichtiges Element der Prävention sei der an der Schule angebotene „Sozialbaustein“. Dabei handelt es sich um eine Unterrichtseinheit, in der die Schüler einer Klasse die Möglichkeit haben, darüber zu reden, was ihnen aufgefallen ist. Die Stunden würden bewusst an den Schluss der Unterrichtszeit gelegt, um Raum für Gespräche in einem geschützteren Rahmen zu haben. Wolf: „Der Lehrer hat die Möglichkeit, die Klasse nach Hause zu schicken, und eine Gruppe oder einzelne Schüler bei zusätzlichem Redebedarf da zu behalten“.
Das Team der Schulsozialarbeit an Bad Saulgauer Schulen verweist bei Fragen zu dem Fall in Lünen auf die Schulleitungen als Ansprechpartner. Für die vom Haus Nazareth in Sigmaringen getragene Schulsozialarbeit habe das Thema Gewaltprävention aber einen hohen Stellenwert. An der Grundschule und an den weiterführenden Schulen würden mit verschiedenen Projekten das breite Themenspektrum abgebildet. Schüler haben auch die Möglichkeit, Mitarbeiter bei persönlichen Konflikten zu Rate zu ziehen.