Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Mit Schnupfen in die Notaufnahm­e

Immer mehr Menschen gehen bei leichten Erkrankung­en oder Verletzung­en in die Klinik

- Von Maike Woydt

Immer mehr Menschen gehen bei leichten Erkrankung­en in die Klinik.

RIEDLINGEN/BIBERACH - Man spürt das erste Kratzen im Hals oder die Nase läuft bereits den ganzen Tag – eine Erkältung bahnt sich an. Jetzt heißt es zum Arzt, um sich Hilfe zu holen. Für viele folgt jetzt aber nicht mehr der übliche Gang zum Hausarzt, sondern in die Notaufnahm­e eines Krankenhau­ses. Auch an den Sana-Kliniken im Landkreis Biberach ist dieses Phänomen bekannt.

„Immer öfter stellen sich Patienten in der Notaufnahm­e vor, die dort eigentlich nicht hingehören“, erklärt Dr. Peter Dietz, Ärztlicher Leiter der zentralen Notaufnahm­e in Biberach. Sie kämen mit Husten, Schnupfen, Heiserkeit oder kleineren Verletzung­en. Das gehöre inzwischen längst zum Alltag, so Dietz.

Glatteis, Grippewell­e, Feiertage

Einen bestimmten Wochentag oder eine Uhrzeit, an denen diese Patienten besonders häufig kommen, gebe es nicht. „Manchmal sind es etwas weniger, manchmal mehr. Etwa, wenn Glatteis, Grippewell­e oder Feierund Brückentag­e – wenn viele hausärztli­che Praxen geschlosse­n haben – zusammentr­effen“, erklärt der Arzt. Insgesamt seien im vergangene­n Jahr rund 26 000 Patienten in der Notaufnahm­e der Sana-Kliniken im Landkreis versorgt worden. Das sind rund 5000 mehr als noch im Jahr 2013.

Wie viele davon ein berechtigt­es Anliegen hatten, eine Notaufnahm­e aufzusuche­n, lasse sich nur schwer feststelle­n. „Aktuelle Studien besagen, dass rund 20 Prozent der Patienten, die in einer Notaufnahm­e behandelt wurden, auch anderweiti­g hätten versorgt werden können“, sagt Dietz. Einfacher sei es, die Zahl der Patienten festzustel­len, die mit einem triftigen Grund in das Krankenhau­s kamen. Das seien die 50 Prozent der Patienten, die stationär aufgenomme­n und behandelt oder vom Hausarzt eingewiese­n, aber nach der Diagnostik und Therapie wieder nach Hause geschickt wurden. Doch auch unter den 13 000 ambulanten Patienten sind einige mit berechtigt­en Anliegen. So sei es nur richtig, mit einem gebrochene­n Handgelenk in der Nacht die Klinik aufzusuche­n, statt bis zum Morgen zu warten. Außerdem müssten Arbeitsunf­älle – auch bei leichten Verletzung­en – von einem sogenannte­n Durchgangs­arzt der Berufsgeno­ssenschaft untersucht werden. Diese seien hauptsächl­ich an Kliniken ansässig.

Jüngere oft ohne Hausarzt

„Wir haben den Eindruck, dass eher jüngere Patienten auch mit Bagateller­krankungen die Notaufnahm­e aufsuchen“, sagt Peter Dietz. Die Gründe hierfür seien vielfältig. Die jungen Patienten hätten oftmals keinen Hausarzt mehr. Darüber hinaus seien sie sensibler und unsicherer bei der Einschätzu­ng der körperlich­en Beschwerde­n. Das zeige sich daran, dass sie mit Schürfwund­en, leichten Prellungen oder nach einmaligem Erbrechen in die Notaufnahm­e gehen. Und sowohl ältere als auch jüngere Patienten fürchteten die lange Wartezeit auf einen Termin beim Facharzt.

Längere Wartezeite­n müssen diese Patienten aber auch in der Notaufnahm­e in Kauf nehmen. An der SanaKlinik in Riedlingen und Biberach werden die Patienten nach dem sogenannte­n Manchester-Triage-System (MTS) aufgenomme­n. Dabei handelt es sich um ein weltweit anerkannte­s Instrument zur Ersteinsch­ätzung der Erkrankung. Die Patienten werden von geschultem medizinisc­hem Personal beurteilt und einer von fünf Dringlichk­eitsstufen zugeordnet. Diese reichen von sofortiger Behandlung (rot), sehr dringend (orange), dringend (gelb) und normal (grün) bis hin zu den nicht dringenden Fällen (blau). Dies führt dazu, dass die weniger schwer verletzten oder erkrankten Patienten gegebenenf­alls längere Wartezeite­n in Kauf nehmen müssen.

Die medizinisc­he (Erst-)Versorgung beispielsw­eise von Platzwunde­n, Prellungen, Blutdrucke­ntgleisung­en, Atemnot, Infekten, Thrombose oder auch Brustschme­rzen ist in Riedlingen wohnortsna­h sichergest­ellt, sodass die Notaufnahm­e zu jeder Zeit, 24 Stunden an sieben Tagen, von Patienten aufgesucht und vom Rettungsdi­enst angefahren werden kann. Bestimmte Krankheits­bilder können jedoch in Riedlingen nicht endgültig versorgt werden, da es an der notwendige­n Ausstattun­g oder dem Fachperson­al fehlt. So wird beispielsw­eise ein Schlaganfa­llpatient sofort in die spezialisi­erte Regionale Stroke Unit oder ein Herzinfark­t in die sogenannte Chest Pain Unit nach Biberach gebracht. Auch komplizier­te Frakturen werden nach Biberach verlegt.

Nicht die einzige Anlaufstel­le

Was viele immer noch nicht wissen: Die Notaufnahm­e ist am Wochenende und an Feiertagen nicht die einzige Anlaufstel­le. Die Kassenärzt­liche Notfallpra­xis an der Sana-Klinik wird von niedergela­ssenen Ärzten betrieben und ist für Patienten gedacht, deren Beschwerde­n auch von einem Hausarzt behandelt werden können. Darunter fallen unter anderem grippale Infekte, Übelkeit, Magen-Darm-Infekte, Schürfwund­en sowie Prellungen. „Zu den Sprechzeit­en werden solche Patienten daher von der Notaufnahm­e an die Notfallpra­xis verwiesen“, sagt Peter Dietz.

Patienten, die ohne dringenden Anlass die Notaufnahm­e aufsuchen, wirken sich auch finanziell auf die Kliniken aus. Der Unterhalt wird deutlich teurer, da 365 Tage im Jahr rund um die Uhr Ärzte und medizinisc­hes Personal im Einsatz sind, um die Patienten zu versorgen. Ambulante Notfallpat­ienten werden in Deutschlan­d nach Berechnung­en der Deutschen Gesellscha­ft interdiszi­plinärer Notfall- und Akutmedizi­n (DGINA) im Durchschni­tt mit 33 Euro vergütet. Dem gegenüber stehen Kosten von durchschni­ttlich 129 Euro pro ambulantem Notfall.

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FOTO: HOLGER HOLLEMANN Dass zunehmend mehr Pateinten mit vergleichs­weise kleinen Wehwehchen sofort in die Notaufnahm­e eines Krankenhau­ses gehen, ist auch an den Sana-Kliniken im Landkreis Biberach keine Seltenheit mehr.

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