Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Mit Schnupfen in die Notaufnahme
Immer mehr Menschen gehen bei leichten Erkrankungen oder Verletzungen in die Klinik
Immer mehr Menschen gehen bei leichten Erkrankungen in die Klinik.
RIEDLINGEN/BIBERACH - Man spürt das erste Kratzen im Hals oder die Nase läuft bereits den ganzen Tag – eine Erkältung bahnt sich an. Jetzt heißt es zum Arzt, um sich Hilfe zu holen. Für viele folgt jetzt aber nicht mehr der übliche Gang zum Hausarzt, sondern in die Notaufnahme eines Krankenhauses. Auch an den Sana-Kliniken im Landkreis Biberach ist dieses Phänomen bekannt.
„Immer öfter stellen sich Patienten in der Notaufnahme vor, die dort eigentlich nicht hingehören“, erklärt Dr. Peter Dietz, Ärztlicher Leiter der zentralen Notaufnahme in Biberach. Sie kämen mit Husten, Schnupfen, Heiserkeit oder kleineren Verletzungen. Das gehöre inzwischen längst zum Alltag, so Dietz.
Glatteis, Grippewelle, Feiertage
Einen bestimmten Wochentag oder eine Uhrzeit, an denen diese Patienten besonders häufig kommen, gebe es nicht. „Manchmal sind es etwas weniger, manchmal mehr. Etwa, wenn Glatteis, Grippewelle oder Feierund Brückentage – wenn viele hausärztliche Praxen geschlossen haben – zusammentreffen“, erklärt der Arzt. Insgesamt seien im vergangenen Jahr rund 26 000 Patienten in der Notaufnahme der Sana-Kliniken im Landkreis versorgt worden. Das sind rund 5000 mehr als noch im Jahr 2013.
Wie viele davon ein berechtigtes Anliegen hatten, eine Notaufnahme aufzusuchen, lasse sich nur schwer feststellen. „Aktuelle Studien besagen, dass rund 20 Prozent der Patienten, die in einer Notaufnahme behandelt wurden, auch anderweitig hätten versorgt werden können“, sagt Dietz. Einfacher sei es, die Zahl der Patienten festzustellen, die mit einem triftigen Grund in das Krankenhaus kamen. Das seien die 50 Prozent der Patienten, die stationär aufgenommen und behandelt oder vom Hausarzt eingewiesen, aber nach der Diagnostik und Therapie wieder nach Hause geschickt wurden. Doch auch unter den 13 000 ambulanten Patienten sind einige mit berechtigten Anliegen. So sei es nur richtig, mit einem gebrochenen Handgelenk in der Nacht die Klinik aufzusuchen, statt bis zum Morgen zu warten. Außerdem müssten Arbeitsunfälle – auch bei leichten Verletzungen – von einem sogenannten Durchgangsarzt der Berufsgenossenschaft untersucht werden. Diese seien hauptsächlich an Kliniken ansässig.
Jüngere oft ohne Hausarzt
„Wir haben den Eindruck, dass eher jüngere Patienten auch mit Bagatellerkrankungen die Notaufnahme aufsuchen“, sagt Peter Dietz. Die Gründe hierfür seien vielfältig. Die jungen Patienten hätten oftmals keinen Hausarzt mehr. Darüber hinaus seien sie sensibler und unsicherer bei der Einschätzung der körperlichen Beschwerden. Das zeige sich daran, dass sie mit Schürfwunden, leichten Prellungen oder nach einmaligem Erbrechen in die Notaufnahme gehen. Und sowohl ältere als auch jüngere Patienten fürchteten die lange Wartezeit auf einen Termin beim Facharzt.
Längere Wartezeiten müssen diese Patienten aber auch in der Notaufnahme in Kauf nehmen. An der SanaKlinik in Riedlingen und Biberach werden die Patienten nach dem sogenannten Manchester-Triage-System (MTS) aufgenommen. Dabei handelt es sich um ein weltweit anerkanntes Instrument zur Ersteinschätzung der Erkrankung. Die Patienten werden von geschultem medizinischem Personal beurteilt und einer von fünf Dringlichkeitsstufen zugeordnet. Diese reichen von sofortiger Behandlung (rot), sehr dringend (orange), dringend (gelb) und normal (grün) bis hin zu den nicht dringenden Fällen (blau). Dies führt dazu, dass die weniger schwer verletzten oder erkrankten Patienten gegebenenfalls längere Wartezeiten in Kauf nehmen müssen.
Die medizinische (Erst-)Versorgung beispielsweise von Platzwunden, Prellungen, Blutdruckentgleisungen, Atemnot, Infekten, Thrombose oder auch Brustschmerzen ist in Riedlingen wohnortsnah sichergestellt, sodass die Notaufnahme zu jeder Zeit, 24 Stunden an sieben Tagen, von Patienten aufgesucht und vom Rettungsdienst angefahren werden kann. Bestimmte Krankheitsbilder können jedoch in Riedlingen nicht endgültig versorgt werden, da es an der notwendigen Ausstattung oder dem Fachpersonal fehlt. So wird beispielsweise ein Schlaganfallpatient sofort in die spezialisierte Regionale Stroke Unit oder ein Herzinfarkt in die sogenannte Chest Pain Unit nach Biberach gebracht. Auch komplizierte Frakturen werden nach Biberach verlegt.
Nicht die einzige Anlaufstelle
Was viele immer noch nicht wissen: Die Notaufnahme ist am Wochenende und an Feiertagen nicht die einzige Anlaufstelle. Die Kassenärztliche Notfallpraxis an der Sana-Klinik wird von niedergelassenen Ärzten betrieben und ist für Patienten gedacht, deren Beschwerden auch von einem Hausarzt behandelt werden können. Darunter fallen unter anderem grippale Infekte, Übelkeit, Magen-Darm-Infekte, Schürfwunden sowie Prellungen. „Zu den Sprechzeiten werden solche Patienten daher von der Notaufnahme an die Notfallpraxis verwiesen“, sagt Peter Dietz.
Patienten, die ohne dringenden Anlass die Notaufnahme aufsuchen, wirken sich auch finanziell auf die Kliniken aus. Der Unterhalt wird deutlich teurer, da 365 Tage im Jahr rund um die Uhr Ärzte und medizinisches Personal im Einsatz sind, um die Patienten zu versorgen. Ambulante Notfallpatienten werden in Deutschland nach Berechnungen der Deutschen Gesellschaft interdisziplinärer Notfall- und Akutmedizin (DGINA) im Durchschnitt mit 33 Euro vergütet. Dem gegenüber stehen Kosten von durchschnittlich 129 Euro pro ambulantem Notfall.