Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Verseuchtes Gebäude: Eigentümer vor Ruin
Verursacher der Quecksilber-Kontaminierung kann nicht haftbar gemacht werden
GAMMERTINGEN - Ein markantes Haus in der Gammertinger Ortsmitte steht nutzlos da und müsste eigentlich abgerissen werden. Im November 2015 hat der zuständige Schornsteinfeger in einem Kamin Quecksilber entdeckt. Seither gilt das Haus als unbewohnbar und darf nicht betreten werden. Der Verursacher der Quecksilberverseuchung steht derzeit vor Gericht. Eine Reinigung der Kontaminierung kann laut einer Fachfirma nicht effektiv vorgenommen werden. Die Frage ist, was soll mit dem Gebäude geschehen und wer soll gegebenenfalls für die Abrisskosten aufkommen?
Eine weitere Fachfirma hat berechnet, dass der Abriss und der Abtransport des kontaminierten Baumaterials pro Tonne rund 22 000 Euro kostet. Da das Haus aus bis zu einem Meter breiten Sandsteinmauern besteht, ergebe dies einen Abrissund Entsorgungspreis von etwa 3,5 Millionen Euro.
Inzwischen sind bereits diverse Kosten entstanden, zum einen beim Landratsamt, zu anderen bei der Stadt und vor allem bei der Eigentümerin des Gebäudes. Ihre Tochter, Margarethe Wissmann-Darwish, sagt im Gespräch mit der Schwäbischen Zeitung: „Dieser Vorfall hat den Lebensabend meiner Eltern zur Hölle gemacht.“Die Familie hat nicht nur das Haus verloren, das einen geschätzten Wert von etwa 300 000 Euro hat, sondern auch die Mieteinnahmen sind weggebrochen. Da beide eine kleine gesetzliche Rente haben, diente das Geld zur Finanzierung des Lebensunterhaltes im Alter.
Aber nicht genug damit. Den Eigentümern flattern laufend Rechnungen ins Haus, beispielsweise für Stromkosten, die die Mieter nicht mehr bezahlt haben. Außerdem müssen sie die Gebäudeversicherung, die Grundsteuer, die Haftpflichtversicherung für das Gebäude weiterhin bezahlen. „Die Ersparnisse meiner Eltern sind weitgehend aufgebraucht“, sagt Margarethe Wissmann-Darwish. Wegen der finanziellen Sorgen und der zusätzlichen psychischen Belastung sei ihre Mutter zum Pflegefall geworden, und die Familie habe derzeit mehr Ausgaben als Einnahmen. Die Versicherung will nicht bezahlen, weil eine Kontaminierung nicht als Elementarschaden gelte.
„Es ist ein Albtraum, in dem wir uns befinden“, so die Tochter. Vor allem findet sie die Gesetzeslage äußerst ungerecht. Der Verursacher der ganzen Havarie komme wahrscheinlich mit zwei Jahren Haft auf Bewährung davon, während ihre Eltern völlig unschuldig in den finanziellen Ruin geraten sind und mit keinerlei Unterstützung rechnen können. An die Übernahme der Abrisskosten sei nicht zu denken, viel näher stehe die private Insolvenz. Die Familie erwartet von dem Verursacher, dass er wenigstens die Wohnung räumt, die immer noch voller Schrott ist. Von einer zivilrechtlichen Klage sieht sie ab, weil ihr Rechtsanwalt wenig Chancen erkennt.
Nach dem derzeitigen Stand der Dinge wird das Gebäude wohl weiterhin vor sich hin gammeln. Das Landratsamt steht auf dem Standpunkt, dass grundsätzlich der Eigentümer darüber entscheidet, wie er mit seinem Eigentum weiter verfahren möchte. Da das Quecksilber derzeit im Haus gebunden sei und von dem Gebäude keine Gefahr für die Außenwelt ausgehe, sehe das Landratsamt keine Veranlassung, irgendetwas anzuordnen, macht Pressesprecher Tobias Kolbeck deutlich.
Gammertingens Bürgermeister Holger Jerg findet die Situation, in die die Eigentümerfamilie geraten ist, bedauerlich. Die Stadt habe versucht, ihr zu helfen, wo das möglich gewesen sei, beispielsweise mit der Reduzierung der Grundsteuer. Man habe auch überprüft, inwieweit eine Reinigung des Gebäudes im Rahmen der Stadtsanierung möglich sei. Aber für kontaminierte Gebäude gebe es keine Förderung. Jerg geht davon aus, dass das Gebäude zunächst weiterhin leerstehen wird. Und er mutmaßt: „Wahrscheinlich wird es schließlich dem Staat anheimfallen.“
Der Verursacher ist ein 70-jähriger Mann, der die Wohnung im zweiten Obergeschoss des Hauses bewohnt hat. Er hat am ersten Verhandlungstag vor dem Hechinger Landgericht zugegeben, Amalgam in einem Schwedenofen geschmolzen zu haben, um das dadurch gewonnene Silber zu verkaufen. Das Quecksilber aus der Legierung ist bei 400 Grad Celsius verdampft, hat sich aber durch die Abkühlung im Schornstein wieder in flüssiges Quecksilber zurückverwandelt. Es hat sich aber auch auf dem Dach und in den Nachbargärten abgesetzt. Bei Bewohnern, Nutzern des Gebäudes und Nachbarn ergaben Urintests eine deutliche Quecksilberbelastung, die längerfristig diverse Krankheiten auslösen kann.
Der 70-Jährige hat vor Gericht deutlich gemacht, dass er von 500 Euro Rente lebe und dass bei ihm nichts zu pfänden sei. Dass er die Kosten für den Abriss übernimmt, ist damit undenkbar. Auch für diverse Schadensansprüche kann der mehrfache Bankräuber, der mehr als 20 Jahre im Gefängnis saß, nicht aufkommen. Eine Familie mit drei kleinen Kindern macht als Nebenklägerin Schadensansprüche geltend. Sie hatte die Wohnung im ersten Obergeschoss frisch renoviert und neue Möbel gekauft. Auch dem Inhaber des Frisörsalons im Erdgeschoss ist ein hoher Schaden entstanden.
„Es ist ein Albtraum, in dem wir uns befinden.“
Margarethe Wissmann-Darwish