Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Verliebt in eine Kreatur
Die dreibeinige Katze Luzzy kam aus Griechenland nach Ravensburg – Warum Menschen Tiere aus dem Urlaub mitbringen
- Wen würde dieses Tier nicht rühren, wem nicht zumindest ein Lächeln entlocken? Luzzy, sechs Jahre, zusammengerollt auf einem Sessel, kneift die Augen zusammen angesichts der oberschwäbischen Sonne, die das rot getigerte Fell der Katze wärmt. Zutraulich lässt sie sich unterm Kinn kraulen und begleitet die Streicheleinheit mit einem Schnurren. So weit, so normal. Erhebt sich die Mieze aber, wird ihr Handicap sichtbar: Luzzy hat nur drei Beine, einen Hinterlauf verlor sie infolge eines Autounfalls. Ihre Laufbewegungen wirken daher nicht katzenhaft geschmeidig, sondern ungelenk und holprig. Gleichzeitig fasziniert es, wie sie klaglos jede Strecke und jeden Sprung trotz Behinderung und Unwucht bewältigt.
Es lässt sich leicht nachvollziehen, dass der ungewöhnliche Bewegungsablauf schon in ihrer griechi-schen Heimat, einer Hotelanlage auf der Insel Mykonos, die Blicke auf sich zog. „Sie war die Attraktion bei den Touristen“, bestätigt die Ravensburgerin Amelie Ziegler, die das Tier im Herbst 2016 bei einem Urlaub entdeckte – und seither nicht mehr loslassen wollte. Trotz aller Widerstände und auch gegen Kritik. „Ich bin voll tierverrückt“, sagt die 27-Jährige und muss dabei selbst über ihre Leidenschaft lachen. In Joris, dem Barkeeper des Hotels, fand sie einen Seelenverwandten. Joris kümmerte sich immer wieder um Luzzy, aber auch um andere Katzen auf der Anlage, fütterte die Hungrigen und brachte die Maladen bisweilen zum Tierarzt. Keine Selbstverständlichkeit.
In anderen Kulturen herrschen eben andere Sitten und damit auch ein anderes Verhältnis zu Haustieren, seien es Hunde oder Katzen. In Süd- und Osteuropa genießen sie weit weniger Empathie und Zuneigung als hierzulande, werden oft als Last und Belästigung empfunden. Trotzdem vermehren sie sich massenweise, weil den Bewohnern Kastration und Sterilisation als widernatürlich gelten, als zu teuer sowieso. „Die Ursache des Übels liegt darin, dass die meisten Menschen die Fortpflanzung ihrer Haushunde und Katzen nicht kontrollieren“, stellt der Deutsche Tierschutzbund fest. Die Folge sind Scharen an herrenlosen Hunden oder Katzen, die Strände und Hotelanlagen bevölkern auf der Suche nach Abfall und Nahrungsresten. Oder auf Touristen treffen, die in ihrem Mitgefühl die Kreaturen füttern, was die ungezügelte Vermehrung nur beschleunigt, weshalb Tierschützer appellieren: „Füttern Sie bitte nicht.“
Martina Klausmann vom Landestierschutzbund in Stuttgart
Das Elend nimmt ohnehin seinen Lauf, wenn die Touristen schon lange die Urlaubsorte verlassen haben, wenn der Winter naht und die Hotels schließen oder den Betrieb runterfahren. „Manche Anlage macht dann Tabula rasa“, sagt Martina Klausmann vom Landestierschutzbund in Stuttgart. Sprich, nicht selten würden die Katzen massenweise vergiftet. Andernorts engagieren die Städte Hundefänger, die Vierbeiner verrecken dann unbemerkt im Niemandsland. Oder sie landen über mafiöse Strukturen in den Händen illegaler Tierhändler, die mit dem hiesigen Mitleid Geschäfte machen.
Auch Amelie Ziegler musste sich irgendwann von den Katzen in Mykonos, von Luzzy verabschieden. Allerdings wusste sie diese durch Joris versorgt. Der Barkeeper und die Deutsche blieben in Mailkontakt, tauschten sich über ihre Tierliebe und über die dreibeinige Freundin aus. Irgendwann erhielt Ziegler jedoch eine Nachricht aus Griechenland mit sorgenvollem Inhalt. Er, Joris, würde das Hotel verlassen und sich beruflich verändern. Die Zukunft von Luzzy sei gefährdet, da sie von den Inhabern als Attraktion und Geschäftsmodell zwar geschätzt werde, sich im Winter jedoch zum Auslaufmodell entwickeln könnte – mit tödlichen Folgen, auf welche Weise auch immer. Für die Ravensburgerin stand schnell fest: Luzzy braucht eine neue Heimat. In Oberschwaben. Bei ihrer Mutter.
Ingrid Ziegler hatte damals noch ihren geliebten Ricky, einen Jack Russell Terrier, schon fast 16 Jahre alt. Und tatsächlich verstarb Ricky, was bei Frauchen eine Leere hinterließ. Nur kurze Zeit darauf begannen die Gespräche um das Für und Wider einer Umsiedlung von Luzzy. Schließlich gab Ingrid Ziegler dem Bitten der Tochter nach: „Wir machen’s.“
Was sich leicht anhört, fällt in Wirklichkeit schwer. „Es macht keinen Sinn, alle einzupacken, das muss sehr gut überlegt sein“, sagt Martina Klausmann. Alle tierrechtlichen Regelungen müssen eingehalten werden, es braucht einen Vertrag über die Adoption, das Tier muss geimpft und frei von Krankheiten sein, verbunden mit entsprechenden Nachweisen. Der Transport muss artgerecht ausfallen und auch danach ein Ansprechpartner im Ursprungsland zur Verfügung stehen. Außerdem sollte sichergestellt sein, dass das Tier in seinem neuen Umfeld zurechtkommt und wirklich dauerhaft ein neues Zuhause findet. Wer alle Formalitäten und Fragen einer der vielen Organisationen, die sich dafür anbieten, überlässt, muss nicht zuletzt sicherstellen, dass diese nicht den oben erwähnten mafiösen Strukturen angehört, denen der Tierschutz nichts, der eigene Profit aber alles bedeutet.
Amelie Ziegler wusste um diese Fallstricke: „Auch auf Mykonos gibt es Organisationen, die es nur aufs Geld abgesehen haben.“Sie holte sich Hilfe bei „Kalimera Swiss Help for Mykonos Animals“, einem Schweizer Verein, der einen guten Ruf genießt und sich auf Mykonos für Tiere in Not engagiert. Und der einst aus einer Hilfsaktion für eine schwer verletzte Katze entstand, die den Namen Kalimera erhielt und in Basel eine neue Heimat fand. Die Schweizer übernahmen dann auch Patenschaft und Kosten für Luzzys Flug nach Deutschland. Die konnte nun wohl zum ersten Mal an Schnee schnuppern und hat den Wechsel von griechischer zur oberschwäbischen Luft bestens bewältigt. Auch wenn ihre Geschichte gemischte Reaktionen hervorruft. „Ich hab schon zweimal hören müssen: ,Spinnst du! Wir haben hier doch schon genug Katzen’“, berichtet Ingrid Ziegler.
Nun lassen sich, bei aller Empathie für Kreaturen in Not, Zweifel an solchen Aktionen, die jedes Jahr in zwar unbekannter, aber gewiss hoher Zahl ablaufen, nicht wegdiskutieren. Macht die Umsiedlung von Haustieren ins blühende Deutschland wirklich Sinn? Geben wir vielleicht unseren Gefühlen zu schnell nach? Werden Tierschutz und Tierliebe hier übertrieben und am Ende wenig zielführend ausgeübt?
„Entscheidend ist: Auch wenn man dem einzelnen Tier hilft, ändert das nichts am Leid der Tiere vor Ort“, sagt Lea Schmitz, Pressereferentin beim Deutschen Tierschutzbund. „Für jedes gerettete Tier rücken sofort wieder neue nach, die dasselbe durchleben müssen.“Der wirksamste Tierschutz sei daher jener vor Ort und zwar auf diese Weise: „fangen, kastrieren, freilassen.“Dadurch ließen sich die Populationen erheblich reduzieren. Martina Klausmann pflichtet bei und ergänzt: „Behörden und Bevölkerung vor Ort müssen dabei mitgenommen werden“, um ihnen die Möglichkeiten einer Populationskontrolle näherzubringen sowie den artgerechten Umgang mit den Tieren. Und nicht zuletzt, um grausamen Tötungen entgegenzuwirken. Klausmann betont aber auch: Einer Umsiedlung stehe im Einzelfall nichts entgegen; bei einer besonderen Bindung zum Tier, einer korrekten medizinischen Versorgung, einem reibungslosen Transport und einer gelungenen Eingliederung ins neue Leben.
Womit wir bei Luzzy wären, auf die all dies zweifellos zutrifft. „Wir wollen ja nicht die Welt oder alle Katzen retten“, sagt Ingrid Ziegler. „Es war und ist diese eine Geschichte.“Jene Geschichte um eine dreibeinige Katze in höchster Not, die sich am Ende für beide Seiten so wundersam gefügt hat. „Nun bin ich nicht mehr allein“, sagt Ingrid Ziegler und schaut lächelnd zu, wie Luzzy ihren Platz in der Sonne verlässt und sich etwas ungelenk, aber unverdrossen Richtung Futternapf aufmacht.
„Es macht keinen Sinn, alle einzupacken, das muss sehr gut überlegt sein.“