Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
„Ein Hund von der Straße wird nicht so einfach auf Omas Sofa still sitzen wollen“
Carola Otterstedt, Kulturwissenschaftlerin und Vorsitzende der Stiftung Bündnis Mensch & Tier, über die Motivation von Menschen, Tiere zu retten
RAVENSBURG Die Stiftung
Bündnis Mensch
& Tier versteht sich als Ergänzung zum klassischen Tierschutz.
Über Forschung und Projekte steht sie für vorbeugenden Tierschutz, um Menschen zu helfen, Tierhaltung und Einsatz artgerecht umzusetzen. Dirk Grupe sprach mit der Vorsitzenden und Kulturwissenschaftlerin Carola Otterstedt (Foto: privat) über die Motivationn, Tiere zu retten, und die Stellung des Hundes in der Gesellschaft.
Warum fühlen sich viele Menschen zu Hunden und anderen Tieren hingezogen?
Menschen brauchen ein Gegenüber, weil sie in Beziehung leben – und das kann auch über unsere eigene Art hinausgehen.
Bei manchen Menschen geht die Beziehung so weit, dass sie ein Tier retten wollen. Warum?
Säugetiere – wie der Mensch – schützen andere Säugetiere und definieren jeweils, wen sie als schutzbedürftig ansehen. Dies hat viel mit der kulturellen Entwicklung zu tun und ist daher von Kultur zu Kultur auch unterschiedlich. In der Regel hat es für denjenigen, der Fürsorge gibt, einen arterhaltenden Nutzen, nicht selten bringt es auch einen emotionalen und sozialen Gewinn.
Die Mehrzahl aller Rettungsaktionen betrifft Straßenhunde aus anderen Ländern. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Ich denke, in erster Linie steht das Bedürfnis, mit einem Hund zusammenzuleben, und das muss heute nicht unbedingt ein Rassehund sein. Außerdem bringt es heute in bestimmten sozialen Gruppen eine gewisse soziale Anerkennung, wenn man einen sogenannten Straßenhund aus einem anderen Land rettet. Dies hat aber leider dazu geführt, dass die Vermittlung von Straßenhunden inzwischen ein lohnendes Geschäft ist, dessen Händler teilweise auch nicht davor zurückschrecken, extra Hunde in Vermehrungsanstalten zu „produzieren“, die dann als Straßenhunde „vermittelt“werden. Viele der angebotenen Hunde werden mit falschem Geburtsdatum zu früh vom Muttertier getrennt und ohne Impfungen vermittelt. Die anschließenden Tierarztkosten und Integrationsbemühungen können enorm sein. Ein Hund von der Straße wird sich nicht so einfach an unseren Alltag gewöhnen und plötzlich auf Omas Sofa still sitzen wollen.
Gibt es Möglichkeiten für neue Wege?
Ich würde mir wünschen, dass wir Konzepte entwickeln, wie wir helfen können, den Umgang mit Tieren im Ursprungsland zu verändern, und wie wir den Markt für Mischlingshunde in Deutschland bedienen können. Eine gute Informationspolitik und zum Beispiel hundegestützte Aufklärungsprogramme in Schulen in den Ursprungsländern wären ein lohnenswerter Weg. Und vielleicht auch eine gesundheitlich gute Zucht von Mischlingshunden in Deutschland.
Wieso hat der Mensch eigentlich eine so besondere Beziehung zu Hunden?
Bei uns hat der Hund eine sehr wichtige Bedeutung, weil er sehr eng mit dem Menschen lebt und wir von der Beziehung mit ihm profitieren: zum Beispiel Jagd, Mantrailer (Personenspürhund), Schutzhund, Einsatz im therapeutisch-sozialen Bereich, als Tier daheim. Wir haben über sehr lange Zeit mit Hunden zusammengelebt und meinen, seine Körpersprache gut verstehen zu können. Letztlich ist es aber wohl vor allem der Hund, der uns sehr gut lesen kann. Und er ermöglicht es so, dass wir uns in seiner Gesellschaft entspannt und wohlfühlen.