Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Filstalbrücke am Drackensteiner Hang wächst
Auf halber Strecke der A 8 zwischen Stuttgart und Ulm entsteht mit der Filstalbrücke das prestigeträchtigste Bauwerk der neuen Bahntrasse
STUTTGART (dpa) - Die Bahn hat beim Ausbau der Strecke StuttgartUlm ein weiteres Etappenziel erreicht. Bei der 485 Meter langen Filstalbrücke über der A 8 in unmittelbarer Nähe des Drackensteiner Hangs stehen die ersten Pfeiler. Nun wird beim 53-Millionen-Euro-Projekt weiter in der Horizontalen gebaut. Bis 2022 sollen die Arbeiten abgeschlossen sein. Die Brücke in der Mitte zwischen Stuttgart und Ulm ist ein wichtiger Abschnitt für den Albaufstieg, den die Schnellfahrstrecke Wendlingen-Ulm auf knapp 15 Kilometern überwinden muss.
MÜHLHAUSEN IM TÄLE - Mit etwas Wohlwollen kann man die Sachlage so ausdrücken: Auf der A 8 zwischen Ulm und Stuttgart Auto zu fahren, ist eine spannende Sache. Seit Jahren. Weniger wohlwollend: ein Anschlag auf die Nerven, weil wandernde Dauerbaustelle mit Staugarantie.
Auch die Deutsche Bahn trägt seit geraumer Zeit das Ihre bei zur steten optischen Veränderung dieser Strecke. Das Bahnprojekt Stuttgart-Ulm, Teil des Multimilliarden teuren Jahrhundertwurfs Stuttgart 21, führt größtenteils entlang der A 8. Auf dem Weg von Stuttgart nach Ulm, nur wenige Kilometer nach der Rastanlage Gruibingen, können die Autofahrer das ganze Jahr 2018 über einem der ambitioniertesten Bauprojekte der Bahn beim Wachsen zuschauen. Quer übers Filstal am Drackensteiner Hang wird sich bald eine 485 Meter lange Brücke spannen. Es wird ein spektakuläres Bauwerk mit einer Höhe von bis zu 85 Metern. In Deutschland gibt es nur zwei Eisenbahnbrücken, die höher sind. „So eine Brücke baut man vielleicht zwei in hundert Jahren“, sagte Jan Dambach vom Bahnprojekt Stuttgart-Ulm bei einem Pressetermin am Donnerstag.
Einmalige Kombination
Eine weitere Besonderheit wird sein, dass die Brücke zwei Tunnel miteinander verbindet: den Boßlertunnel und den Steinbühltunnel. „Diese Kombination ist einmalig für die Deutsche Bahn“, sagt Projektleiter Jörg Müller nicht ohne Stolz. In diesen beiden Tunneln wird der Albaufstieg bewältigt, über eine gleichmäßige Steigung von 2,5 Prozent bis auf 746 Meter Höhe. Mit 8806 Metern ist der Boßlertunnel die längste von vier kilometerlangen Röhren zwischen Ulm und Wendlingen. Der Albvorlandtunnel von Kirchheim nach Wendlingen misst 8176 Meter, der Albabstiegstunnel bei Ulm 5940 Meter, der Steinbühltunnel 4847 Meter. In letzterem erreicht der ICE die maximale Höhe von 746 Metern über dem Meeresspiegel. Außerdem gibt es noch sieben kürzere Tunnel unter einem Kilometer Länge, sodass sich die Fahrtzeit zwischen Ulm und Stuttgart auf etwa 30 Minuten halbieren wird.
Dabei wird der ICE mit etwa 250 km/h über die Brücke rauschen. Eigentlich sind es sogar zwei Brücken, denn die ausführende Firma Max Bögl GmbH & Co. KG baut zwei getrennte Tragwerke: eines für die Fahrt nach Stuttgart, das andere für die Fahrt nach Ulm. Der Grund: Für jede Richtung gibt es eine separate Tunnelröhre von rund elf Metern Durchmesser. „Dafür haben wir die größte Tunnelbohrmaschine verwendet, die je bei der Deutschen Bahn eingesetzt wurde“, erklärt Müller. 30 Meter Vortrieb schafft die Maschine pro Tag. Die erste Röhre des Boßlertunnels ist bereits gebohrt, bei der zweiten soll der Durchbruch dann Mitte dieses Jahres erfolgen.
Weil die beiden Röhren einen bautechnisch nötigen Abstand von rund 30 Metern haben, können die Gleise nicht auf ein Brückenbauwerk zusammengeführt werden. Für zwei Gleise in einem Tunnel sei die Röhre nicht groß genug, erläutert Müller. Auch aus sicherheitstechnischen Gründen sei die Trennung der Fahrtrichtungen besser. Alle 500 Meter sind die beiden Röhren miteinander verbunden, sodass im Katastrophenfall eine Fluchtmöglichkeit gegeben ist. Und rein optisch ist die Trennung der Schienenstränge ohnehin kein Schaden: „Die Brücke wird sehr, sehr filigran aussehen“, sagt Müller.
Filigrane Optik
Dem Bauwerk wird man dann nicht mehr ansehen, welch gewaltige Anstrengungen nötig waren, um es zu errichten. Den Auflagen der Umweltbehörden gerecht zu werden, war da noch das geringste Problem. „Wir haben Eidechsenhabitate eingerichtet und Fledermauskästen aufgehängt“, berichtet Müller. Vor allem topografisch stellte die Baustelle höchste Anforderungen. Das Gelände ist sehr steil, das Tal eng, es waren umfangreiche Vorarbeiten nötig. Die Tiefgründung beispielsweise, „die nun fast abgeschlossen ist“, wie Müller sagt. Um den Baugrund abzusichern, wurden 1,5 Meter dicke Pfeiler bis zu 25 Meter tief im Boden versenkt und Bodenplatten mit 500 Kubikmetern Beton errichtet. Auch die ersten, bis zu 75 Meter hohen Betonpfeiler ragen schon in den Himmel, ebenso ein temporäres Stahlkonstrukt, das nötig ist, um „das blaugelbe Ungetüm“, wie Müller es nennt, zu tragen. Mit dieser etwa 50 Meter langen „Vorschubrüstung“wird der Überbau der Brücke betoniert. Sie wiegt 800 Tonnen und wird von 10 000 Schrauben zusammengehalten.
In zehn Bauabschnitten werden jeweils 50 Meter betoniert, sodass die Brücke alle vier bis sechs Wochen Stück für Stück über das Tal wachsen wird. Wenn die Autobahn erreicht wird, steht übrigens eine Vollsperrung der A 8 an. Aber nur nachts, vier bis sechs Stunden. Müller weiß: „Es ist unmöglich, die A 8 längere Zeit zu sperren.“Beginnen sollen die Betonierarbeiten im Frühjahr. Am Ende werden 9000 Tonnen Stahl und rund 60 000 Kubikmeter Beton verbaut sein. Mit dieser Menge an Beton, sagt Müller, könnte man vier Kilometer Tunnel bauen. Im Jahr 2022 schließlich soll das monumentale Bauwerk fertig, der Brückenschluss über dem Filstal vollbracht sein.
Den Fahrgästen im ICE wird keine Zeit bleiben, über die Entstehung der Brücke zu sinnieren. Sie werden die Aussicht über das Filstal für ganze sieben Sekunden genießen können – eine besondere Pointe angesichts des immensen Aufwands für dieses Bauwerk, sowohl was die Bauzeit als auch die veranschlagten Kosten von 53 Millionen Euro betrifft. Sieben Sekunden: So lange dauert die Fahrt vom Ende des Boßlertunnels bis zum Eingang des Steinbühltunnels oder umgekehrt.
Haltbarkeit: 100 Jahre mindestens
Dennoch handelt es sich definitiv um ein Jahrhundertbauwerk, im wahrsten Sinne des Wortes. Jörg Müller beziffert die Haltbarkeitsdauer des Betonkolosses auf 100 Jahre mindestens. Auf die Frage, was danach mit dem Bauwerk geschehe, zuckt er kurz mit den Schultern und meint lachend: „Kann ich Ihnen nicht sagen, aber eins ist sicher: Ich bin nicht dabei.“
Da ist er nicht der Einzige. Aber die Brücke ist ja ein Geschenk an Kinder und Enkel; die werden bestimmt auch noch Bahn fahren. Auf der A 8 ist ja sowieso wieder Stau.