Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
„Für Vereinte Nationen eine gewaltige Herausforderung“
Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, zum Krieg in Syrien und zur Rolle der UN
BERLIN - Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP, Foto: dpa), hält es für „äußerst problematisch“, dass in Syrien amerikanische und russische Truppen vor Ort sind. Die Friedensbemühungen seien auf die Unterstützung der Groß- und Regionalmächte angewiesen, sagte Perthes im Gespräch mit Benjamin Moscovici. Zwar seien sich fast alle einig, dass der Krieg enden müsse, aber es gebe keinen Konsens über das Vorgehen.
Herr Perthes, dramatische Eskalation in Ost-Ghuta. Droht dort das nächste Aleppo?
In dem Gebiet westlich der Hauptstadt Damaskus erleben wir derzeit die schlimmste militärische Eskalation seit der Schlacht um Aleppo. Das Vorgehen ist ähnlich wie damals. Erst wird heftig bombardiert, und in ein paar Tagen verkündet Russland, dass eine Befriedung der Situation nur durch eine Evakuierung der Kämpfer gewährleistet werden könne. Unter dieser Taktik leidet vor allem die Zivilbevölkerung.
In Nordsyrien kämpft die Türkei gegen kurdische Milizen, die von den USA im Kampf gegen den IS unterstützt werden. Entsteht ein Bruch in der Nato?
Es gibt zumindest erhebliche Differenzen zwischen zwei Nato-Mitgliedern. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Türkei in allen anderen Fragen voll auf NatoKurs ist, beispielsweise auf dem Baltikum Teil der sogenannten Speer- spitze zur Verteidigung der NatoOstflanke ist.
Wie groß ist das Risiko, dass die Türkei in eine Auseinandersetzung mit Russland gerät, den Bündnisfall erklärt und die Nato in einen offenen Konflikt mit Russland hineingezogen wird?
Die Türkei ist mit Russland in sehr enger Abstimmung. Der Einsatz der türkischen Luftwaffe über Afrin wäre ohne russische Zustimmung überhaupt nicht möglich gewesen. Insofern halte ich einen Konflikt zwischen dem Nato-Mitglied Türkei und Russland für äußerst unwahrscheinlich. Viel problematischer ist die Anwesenheit amerikanischer und russischer Truppen in Syrien. Interessant ist, dass beide Seiten sich zwar gegenseitig schwere Vorwürfe machen, aber gemeinsam Deeskalationszonen einrichten.
Warum sind alle bisherigen Friedensbemühungen gescheitert?
Zwar sind sich fast alle Akteure einig, dass der Krieg endlich enden muss, aber es gibt keinen Konsens über das Vorgehen. Die USA sind überzeugt, dass ihre Präsenz notwendig ist, um die Ausbreitung Irans zu verhindern. Russland hält die Anwesenheit von US-Truppen für illegal. Die Türkei kämpft vor allem für die eigenen Sicherheitsinteressen und will einen kurdischen Korridor an der türkisch-syrischen Grenze verhindern. Für die Vereinten Nationen ist das eine gewaltige Herausforderung. Denn die Friedensbemühungen der internationalen Gemeinschaft sind auf die Unterstützung der Groß- und Regionalmächte angewiesen.
Sind die russischen Friedensbemühungen erfolgreicher als die der Vereinten Nationen?
Die Verhandlungen von Russland, Iran und der Türkei im kasachischen Astana haben zumindest deutliche Erfolge gezeigt. Im vergangenen Jahr ist die Gewalt in Syrien insgesamt deutlich zurückgegangen. Ausschlaggebend dafür waren die Deeskalationszonen, die ein zentraler Bestandteil der Astana-Verhandlungen waren. Seit der Jahreswende sind die Kämpfe allerdings erneut aufgeflammt.
Der syrische Präsident Baschar alAssad hat zuletzt die Kontrolle über weite Teile Syriens zurückerlangt. Muss die internationale Gemeinschaft auf ihn zugehen?
Wir reden längst mit der syrischen Regierung. Das Problem ist nicht, dass wir uns nicht auf Damaskus einlassen – das Problem ist, dass Regierung und Opposition nicht bereit sind, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen und sich gegenseitig die Hand zu reichen. Die Opposition ist bei den Verhandlungen mit einem sehr breiten Spektrum vertreten. Nur Terrorgruppen wie der sogenannte Islamische Staat und die Nusrafront sind von den Gesprächen in Genf ausgeschlossen.
Welchen Beitrag kann die Bundesregierung leisten?
Deutschland hat mehr Einfluss in Syrien, als manche vielleicht meinen. Die Bundesregierung hat gute Kontakte zur Opposition und vielleicht noch wichtiger: zum Kreml. Diese Beziehungen werden immer wieder genutzt, um weitere Verschlimmerungen zu verhindern.