Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Vorwürfe gegen Helfer reißen nicht ab
Hilfsorganisationen wegen immer neuer Missbrauchsfälle unter Druck
LONDON - Der Prostitutions-Skandal bei der britischen Hungerhilfe Oxfam bringt auch andere karitative Organisationen in Bedrängnis, bei denen Missstände bis hin zu Sexualstraftaten bekannt geworden sind. Für diejenigen, die wirklich helfen wollen und die Taten fassungslos zur Kenntnis nehmen, steht viel auf dem Spiel – denn der gesamte Hilfssektor ist in Misskredit geraten.
Am Donnerstag machte der niederländische Zweig des Kinderhilfswerks Plan International Vorwürfe wegen Sexualstraftaten öffentlich. Ein Plan-Angestellter sowie fünf externe Mitarbeiter seien fristlos entlassen worden, zudem habe man bei der Polizei Strafanzeige gestellt, teilte die zuständige Direktorin Monique van’t Hek mit. Vergangene Woche war „Ärzte ohne Grenzen“im Gefolge des Oxfam-Skandals an die Öffentlichkeit gegangen. Dort soll es im vergangenen Jahr 24 Fälle von sexuellen Übergriffen gegeben haben; 19 Mitarbeiter wurden entlassen.
Ebenfalls am Donnerstag trat der Vizedirektor des UN-Kinderhilfswerks Unicef, Justin Forsyth, wegen Vorwürfen des Fehlverhaltens gegenüber Frauen am Arbeitsplatz zurück. Dies teilte Unicef mit und dankte Forsyth für seine zweijährige Arbeit bei der Organisation. Die Vorwürfe gegen Forsyth beziehen sich aber nicht auf seine Tätigkeit bei Unicef, sondern auf seinen vorherigen Posten als Chef der britischen Kinderhilfsorganisation „Save The Children“. Forsyth war von drei Mitarbeiterinnen dieser Nichtregierungsorganisation vorgeworfen worden, ihnen unangemessene Textbotschaften geschickt und Kommentare über die Kleidung junger Mitarbeiterinnen gemacht zu haben. Forsyth hatte sich seinerzeit entschuldigt. Unicef erklärte, von den Beschwerden über Forsyth nichts gewusst zu haben, als er 2016 angeheuert wurde.
Forsyth’ Freund Brendan Cox steht wegen Belästigungsvorwürfen im Kreuzfeuer. Einem umfassenden Artikel einer Sonntagszeitung kam der Witwer der ermordeten LabourAbgeordneten Joanne Cox durch ein tränenreiches Geständnis zuvor. Seine Posten bei zwei Hilfsorganisationen, die das Andenken seiner Frau bewahren sollen, legte er nieder.
Cox war bei Insidern schon berüchtigt, als seine Frau noch lebte. Bei „Save the Children“kursierte seit Längerem eine Anekdote, wonach man vor Jahren eine Mitarbeiterin in New York gebeten habe, den Besucher aus London für eine Nacht unterzubringen. Die Frau habe ihre WG-Partnerin um Erlaubnis gebeten, was diese mit der Bemerkung quittierte: „Der Mann kommt mir nur ins Haus, wenn Du mir ein Schloss an die Zimmertür baust.“
Joanne und Brendan Cox hatten sich während ihrer gemeinsamen Arbeit bei Oxfam kennengelernt. Die Organisation, 1942 als „Oxforder Komitee für Hungerhilfe“gegründet, genoss bisher einen untadeligen Ruf, an vergleichbare Skandale kann sich niemand erinnern.
Jetzt haben mehr als 7000 Spender ihre regelmäßigen Zahlungen eingestellt; der Friedensnobelpreisträger und emeritierte Bischof von Kapstadt, Desmond Tutu, 86, legte seine Funktion als Oxfam-Botschafter „tief enttäuscht“nieder. Er ist nicht der einzige Prominente, der seine Unterstützung beendete. Schauspielerin Minnie Driver (48) trat als Oxfam-Botschafterin zurück.
Finanzielle Mittel in Gefahr
Neben dem Imageverlust droht dem Hilfswerk mit 2500 Mitarbeitern und 31 000 Freiwilligen weltweit auch massiver Finanzschaden. Die konservative Entwicklungshilfeministerin Penelope Mordaunt gab Oxfam zu verstehen, man brauche sich bis auf Weiteres nicht mehr um öffentliche Gelder zu bemühen. Allein aus Mordaunts Etat bezog Oxfam zuletzt jährlich 32 Millionen Pfund, die EU legte weitere 29 Millionen Euro drauf. Dem jüngsten Jahresbericht zufolge kam das Gesamtbudget von 408,6 Millionen Pfund (461 Millionen) zu 45 Prozent von staatlichen Organisationen, der Rest von privaten Geldgebern und Unternehmen.
Geschmackloser Konter
Für die Vertuschung der internen Untersuchung von 2011, die sich auf Vorgänge in Haiti bezog, musste Oxfam-Vize Penelope Lawrence ihren Hut nehmen. Intern gilt aber auch Direktor Mark Goldring als beschädigt, nicht zuletzt durch ein Interview, in dem er Kritik geschmacklos konterte: „Haben wir etwa Babys in ihren Wiegen ermordet?“
Unterdessen melden sich in der britischen Diskussion auch Prominente zu Wort, die den Sektor verteidigen. Der Schriftsteller Mark Haddon („Supergute Tage“) rief die Öffentlichkeit dazu auf, weiter zu spenden: Er habe eine Vielzahl von Oxfam-Projekten, beispielsweise in Äthiopien und Jordanien, besichtigt, „die das Leben von Frauen verbesserten durch Arbeitsmöglichkeiten, ein eigenes Einkommen, Bildung und Gesundheitsvorsorge“. Allerdings müssten die Wohlfahrtsorganisationen ihre Tätigkeit einer genauen Prüfung unterziehen, Fehler akzeptieren und ausmerzen.