Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Die Schweizerinnen lächeln, Hirscher patzt und ein alter Schwede siegt
Michelle Gisin schnappt Mikaela Shiffrin Kombinationsgold weg, André Myhrer profitiert im Slalom von Favoritenstürzen
PYEONGCHANG (SID/dpa) - Als die Favoriten strauchelten und stürzten, waren André Myhrer und Michelle Gisin da: Olympia-Gold im Slalom ging nicht an den großen Marcel Hirscher, der ebenso ausschied wie Kronprinz Henrik Kristoffersen, sondern an den „alten Schweden“. Und während der Deutsche Skiverband wie zuletzt 2006 ohne Einzelmedaille blieb, schnappte Michelle Gisin aus der Schweiz dem amerikanischen Wunderkind Mikaela Shiffrin die Goldmedaille in der Kombination weg.
Der große Ingemar Stenmark hatte es geahnt. Er sah dem Favoritensterben von Stockholm aus zu und dachte: War doch klar. „André“, sagte die schwedische Ski-Legende bei Kanal 5 nach dem olympischen Slalom über seinen legitimen Nachfolger Myhrer, „ist schlau und alles perfekt gefahren, Kristoffersen hätte ihn eh nicht gekriegt. Und Hirscher auch nicht, das war nicht sein Tag.“
In der Tat: Topfavorit Hirscher scheiterte auf der „Mission Hattrick“nach 22 Sekunden. Und Kristoffersen, der Erste nach Lauf eins, schied im Finale nach zehn Toren aus. „Das ist ein unfassbares Gefühl“, sagte Myhrer über seinen unerwarteten Sieg, „ich habe für diesen Moment so viele Jahre so unfassbar hart gearbeitet. Es war eine verrückte Reise.“
Dass er nun auf einer Stufe mit Stenmark stehe, dem einzigen anderen alpinen Olympiasieger aus Schweden, sei „eine große Ehre“, sagte der 35-Jährige, der der älteste Slalom-Sieger der Geschichte ist und 2010 Bronze gewonnen hatte. Vor vier Jahren in Sotschi war er nach dem ersten Lauf Zweiter, schied im Finale aber aus. Diese Enttäuschung trieb ihn an und ließ ihn noch fokussierter arbeiten. Im Weltcup holte Myhrer bisher acht Siege – und kaufte sich danach stets eine Gitarre. „Ich bin nicht ganz sicher, was Olympia-Gold in Gitarren wert ist. Vielleicht muss ich zwei kaufen“, sagte er. Oben auf der Tribüne von Yongpyong verneigte sich Schwedens König Carl Gustaf XVI. vor seinem Untertan. „Man darf nie aufgeben. Bravo!“, sagte Seine Majestät.
Hirscher sagte, er sei mit dem Schnee nicht zurechtgekommen und habe sich „sch .... “gefühlt: „Hoffentlich“, ergänzte er, „erwische ich noch ein Ticket für einen Flieger nach Hause.“Was dort als Erstes zu tun sei? „Wäsche waschen“, sagte der DoppelOlympiasieger.
Eine letzte, kleine Chance auf eine Medaille erhielt überraschend auch Lindsey Vonn. Doch nach der schnellsten Kombi-Abfahrt war der Slalom für die Amerikanerin schon nach ein paar Sekunden vorbei – und damit der Traum vom Happy End einer „großartigen Reise“. Vonn hob die Arme in die Höhe, fuhr ins Ziel – und umarmte da drei glückliche Konkurrentinnen: Gisin, Shiffrin und Wendy Holdener (Schweiz). Tränen gab es diesmal nicht. „Alle Tränen sind bereits geflossen“, sagte Vonn. Am Mittwoch, da hatte sie in der Abfahrt Rang drei belegt, „und für mich war das wunderbar“, betonte sie. Okay, sie werde vielleicht später noch mal wei- nen, aber „im Moment bin ich trockengelegt“. Dass ihr letzter OlympiaWettbewerb nicht auf dem „Stockerl“endete – geschenkt. Dafür hätte sie ein Wunder benötigt, meinte Vonn, aber: „Dieses Wunder ist nicht passiert.“
Kein Wunder, zumindest aber überraschend war, dass Shiffrin nach Gold im Riesenslalom „nur“Silber gewann. Doch die 22-Jährige war mit sich im Reinen. „Zwei Medaillen bei Olympia, das ist krank“, meinte sie – und meinte es positiv.
Deutsche enttäuschen
Und die Deutschen? Fritz Dopfer kämpfte sich im Slalom auf Rang 20, Linus Straßer schied aus. „Linus hat leider noch zu oft Flüchtigkeitsfehler drin, die ihm zum Verhängnis werden. Das darf in einem solchen Rennen nicht passieren“, sagte der verletzte Kollege Felix Neureuther bei seiner Premiere als Co-Kommentator von Eurosport. Man habe einfach „Topathleten, die ausfallen. Ich bin auf dem Weg zurück. Das kann man nicht alles kompensieren“, sagte Dopfer eineinhalb Jahre nach seinem Schien- und Wadenbeinbruch. Die Schmerzen sind noch immer da.
Erstmals seit 2006 verlassen die DSV-Alpinen Winterspiele ohne Einzelmedaille. Eine letzte Chance gibt es am Samstag im Teamwettbewerb. Aber, sagte Alpinchef Wolfgang Maier, dafür bräuchte es absolute TopLeute – „und die haben wir einfach nicht“. „Wenn du mit einer Nullnummer nach Hause gehst, dann hast du nichts gerissen“, fügte er an und kündigte Reformen an. „Sicherlich. Du kannst nicht hingehen und sagen, ich mache weiter wie bisher.“Von einer Trennung von den Cheftrainern Mathias Berthold (Männer) und Jürgen Graller hält Maier aber nichts. Vielmehr will der 57-Jährige durch Veränderungen in der inhaltlichen Arbeit vor allem beim Nachwuchs dafür sorgen, dass ein Ausfall der Spitzenkräfte künftig nicht mehr für einen ganz so radikalen Kahlschlag in den Ergebnislisten sorgt. „Wir hatten schon immer den Plan, dass wir uns nach Olympia deutlich verändern müssen.“