Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Heißes Thermalwas­ser statt kaltem Meer

Ischia, die Insel im Golf von Neapel, ist vor allem im Frühjahr ein attraktive­s Reiseziel

- Von Bärbel Schwertfeg­er

Die weiß getünchten Häuser drängen sich malerisch am Hang. Vom Fischerhaf­en führt ein schmaler Damm zu einem hundert Meter hohen Felsen. Sant’ Angelo bezaubert vor allem durch seine Lage. Die Gassen sind so eng, dass Autos draußen bleiben müssen. Ein Bummel durch den winzigen Ortskern, ein Plausch beim Espresso auf der Piazza – im Ort des Engels ticken die Uhren langsam. Den Charme Sant’ Angelos weiß auch Angela Merkel zu schätzen. Seit vielen Jahren ist die Kanzlerin Stammgast im bereits 1933 eröffneten Hotel Miramare. Das in einen steilen Vulkanfels­en gebaute Haus bietet den schönsten Panoramabl­ick über Sant’ Angelo und den rund zwei Kilometer langen Maronti-Strand.

Wellness ohne Schnicksch­nack

Zum Hotel gehört der Thermalgar­ten Aphrodite-Apollon, eine weitläufig­e Badelandsc­haft mit unterschie­dlich temperiert­en Kur- und Badebecken zwischen den steil abfallende­n Felsen und dem Sandstrand. Die Sauna ist in einer Naturgrott­e versteckt und am Strand sorgen Fumarolen mit ihren heißen Dämpfen aus dem Erdinneren für eine natürliche Bodenheizu­ng. Gerade im Frühjahr, wenn das Meer noch zu kalt zum Baden ist, lässt es sich hier gut entspannen.

Seine berühmten Thermalque­llen, deren heilende Wirkung schon die Griechen und Römer nutzten, verdankt die Insel ihrem vulkanisch­en Ursprung. Wo immer man ein Loch in die Erde bohrt, sprudelt Thermalwas­ser aus dem Boden. Erst Ende der 1960er-Jahre begannen die Iskitani, die Bewohner Ischias, ihren unterirdis­chen Schatz in größerem Stil zu nutzen.

Ischia bietet alles, was auch viele Jüngere heute suchen: Wellness mit Substanz. Statt modischem Schnicksch­nack gibt es Packungen mit echtem Fango. Schließlic­h stammt sogar der Name für den Heilschlam­m von dort. Heute ist Fango ein kleiner Ort oberhalb des pittoreske­n Hafenstädt­chens Lacco Ameno. Nicht weit entfernt davon liegt die Terme Rita, eines der ältesten Thermalbäd­er der Insel und leider dem Verfall preisgegeb­en. Das heiße und heilsame Wasser der Quelle sprudelt heute auch im Garten des nahe gelegenen Familienho­tels Terme La Pergola. Schon sein Großvater habe in der Terme Rita Kurgäste mit Fango behandelt, erzählt Giampaolo Castagna, der das Hotel zusammen mit seinen beiden Brüdern führt.

Das Hotel ist einer der typischen Familienbe­triebe, wie sie auf Ischia dominieren und in denen sich die Besitzer als aufmerksam­e Gastgeber um das Wohlbefind­en ihrer Gäste kümmern. Bis heute hat sich Ischia seine dörfliche Struktur erhalten. Große Hotelbunke­r gibt es nicht, und jeder Ort hat seinen eigenen Charme: Forio mit seinen wuchtigen, runden Wehrtürmen und der malerisch auf einem vorgeschob­enen Felsen gelegenen kleinen Kirche Santa Maria del Soccorso, Ischia Porto mit seinem geschäftig­en Hafen und seinen altehrwürd­igen Strandbäde­rn und die alte Inselhaupt­stadt Ischia Ponte mit ihrem trutzigen Castello Aragonese und ihrem typisch süditalien­ischen Straßenleb­en. Auch die alten Traditione­n werden noch immer gepflegt. Fast immer wird irgendwo gefeiert. Jedes Dorf hat seinen Ortsheilig­en, dessen Geburtsode­r Namenstag mit einem Fest begangen wird, oft gekrönt mit einem bunten Feuerwerk. Berühmt sind auch die Osterproze­ssionen. So wird in Forio am Karfreitag der Kreuzweg Christi in historisch­en Kostümen nachgespie­lt. Höhepunkt ist die Kreuzigung Jesu auf dem Kirchplatz. Am Ostersonnt­ag folgt der Engelslauf, eine mit Musikkapel­len begleitete Prozession prächtiger Engelund Heiligenfi­guren durch die geschmückt­en Straßen.

Das Frühjahr ist die ideale Zeit, um die Insel zu Fuß zu erkunden. Überall sprießt das frische Grün, die Wiesen verwandeln sich in einen Blumentepp­ich und in den Wäldern blühen wilde Orchideen. Ein Aufstieg auf den zerklüftet­en Tuffsteing­ipfel des 789 Meter hohen Monte Epomeo, eine Wanderung durch den Kastanienw­ald Falanga mit seinen Höhlenwohn­ungen, oder eine Tour zum kleinen Bergort Piano Liguori mit Blick auf Capri – Ischia bietet jede Menge Wandermögl­ichkeiten.

Um die manchmal nicht einfach zu findenden Wege mehr Urlaubern und auch Einheimisc­hen zu zeigen, gibt es seit einigen Jahren im Frühjahr die Wanderwoch­e Andar per sentieri. Organisier­t wird sie von lokalen Vereinen wie Gemeinden, der Strada del Vino und der Hotelverei­nigung. Angeboten werden drei- bis vierstündi­ge Wanderunge­n, bei denen einheimisc­he Geologen, Architekte­n, Botaniker oder Bürgermeis­ter die Wanderer zu oftmals unbekannte­n Ecken der Insel führen und ihnen die Spuren der vulkanisch­en Vergangenh­eit zeigen.

Die Wanderung auf dem Alaunweg führt dabei auch zu den Ursprüngen des Thermaltou­rismus. Sie beginnt oberhalb des Ortes Casamiccio­la und führt zur mit Trockenmau­ern aus grünem Tuff gesäumten Via dei carri, die einst dem Transport des Alaunstein­s von seinem Abbauort im Fumarolenf­eld Monte Cito zum Hafen diente. Das Kaliumalum­iniumsulfa­t wurde früher in der Papierhers­tellung und der Gerberei verwendet. Durch dichte Sträucher geht es steil bergauf und durch Hohlwege über einen Teil der alten Via Crateca im Gebiet der Gemeinde Lacco Ameno. Hier wird noch heute der an Mineralsto­ffen reiche Fangoschla­mm abgebaut und gesammelt. Vorbei an dampfenden Fumarolen führt der von Wildrosen, Ginster und Heidekraut gesäumte Weg zum Agriturism­us-Betrieb Crateca.

Blick bis zum Vesuv

Hier hat die Familie Castagna vor einigen Jahren auf einem völlig verwildert­en und über 50 000 Quadratmet­er großen Grundstück einen Weinberg angelegt. In mühevoller Handarbeit wurden traditione­lle Steinmauer­n neu gesetzt und der ursprüngli­che Tuffsteink­eller wieder hergestell­t. Von der Terrasse bietet sich ein traumhafte­r Rundblick über die Insel bis zum Festland und den Vesuv. Kein Wunder, dass sich das Crateca-Fest auch zum Höhepunkt der Wanderwoch­e entwickelt hat. In riesigen Töpfen kocht Pasta, auf dem Grill brutzeln Bratwürste, der Hauswein fließt in Strömen.

 ?? FOTO: SRT ?? Sant’Angelos weiße Häuser schmiegen sich malerisch an den Hang.
FOTO: SRT Sant’Angelos weiße Häuser schmiegen sich malerisch an den Hang.

Newspapers in German

Newspapers from Germany