Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Rock, Pop und Rebellion vor 50 Jahren
Szenische Lesung von Christoph Wagner: „Träume aus dem Untergrund“
RIEDLINGEN (kn) – Zu einer szenischen Lesung mit Christoph Wagner hat der Neigungskurs Geschichte der Jahrgangsstufe 1, den Otmar Schneider leitet, in die Aula des Kreisgymnasiums geladen. Gekommen waren rund 50 interessierte Besucher – darunter viele, die sich gut an die 68er Jahre erinnern können, waren sie doch damals Jugendliche und haben die Umbruchstimmung in der Bundesrepublik gespürt. Christoph Wagner hat im September 2017 ein Buch mit dem Titel „Träume aus dem Untergrund“veröffentlicht.
Das Buch, welches sich mit der Musikszene in dieser Zeit befasst und den sehr treffenden Untertitel trägt: „Als Beatfans, Hippies und Folkfreaks Baden-Württemberg aufmischten“. Wagner hat akribisch recherchiert, Bilder, Poster und Eintrittskarten gesammelt und diese zunächst kommentarlos vorgeführt. Begleitet wurden die visuellen Impressionen von Fritz Heyeck am Keyboard, das er mal leise intonierte, mal jazzig klingen ließ und damit sehr wirkungsvoll die Bilder untermalte. Konzertankündigungen bestanden aus schreibmaschinengeschriebenen und vervielfältigtem einfachstem Papier und handgeschriebenen Ergänzungen. Konzertkarten waren zu haben für 9 DM (1969 für John Mayall in Ulm) oder für Deep Purple, die in Ravensburg aufgetreten sind.
Laut Wagner war 1968 eine magische Zahl für die BRD: Aufbruch und Rebellion, Demos, Barrikaden und Straßenkämpfe. Die Alltagskultur der jungen Menschen wandelte sich: Antiautoritäre Erziehung, lange Haare und auffallende Kleidung waren angesagt, mit dem Wertekanon des Elternhauses wurde gebrochen. Musik war ein ganz wichtiges Medium: Stars wie Hendrix, die Rolling Stones und Janis Joplin wurden wichtig; Clubs entstanden überall im Südwesten und man ging zu Popkonzerten und zu Festivals: „Man konnte Dope rauschen und mit der Freundin knutschen!“, so brachte Wagner dieses neue Lebensgefühl auf den Punkt.
Die Lords in Riedlingen
Für das Publikum mit Sicherheit der interessanteste Teil des Vortrags war, als Wagner auf die Riedlinger Musikszene einging: 1966 sind die Lords in der Stadthalle aufgetreten, Wonderland waren hier und Birth Control gaben ein Open-Air-Konzert beim Schützenhaus. Dort hatte die Riedlinger Band „Power Play“ihren Proberaum und man war dort weit vom Schuss und konnte mit „Krach proben“. Genauer beleuchtete Wagner noch die Szene in Reutlingen, wo „Gig“entstand, ein ehrenamtlich arbeitender Veranstalter, der sich zum Ziel gesetzt hat, gute und preiswerte Konzerte anzubieten, ohne Manager und Agenturen einschalten zu müssen.
Führende Pop-Nation war Ende der 60er Jahre England. Viele britische Gruppen waren unterwegs im Südwesten, wo sie viel weniger Konkurrenz hatten als in Großbritannien und wo sie gutes Geld verdienen konnten, natürlich für damalige Verhältnisse. Black Sabbath haben ihre erste „Deutschlandtournee“im Südwesten gemacht und sind in Göppingen, in Schorndorf und in Schwäbisch Hall aufgetreten.
Nach einer guten Stunde kurzweiliger Unterhaltung und Information – bei den musikalisch ummalten Bildern konnte man seiner eigenen Erinnerung nachhängen – bekamen Christoph Wagner und Fritz Heieck noch ein kleines Geschenk von den Schülern, die sich derzeit mit den 68er Jahren in Riedlingen befassen und dabei sind, eine Ausstellung über diese Zeit vorzubereiten.
Das reich bebilderte Buch „Träume aus dem Untergrund“ISBN 978-3-8425-2039-4 ist im Buchhandel erhältlich zum Preis von 24,90 Euro.