Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Hitler war nicht nur ein Fan von Hollywood
Amerikanischer Rechtshistoriker James Q. Whitman untersucht Einfluss der US-Rassengesetze auf Deutschland
Denkt man heute an Rassengesetze, denkt man an den Nationalsozialismus. So kann man ein Zitat abwandeln, das sich bei James Q. Whitman findet. Der Autor ist einer der bekanntesten Rechtshistoriker der USA, er lehrt in Yale. Sein neues Buch trägt den Titel „Hitlers amerikanisches Vorbild“und beschäftigt sich damit, wie die Nationalsozialisten Rassegesetze der USA und ihrer Bundesstaaten studiert haben. Daher heißt der eingangs zitierte Satz im Original: „Denkt man heute an Rassengesetze, denkt man an Nordamerika“. Der Satz stammt denn auch von einem Juristen und SS-Angehörigen, der in der Nazi-Zeit an Gesetzen auf Grundlage der Rassenlehre arbeitete. In den Augen der Nationalsozialisten, schreibt Whitman, waren die USA dafür das „klassische Beispiel“.
Brillant im Zugriff
Der Stuttgarter Historiker Wolfram Pyta lobt James Q. Whitman jetzt dafür, „mit einem heiklen Thema wissenschaftlich souverän umzugehen“. Das Buch ist knapp und brillant. Am Zugriff spürt man, dass es für ein amerikanisches Publikum geschrieben ist. Das zeigt sich vor allem am Anfang und am Ende. Die Einleitung führt die Leser behutsam an den Gedanken heran, dass ihnen ungemütliche Einsichten zugemutet werden.
Die Pointe des Buches besteht nämlich darin, dass sich die Nationalsozialisten bei ihrer Rassen-Gesetzgebung, den Nürnberger Gesetzen von 1935, an Gesetzen orientierten, die in den USA bereits existierten. Wenngleich, das führt das Buch dann im Detail aus, mit anderen Absichten und Hintergedanken. Was in Deutschland zur Grundlage für Diskriminierung, Verfolgung und Ermordung der Juden wurde, zielte in den USA auf Rassentrennung. Die Nationalsozialisten interessierten sich für die Abstufungen im amerikanischen Bürgerrecht, die Schwarze, Asiaten, Indianer, Filippinos und Puertoricaner zu Bürgern zweiter Klasse machten. So schmerzlich solche Querverbindungen sind: „Auch das muss Teil unseres nationalen Narrativs sein“. Mit diesem Satz endet das Buch.
Imperialismus und Rassismus
Der Rassismus in der Rechtsordnung der USA hat sich, wie Whitman zeigt, zum einen aus dem Bürgerkrieg zwischen den Nord- und Südstaaten entwickelt, zum anderen aus der Bürgerrechts- und Einwanderungsgesetzgebung. Als der Kongress 1790 zum ersten Mal zusammentrat, erklärte er „jeden Ausländer, sofern er Weißer ist“zum Staatsbürger. Mit der Zeit reagierte die Gesetzgebung auf Migrationswellen. Immigranten aus Asien bremste der Bundesstaat Kalifornien 1870 aus, 1922 zog das nationale Recht nach. Erst wurden Chinesen, dann Japaner ausgeschlossen. Proteste des Kaiserreichs bewirkten, dass die rassische Begründung fiel: Nun wurden Schreibprüfungen verlangt. Dann werden die Asiaten den Homosexuellen, Anarchisten und Geisteskranken beigesellt, die es ebenfalls fernzuhalten gilt. In den 1920er-Jahren werden Quoten nach Herkunftsländern festgesetzt, 1924 Angehörige der „unerwünschten Rassen aus Ostund Südeuropa“gegen die willkommene „nordische Rasse“abgesetzt. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert jedenfalls wurden die USA als „führend bei der Entwicklung einer rassistischen Zuwanderungs- und Einbürgerungspolitik“eingeschätzt. Allein waren sie damit nicht. Das Konzept, das dahinter steht, nämlich Staaten ethnisch homogen zu gestalten, gehörte, wie Whitman schreibt, „zum britischen Imperialismus rund um den Erdball“. Rassenlehre und Eugenik waren in den 1930er-Jahren weit verbreitet: Großbritannien, Australien, Neuseeland und Kanada untersuchten Einwanderer auf „Erbgesundheit“. Was Amerika in den Augen der Nazis darüber hinaus interessant machte, war die Expansion der Weißen auf dem Kontinent, der ihr Projekt der Eroberung neuen „Lebensraums im Osten“vorwegnahm.
Die USA wurden in den 1930erJahren in manchen Bereichen von den Nationalsozialisten als Vorbild betrachtet, nicht nur bei der Gesetzgebung. Das ist bekannt. Hitler bewunderte Hollywood und Roosevelts Wirtschaftspolitik des „New Deal“. Freilich ist das Wissen darum auch nicht gerade Gemeingut. Und diese Erkenntnis kollidiert mit einem kommoden Blick auf den Nationalsozialismus, nämlich ihn so begreifen zu wollen wie eine Klammer in der Mathematik, also als Gebilde völlig eigenen Charakters. „Der Nationalsozialismus“, schreibt Whitmann, „war aber nicht einfach eine alptraumhafte historische Klammer, die in keiner Beziehung zu dem stand, was davor und danach passierte. Es gab Kontinuitäten zwischen dem Nationalsozialismus und dem,, was davor, und was danach war. Es gab Exempel und Inspirationen, von denen die Nazis zehrten. Den amerikanischen Rassengesetzen kam dabei eine prominente Rolle zu.“
James Q. Whitman: Hitlers amerikanisches Vorbild. C.H.Beck, München 2018, 249 Seiten. 26,95 Euro.