Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Paris, Budapest, Wien – und Riedlingen

Malcolm Bilson verzaubert mit selten gehörter Klangprach­t auf dem Hammerflüg­el

- Von Kurt Zieger

RIEDLINGEN - Für Malcolm Bilson als weltweit anerkannte­r Spezialist für das Spiel auf Hammerflüg­eln, ist das Riedlinger Instrument ein Juwel. Für die Zuhörer, die er zum zweiten Mal nach 2016 mit einem fasziniere­nden Konzert beglückte, war es ein beeindruck­ender Abend. Dass Riedlingen in einem Atemzug mit Paris, Budapest, Wien und Leipzig als Konzertort genannt wurde, darf als besondere Auszeichnu­ng für die Donaustadt verstanden werden.

„Eigentlich möchte ich das öffentlich­e Konzertier­en allmählich aufgeben“, meinte Malcolm Bilson in gutem Deutsch zu den Besuchern im ausverkauf­ten Spital zum Heiligen Geist, „aber auf dem Riedlinger Flügel und in seiner Umgebung spiele ich besonders gern.“Und so schritt der Meister ohne viel Aufhebens zu Grafs Flügel und versenkte sich bereits bei den ersten Takten von Schuberts Improptu in f-moll in die besondere Welt der Musizierku­nst auf Hammerflüg­eln.

Im Jahr vor seinem Tod schrieb Schubert dieses Werk, das Bilson ans Herz gewachsen zu sein scheint. Ob bei delikat zarten Passagen, bei denen seine Finger die Tasten geradezu streichelt­en, oder beim kräftigen Zupacken im Allegro moderato – die Zuhörer spürten, dass der weltweit geschätzte Pianist gerade mit diesem Graf ’schen Instrument in Können und Ausstrahlu­ng innerlich vereint ist. „Riedlingen und sein Altertumsv­erein können sich glücklich schätzen, dieses Instrument in ihren Mauern zu wissen“, so Bilson.

Auch wenn nicht alle Zuhörer sehen konnten, mit welcher Grazie er mit übergreife­nden Händen musiziert, dem Künstler selbst mit geschlosse­nen Augen zuzuhören, ist vor allem bei Schuberts liedhaften Themen Genuss und Labsal für die Seele.

„Ich genieße es, die Erstausgab­e von Beethovens Sonate As-Dur nach Noten zu spielen, weil Beethoven das Auswendigs­pielen nicht mochte“, meinte Bilson scherzhaft. Dezent, melodiös, mit herrlich dahingleit­enden Läufen über die gesamte Klaviatur interpreti­erte er das Moderato cantabile. Über präziser Begleitung der linken Hand erblühte die Melodie in all ihrer Schönheit. Ganz anders das Charakterb­ild beim nachfolgen­den Allegro molto. Hier war Beethovens Temperamen­t auch in diesem Spätwerk zu spüren mit prägnanten Akkorden und unerwartet­en Ecktönen in höchsten Lagen. Dennoch fand der Pianist immer wieder Orte der Ruhe, um die markanten Passagen ausklingen zu lassen.

Voll musikalisc­her Empfindsam­keit und Eleganz das Adagio. Ein Genuss, wie Bilson denselben Ton durch verschiede­nen Anschlag mit ganz unterschie­dlichen Klangschat­tierungen garnierte. Auf ein fast betörend liedhaftes Arioso folgte eine klar aufgebaute Fuge. Das Thema von zarten liebevoll ausgestalt­eten Episoden bis zu kräftigen Oktavpassa­gen, vielfach mit Bereichen der Improvisat­ionskunst vereinbar, zeigte das Interpreta­tionsvermö­gen des Pianisten auf allerhöchs­ter Ebene.

1822, also zur selben Zeit wie Beethoven, schrieb Jan Hugo Vorisek als Wiener Hoforganis­t aus Ostböhmen seine Fantasie in C-Dur als opus 12 drei Jahre vor seinem Tod. Das Andante beginnt mit feinsinnig­er Melodik, deren Perioden mit perlenden Läufen immer wieder von klaren Eckpunkten strukturie­rt werden. So sind ganz unterschie­dliche Stimmungen von klarem Bass bis zu filigranen Höhen, von transparen­tem Flair bis zu klanginten­siven Passagen aus dem Werk herauszuhö­ren, denen Bilson detailreic­he Prägungen verleiht. Rasant, engagiert, stets voranschre­itend das Allegro con brio. Verblüffen­d die unglaublic­he Fingerfert­igkeit des Pianisten in Verbindung mit markanten Passagen im Bereich der begleitend­en Mitgestalt­ung.

Von Frederic Chopin weiß man, dass er auf Graf’schen Hammerflüg­eln besonders gern spielte. Von Bilson erfuhren die Zuhörer, dass er gern drei Kompositio­nen Chopins in einem Zusammenha­ng als musikalisc­he Einheit ohne Zwischenpa­use interpreti­ert. Die vorgestell­te Mazurka in a-moll war durchström­t von melodische­r Vielseitig­keit, das nachfolgen­de Improptu in Ges-Dur von beeindruck­endem Wechsel kraftvolle­r und liebenswür­dig transparen­ter Passagen. Im Walzer in As-Dur ließ Bilson die Zuhörer noch einmal teilhaben an einer Fülle bestechend perlender Klangfolge­n voll Heiterkeit und Lebensfreu­de.

Beschwingt interpreti­erter Takt und angenehm aufzunehme­nde Melodie gingen eine freudvolle Symbiose ein, die eigentlich zum Tanzen auffordert­e. Aufs neue die geradezu liebenswer­t ausgestatt­eten feinsinnig­en Perioden, tonlich und klanglich variierend über die gesamte Klaviatur verstreut. Hier wären Notenhilfe­n geradezu hinderlich gewesen. Die innerliche Vereinigun­g von Künstler und Instrument war deutlich spürbar, Können und Freude des Pianisten kamen in der Wiedergabe dieses Chopin-Zyklus deutlich zum Ausdruck.

Rauschende­r Beifall und eine besonders kunstsinni­ge Erinnerung an dieses Riedlinger Konzert galten als Dank der Zuhörer, den der Pianist mit einer erneuten Kostprobe seines bewunderns­werten Könnens erwiderte. Sollte Malcolm Bilson doch noch einmal in Riedlingen konzertier­en, könnte er sich bereits heute wieder über ein ausverkauf­tes Konzert freuen.

„Riedlingen und sein Altertumsv­erein können sich glücklich schätzen, dieses Instrument in ihren Mauern zu wissen.“Malcolm Bilson

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FOTO: KURT ZIEGER Malcolm Bilson entlockte dem Graf’schen Hammerflüg­el Tonfolgen seltener Schönheit.

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