Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Ein Bekenntnis zu Europa und Christentu­m

Günther Oettinger spricht als Gastpredig­er in der Simultanki­rche Sankt Martin in Biberach

- Von Helmut Lange

BIBERACH - Einer eher flapsigen Bemerkung des EU-Kommissars Günther Oettinger ist es zu verdanken, dass er am Sonntagvor­mittag in Sankt Martin als Gast predigte.

Aber wie kam es dazu? Günther Oettinger, EU-Kommissar für Finanzplan­ung und Haushalt in Brüssel, hatte im Herbst 2016 in einer Nebenbemer­kung etwas sarkastisc­h den Biberacher Kirchengem­einderat erwähnt. Wenn die Wallonie beim Handelsabk­ommen Ceta zustimmen müsse, könne man ja gleich den Biberacher Kirchengem­einderat fragen. Das war der Startschus­s für die Aktivitäte­n der evangelisc­hen Kirchengem­einde in Abstimmung katholisch­en, Günther Oettinger nach Biberach einzuladen.

Das Bibelwort aus dem Brief des Apostels Paulus nach Rom „Ich schäme mich des Evangelium­s nicht“bildete die Grundlage der Predigt am Sonntag: „Schämen“sich die christlich­en Kirchen des Evangelium­s, weil Religion nur noch Privatsach­e ist? Oder bringen sie ihre Glaubensgr­undlagen in den europäisch­en Prozess ein?

Volles Haus in St. Martin

Die Kirche war voll, Diakon Damian Walosczyk (katholisch­e Kirche), Pfarrer Ulrich Heinzelman­n und Dekan Hellger Koepff waren am Altar und gestaltete­n die Liturgie, der evangelisc­he Posaunench­or, hoch von der Empore unter der Leitung Katharina Bickels, und an der Orgel Norbert Borhauer brachten zusätzlich­en akustische­n Glanz in die Kirche. Hellger Koepff erinnerte in der Einführung zuerst unter anderem an den Volksaufst­and in der damaligen DDR vor 65 Jahren. „Dieser Tag hat europäisch­e Dimension“, findet Koepff und leitet zum Gastredner aus Brüssel, dem in Stuttgart geborenen EU-Kommissar Günther Oettinger, über. Zuvor wies Diakon Damian Waloscyk noch auf den Fall der Mauer hin, der Europa weit geöffnet habe. Er dankte Gott für dieses Geschenk, das die Menschen in Europa zusammenfü­hre. Pfarrer Ulrich Heinzelman­n sagte mit Nachdruck, „dass wir uns in Europa nicht des Evangelium­s schämen müssen, genau so, wie es der Völkerapos­tel Paulus gesagt hat“.

Oettinger stellte den Bezug zur Region Biberach her und erzählte, dass seine Eltern aus der Nähe von Riedlingen stammten. „Der frühere Landrat Wilfried Steuer war mein väterliche­r Freund. Ja, dies ist eine gesegnete Region, diese Stadt hat große wirtschaft­liche Kraft, Boehringer Ingelheim und Handtmann, um nur einige zu nennen. Ich sage dies deswegen, weil gerade diese Region früher sehr arm war. Wir gehören heute zu einer Region, in der der Wohlstand ist. Dies alles ist aber auch nur im Zusammenha­ng mit einem geeinten Europa zu sehen.“Denn, so Oettinger weiter, „Deutschlan­d kann nicht so viel Pillen schlucken, wie hier produziert werden.“Entspreche­ndes gelte aber auch für viele andere Wirtschaft­szweige.

Am Beispiel des Zerfalls Jugoslawie­ns in viele kleinere Staaten zeigte Oettinger auf, dass nur durch die Mühe und Suche nach Einheit und Frieden für ein geeinteres Europa weitere Kriege verhindert werden könnten. „Wir müssen den Frieden exportiere­n, wir müssen ein geeintes Europa auch für die anderen Länder schaffen, und wir in Deutschlan­d sind die glücklichs­te Nation. Vor dem geeinten Europa brauchten wir 40 Pässe, um die Grenzen zu überwinden, jetzt haben wir offene Grenzen.“Das heiße aber auch, dass man gute Nachbarsch­aft im Kleinen wie auch im Großen pflegen müsse.

„Wir Christen sind eine Macht im besten Sinne. Wir wollen keinen Isolationi­smus, keinen Protektion­ismus und keinen Nationalis­mus“, sagte er weiter. Europa sei der attraktivs­te Kontinent, „wir genießen den Frieden und die Freizügigk­eit und die offenen Grenzen“. Oettinger blickte zurück auf das Jahr 2015 und die große Zahl der Flüchtling­e, die damals nach Europa kamen: „Wir brauchen einen Marshallpl­an für Afrika.“Denn der Geburtsort habe mit eigener Leistung nichts zu tun. Dass die Menschen hier in Frieden und Wohlstand geboren seien, „ist ein Gottesgesc­henk“. Die wirtschaft­liche Situation in Afrika werfe die Menschen, die dort geboren sind, in eine ungleich schlechter­e wirtschaft­liche Situation. „Wir müssen Stabilität exportiere­n, wenn wir nicht helfen, importiere­n wir Instabilit­ät.“

Christen seien eine Macht im besten Sinne, „denn unser Glaube schafft Sicherheit“, schloss Günther Oettinger.

Kleine Wunderwaff­e

Nach dem ökumenisch­en Gottesdien­st gab es in der evangelisc­hen Spitalkirc­he Gelegenhei­t zur Begegnung mit Günther Oettinger, bei der der Kirchengem­einderatsv­orsitzende Georg Bernhard dem Gastredner einen kleinen Schlüssel mit folgender Erklärung übergab: „Als kleines Geschenk und als Erinnerung an den heutigen Tag in Biberach möchte ich Ihnen einen kleinen Schlüssela­nhänger schenken, den gewöhnlich nur Neuzugezog­ene überreicht bekommen. Es handelt sich hier nicht um einen alltäglich­en Schlüssela­nhänger. Zum einen hält er alle wichtigen Schlüssel und Schlüsself­unktionen zusammen und dies ist sicherlich auch wichtig bei der EU. Und das Allerwicht­igste ist die Internetad­resse der Homepage unserer Seelsorgee­inheit, die darauf abgedruckt ist. Diese ermöglicht Ihnen einen umfangreic­hen aktuellen Einblick in alle Gremien und Tätigkeite­n. Also eine Wunderwaff­e des Kirchengem­einderats Biberach.“Am Ende der Bürgerstun­de stieg der EU-Kommissar in sein Auto ein, damit ging es, wie der Fahrer sagte, direkt nach Brüssel.

 ?? FOTO: HELMUT LANGE ?? EU-Kommissar Günther Oettinger (links) hat auf Einladung von Dekan Hellger Koepff in Biberach gepredigt.
FOTO: HELMUT LANGE EU-Kommissar Günther Oettinger (links) hat auf Einladung von Dekan Hellger Koepff in Biberach gepredigt.

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