Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Wahl mit Risiken für Erdogan
Unabhängig vom Ergebnis der türkischen Wahlen wird das Land auf Monate hinaus mit vielen Problemen beschäftigt sein. Den Umfragen zufolge ist eine Machtteilung in Ankara das wahrscheinlichste Resultat. Staatschef Erdogan bleibt zwar im Präsidentenpalast, doch im Parlament muss er mit starken Gegenkräften zurechtkommen. Eine solche Konstellation erfordert Kompromissbereitschaft, die nicht zu den Stärken des 64-Jährigen zählt. Schon wird deshalb über erneute Wahlen noch vor Jahresende spekuliert, doch angesichts der Stimmung in der Bevölkerung wäre das ein hohes Risiko für Erdogan. Je nach Wahlausgang könnte schon am Sonntagabend eine Nachfolge-Diskussion beginnen.
Politische Stabilität – das Hauptversprechen Erdogans mit Blick auf das Präsidialsystem – wird es also voraussichtlich nicht geben. Dabei muss die Türkei dringend Reformen angehen, unter anderem in der Wirtschaft. Das Land hat sich bis jetzt auf Investoren verlassen, die ihr Geld aus Schwellenländern wie der Türkei abziehen. Erdogans Einmischung in die Arbeit der Zentralbank hat die Anleger zusätzlich verunsichert. Der Kursverfall der Lira wirft die Frage auf, wie türkische Unternehmen ihre Schulden von rund 200 Milliarden Dollar bezahlen sollen.
Schwierige Entscheidungen stehen auch in der Außenpolitik an. Die Türkei hat sich tief in den SyrienKrieg verstrickt und zugleich Soldaten in den Irak entsandt, um dort gegen die kurdische Terrororganisation PKK vorzugehen. Eine strategische Sackgasse deutet sich an. Erdogans Vorstellung, die Türkei könne als eigenständige Kraft die Entwicklungen in Europa und im Nahen Osten beeinflussen, entspringt einem verzerrten Selbstbild, das den tatsächlichen Machtverhältnissen nicht entspricht: In Syrien etwa kann Ankara nicht ohne grünes Licht aus Moskau handeln. Gleichzeitig bricht Erdogan die Brücken zum Westen ab. In seiner neuen Regierung wird es laut Medienberichten kein EU-Ministerium mehr geben. Neue Richtungsentscheidungen wären also fällig, doch ob Ankara nach der Wahl dazu fähig sein wird, ist unsicher.
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