Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Was die Europäer trennt – und was sie eint
Beim EU-Gipfel will Kanzlerin Merkel eine Einigung in Sachen Migration erreichen – die Hürden sind hoch
BRÜSSEL - Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) möchte am Donnerstag und Freitag beim EU-Gipfel in Brüssel eine gesamteuropäische Lösung für das Streitthema Migration finden. Doch wie stehen die Chancen dafür? Generell bewegen sich die EU-Mitgliedsstaaten aufeinander zu. Das liegt vor allem an einer wachsenden Abwehrhaltung der Europäer gegen Zuwanderung. Die wichtigsten Übereinstimmungen – und Konfliktlinien im Überblick:
Was alle eint:
Der Ausbau der „Festung Europa“wird immer mehr zum gemeinsamen Nenner, den alle Mitgliedsstaaten, von Polen über Schweden bis Spanien, unterstützen. Uneinig ist man über die Aufteilung der Kosten und über die Fragen, was mit den an den Grenzen oder auf dem Meer gestrandeten Menschen passiert und wie man erreichen kann, dass sich weniger Flüchtlinge auf den Weg nach Europa machen. Angela Merkel nennt häufig das Türkeiabkommen vom März 2016 als Modell. Die EU bezahlt Ankara dafür, dass die Regierung die Flüchtlinge an der Überfahrt nach Griechenland hindert. Drei Milliarden Euro sind bereits geflossen, noch einmal die gleiche Summe soll bis Ende des Jahres überwiesen werden. Das Konstrukt hängt am guten Willen des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Außerdem ist es fast unmöglich zu kontrollieren, dass die Brüsseler Milliarden tatsächlich in Unterbringung, medizinische Versorgung und Ausbildung der knapp drei Millionen in der Türkei lebenden syrischen Flüchtlinge fließen. Trotz der damit verbundenen humanitären und politischen Probleme einigten sich die 16 am Sonntag versammelten Regierungschefs darauf, weitere Abkommen dieser Art anzustreben. Das UN-Flüchtlingshilfswerk und die Internationale Organisation für Migration sollen mit der EU Lager errichten, in denen Asylanträge für Europa gestellt werden können. Mitgliedsstaaten mit guten Beziehungen zum Nachbarn sollen die Verhandlungen führen. Spanien würde sich also um Marokko kümmern, mit dem es ein bilaterales Rücknahmeabkommen hat. Italien wäre für Libyen zuständig. Österreich könnte Serbien übernehmen. Spätestens an diesem Punkt aber ist Schluss mit den Gemeinsamkeiten.
Die Visegrad-Staaten:
Egal, ob derartige Lager auf europäischem Boden oder außerhalb der EU errichtet werden – will die EU nicht jede Glaubwürdigkeit verlieren, können die als Asylbewerber oder Schutzberechtigten anerkannten Menschen dort nicht auf Dauer bleiben. Wie aber werden sie auf die Mitgliedsstaaten verteilt? Überhaupt nicht, sagen Ungarn, Tschechien, die Slowakei und Polen. Sie beharren darauf, dass die geltenden Regeln (das Ersteinreiseland ist für das Asylverfahren zuständig) beibehalten werden. Außerdem wollen sie durch rigide Kontrollen Schutzsuchende abschrecken. Die Methode zeigt Wirkung, die Fluchtroute über den Westbalkan wird kaum noch genutzt.
Die Grenzstaaten:
Italien, Malta, Spanien und Griechenland haben alle dasselbe Ziel: Sie wollen Menschen in Seenot retten und mit dem Nötigsten versorgen. Sie wollen damit aber nicht automatisch für deren Asylverfahren und dauerhafte Unterbringung zuständig sein. Das sah in Italien bereits die abgewählte Regierung Paolo Gentiloni so. Nachfolger Giuseppe Conte vertritt dieselbe Position – nur eben, da von einem scharfmacherischen Innenminister getrieben, etwas konsequenter. Zum Minigipfel am vergangenen Sonntag brachte er einen Zehn-Punkte-Plan mit, in dem es heißt: „Wer in Italien landet, landet in Europa.“Alle vier Länder mit Seeaußengrenzen wollen die Dublinverordnung abschaffen und die Flüchtlinge künftig nach einem Schlüssel aus Bevölkerungszahl und Wohlstandsniveau auf die Mitgliedsstaaten verteilen.
Die EU-Kommission:
Aus Brüsseler Perspektive sind Alleingänge der Staaten falsch. Der Königsweg liegt aus ihrer Sicht darin, die Asylverfahren, -standards und -leistungen zu harmonisieren und so den Anreiz für Asylsuchende zu verringern, sich nach Deutschland oder Schweden durchzuschlagen. EUHaushaltskommissar Günther Oettinger merkte am Montag auf Fragen zum Streit zwischen CDU und CSU in dieser Frage an, dass Deutschland deutlich weniger attraktiv wäre, wenn es abgelehnte Asylbewerber konsequenter abschieben würde. Helfen würde aus seiner Sicht außerdem eine bessere Zahlungsmoral für die Türkeihilfen oder den Afrikafonds. Denn je schlechter die Bedingungen in den Lagern entlang der Fluchtrouten sind, desto mehr Menschen machen sich auf den Weg Richtung Norden.