Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Mit Ziegen zu leben ist Kunst
„Zwischen Atelier und Labor“: Museum Villa Rot lässt Kunst und Wissenschaft miteinander verschmelzen
BURGRIEDEN-ROT - Künstler arbeiten heute nicht mehr nur einsam im Atelier vor sich hin, sondern suchen immer mehr den Dialog mit anderen Bereichen. Wichtige Impulse kommen inzwischen aus den Naturwissenschaften. Die neue Ausstellung in der Villa Rot zeigt 40 Werke von 16 Künstlerinnen und Künstlern, die an der Schnittstelle zwischen Atelier und Labor arbeiten. Viele dieser Arbeiten sind faszinierend, manche aber auch befremdlich oder schaurig.
Triebfeder ist die Neugierde
Naturwissenschaft und Kunst scheinen nichts miteinander zu tun zu haben. In den Disziplinen wird unterschiedlich gedacht, gearbeitet, beobachtet. Wissenschaft und Kunst verbindet jedoch ein wesentliches Merkmal: die menschliche Neugier; dieser tiefe Wunsch, unsere Welt zu begreifen. Der Londoner Thomas Thwaites zum Beispiel hatte genug vom menschlichen Dasein, vom deprimierenden Alltag und fragte sich, wie es wohl wäre, als Tier zu leben. In einem Labor ließ er sich den Bewegungsapparat und die Anatomie von Ziegen erklären, um danach Konstruktionen zu bauen, mit denen er sich auf allen Vieren fortbewegen kann. Mit diesen seltsamen Apparaten reiste er schließlich in die Schweizer Alpen und zog eine Woche lang mit einer Herde Bergziegen durch die Landschaft – und zwar Tag und Nacht.
Auf den ersten Blick wirkt Thwaites Plan grotesk, völlig verrückt. Doch wer sich Zeit für seinen Dokumentarfilm und die Fotografien nimmt, wird feststellen, dass der Künstler und Designer die Selbstverständlichkeiten des Menschseins infrage stellt. Man denke nur an unsere Arme und Hände, die uns viele Situationen im Alltag erleichtern.
Thwaites ist nicht der einzige Künstler, der das Atelier verlässt, um selbst forschend tätig zu werden, wie der Rundgang durch die neue Ausstellung in der Villa Rot zeigt. Die einen wagen schräge Experimente, die anderen arbeiten gezielt mit Wissenschaftlern zusammen, um Neues zu schaffen. Sonja Bäumel zum Beispiel fasziniert die Erforschung von Bakterien. Für ihr Projekt „Expanded Self“(Erweitertes Selbst) legte sie sich nackt in eine mit Agar Agar gefüllte, riesige Petrischale. Schon nach kurzer Zeit wurden die Aktivitäten der Körperbakterien sichtbar. Am Ende steht ein authentischer Abdruck ihres Körpers und damit eine völlig neue Art von Selbstbildnis. Natürlich ist bekannt, dass sich zig Bakterien auf unserer Haut befinden, aber eigentlich will man es gar nicht so genau wissen.
Bei Bäumel wirken solche Versuche noch einigermaßen ästhetisch, bei Theresa Schubert wird’s dann glibbrig und eher eklig. Sie züchtet Schleimpilze, die weder Pflanze noch Tier sind, in Glaskolben und fügt ihnen verschiedene psychoaktive Substanzen zu - vom Tabak bis zum Baldrian. Die Ergebnisse sind ernüchternd und stimmen nachdenklich.
Das menschliche Streben nach Fortschritt führt bekanntermaßen nicht immer zu positiven Ergebnissen. Und so beschäftigen sich auch einige Künstler in der Schau mit den Gefahren, die vom Labor ausgehen. Sie agieren an der Grenze zwischen Faszination, Erschrecken und Kritik am Umgang mit den Möglichkeiten der Biotechnik. Man denke nur an die umstrittene embryonale Stammzellforschung.
Reiner Maria Matysik beispielsweise provoziert mit einer Petition, in der er zum Volksentscheid über die Erlaubnis zur Schaffung von Mischwesen aus Mensch und Affe aufruft. Abgesehen von ethischen Gründen, die gegen solche Experimente sprechen, bleibt die Frage, wer sich anschließend um diese Kreaturen kümmert, falls sie sich nicht selber versorgen können. Ans Eingemachte geht es auch bei Pinar Yoldas. Mit ihren „Designer Babies“aus dem 3-D-Drucker mischt sich die Künstlerin und Wissenschaftlerin aktiv in die Diskussion ein, ob der Mensch die DNA von Lebewesen ändern darf oder ob es Grenzen beim Wunsch nach Optimierung geben muss.
Schönheit und Bedrohung
Wissenschaftliche Fortschritte in einen neuen Kontext zu setzen, das ist das Konzept der neuen Ausstellung in der Villa Rot, die Museumsleiter Marco Hompes auf die Beine gestellt hat. Die Kunst stellt uns Fragen nach dem Sinn der technischen Möglichkeiten, ohne sie beantworten zu können. Die Kunst zeigt aber auch die Schönheit und Wunder der Natur. Etwa wenn Simone Demandt wissenschaftliche Pflanzenmodelle aus der Jahrhundertwende fotografiert oder Lea Grebe tote Wespen in Bronze gießt.
Eine gelungene Ergänzung sind die fantastischen Malereien im fotorealistischen Stil von Eckart Hahn, die zeitgleich in der Kunsthalle der Villa hängen. Der Maler findet seine Motive hauptsächlich in der Tierwelt. Doch selbst hier steckt der Teufel im Detail, etwa wenn er vom Aussterben bedrohte Exemplare aus aller Welt auf die Leinwand bannt. So erscheint ein Tiger in einer Konstruktion aus Papier nicht mächtig und stolz, sondern fragil und verletzlich.
Die Ausstellung „Zwischen Atelier und Labor“im Museum Villa Rot dauert bis 3. Oktober. Öffnungszeiten: Mi.-Sa. 14-17 Uhr, So. 11-17 Uhr. Weitere Infos zu Führungen und Workshops unter: