Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Trump sorgt für Chaos bei Nato-Gipfel
US-Präsident droht Partnern – Entwicklungsminister Gerd Müller widerspricht ihm
BRÜSSEL/KEMPTEN (dpa/clak) Unter beispiellosem Druck von USPräsident Donald Trump hat Bundeskanzlerin Angela Merkel weitere Zugeständnisse bei den deutschen Militärausgaben angedeutet. Angesichts der Diskussion in der Nato „müssen wir immer wieder fragen, was können wir gegebenenfalls noch mehr tun“, sagte die CDU-Chefin am Donnerstag beim Nato-Gipfel. Zuvor hatte Trump einen Alleingang in Verteidigungsfragen angedroht. Nach einer Krisensitzung zeigte er sich aber zufrieden und sicherte seine Bündnistreue zu.
Hintergrund dieses Hin und Hers ist der Streit über das sogenannte Zwei-Prozent-Ziel der Nato. 2014 hatten die Partner zugesagt, bis 2024 Verteidigungsausgaben in Höhe von zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts anzustreben. Deutschland erreicht derzeit nur 1,24 Prozent. Trump hatte deshalb gefordert, alle Nato-Partner müssten sofort die zwei Prozent anstreben. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) wies die Kritik zurück. Deutschland erhöhe sowohl den Haushalt für Verteidigung als auch für Entwicklung – „im Gegensatz zu den USA, die ihre Verteidigungsausgaben massiv ausbauen, aber ihre Mittel für Entwicklung und humanitäre Hilfe verringern“, sagte Müller der „Schwäbischen Zeitung“. „Frieden sichern, heißt in Entwicklung und Sicherheit zu investieren.“
BRÜSSEL (dpa) - Zwischenzeitlich sieht es so aus, als stünde die Nato am Abgrund. Donald Trump droht beim Gipfel in Brüssel mit einem Alleingang, eilig beruft das Bündnis eine Krisensitzung ein – und kurz darauf scheint alles wieder gut. Und am Ende eines Nato-Gipfels, an dem Donald Trump mit einem Alleingang der USA drohte, an dem das mächtigste Militärbündnis der Welt ernsthaft zu wanken schien, steht der USPräsident auf einem Podium und spricht über den Weltfrieden.
Eine Zukunft ohne Atomwaffen, ohne Kriege, das sei sein ultimatives Ziel, sagt er zum Abschluss eines Treffens, das einer emotionalen Achterbahnfahrt glich. Der Nato sichert er die Bündnistreue zu. Die anderen Mitglieder, denen er kurz zuvor noch deutlich wie nie zuvor gedroht hatte, lobt er überschwänglich. Die zwei Tage in Brüssel seien großartig gewesen, die Stimmung kollegial, man habe viel erreicht, die Nato laufe wie eine „fein abgestimmte Maschine“.
Der US-Präsident spricht davon, dass es beim Gipfel „enorme Fortschritte“gegeben habe, andere Länder hätten „erhebliche“Zusagen bei den Verteidigungsausgaben gemacht.
Keine neuen Abmachungen
Dabei gibt es keine neuen Abmachungen. Jedenfalls sind keine öffentlich bekannt. In der Gipfelerklärung sind sie nicht enthalten. Auch von den anderen 28 Staats- und Regierungschefs ist davon nichts zu hören.
Am Morgen herrschte noch Alarmstimmung. Zum ersten Mal seit zehn Jahren wird auf einem Nato-Gipfel eine dringliche Krisensitzung einberufen. Das zweitägige Treffen des transatlantischen Bündnisses steht kurz vor dem Scheitern. Kurzzeitig kursieren sogar Spekulationen, die Nato könne am Ende zerbrechen. In einer ganz normalen Arbeitssitzung, in der es eigentlich um die Bedrohung der Ukraine und Georgiens durch Russland geht, echauffiert sich Trump wieder einmal dermaßen über mangelnde Verteidigungsausgaben seiner Bündnispartner, dass die Lage eskaliert. Auf einmal fordert er von jedem Mitgliedstaat zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts fürs Militär schon bis Januar 2019. Dann lässt er auch noch einen Satz fallen, der für die Europäer das Fass zum Überlaufen bringt: „Andernfalls werde ich mein eigenes Ding machen.“
Dass ein amerikanischer Präsident auf einem Gipfel den Ausstieg aus der Nato, dem Kern der transatlantischen Gemeinschaft, andeutet, hat es noch nie gegeben. Also wieder mal eine völlig neue Erfahrung mit einem ziemlich extravaganten Staatschef, der sich an keine tradierten Regeln der Diplomatie hält.
Beim G7-Gipfel in Kanada zerschredderte er nachträglich die mühsam ausgehandelte Abschlusserklärung. So weit kommt es diesmal zwar nicht. Die Einlassungen Trumps führen aber dazu, dass NatoGeneralsekretär Jens Stoltenberg eine Krisensitzung einberuft, an der nur noch die Chefs und jeweils ein Minister oder Berater teilnehmen. So etwas hat es seit einem Streits über den Nato-Beitritt Georgiens in Bukarest 2008 nicht mehr gegeben. Neue Argumente oder Beschlüsse bringt die Sondersitzung nicht. Am Ende scheinen sich aber alle so weit beruhigt zu haben, dass sie zumindest zwei minimale Grundsätze gemeinsam bekräftigen: Alle stehen zur Nato und alle erkennen die Notwendigkeit höherer Verteidigungsausgaben an.
Trump präsentiert sich als der Sieger des Gipfels. Er wirkt zufrieden und kein bisschen aggressiv, als er am Donnerstagmittag mehr als eine halbe Stunde lang Fragen von Journalisten beantwortet. Er spricht über das Treffen, als habe es dabei innerhalb von zwei Tagen eine bahnbrechende Entwicklung gegeben. Er sei in den Diskussionen sehr entschieden gewesen, berichtet er. „Sie müssen verstehen, dass ich viele der Leute in dem Raum kenne“, sagt er zu den Journalisten. Schon im vergangenen Jahr habe er Druck auf die anderen gemacht, damit sie mehr in Verteidigung investierten.
Merkel vorsichtig
Diesmal sei er noch ein bisschen strenger gewesen, habe den anderen gesagt, dass er sehr unglücklich sein werde, wenn sie ihre Zusagen nicht erhöhten. Das habe Wirkung gezeigt. „Jeder hat zugestimmt, sein Engagement erheblich zu erhöhen.“Selbst Deutschland wolle das Zwei-Prozent-Ziel bis 2028 oder 2030 erreichen. Stimmt das? Nach allem, was bekannt ist, nicht. Kanzlerin Angela Merkel stellt nach der Krisensitzung lediglich vorsichtig in Aussicht, dass sie ihr Versprechen von 1,5 Prozent des BIP bis 2024 noch einmal aufstocken könnte. In ihrer Bilanz der zwei chaotischen Tage in Brüssel spricht sie von einem „Gipfel der Selbstvergewisserung“. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und andere Teilnehmer der Krisensitzung berichten, es habe keine neuen Zusagen an Trump gegeben.
Offensichtlich um zu retten, was zu retten ist, preist Stoltenberg in seiner Abschlusspressekonferenz überschwänglich Trumps „starke Führerschaft“beim Thema Verteidigungsausgaben. Der Amerikaner mache die Nato noch stärker. Wie nie zuvor stiegen nun die Verteidigungsausgaben. Es sind Äußerungen, die in der Nato-Zentrale dem ein oder anderen die Schamesröte ins Gesicht treiben. Denn jeder weiß, dass Trump dem Bündnis seit Amtsantritt geschadet hat wie noch kein anderer US-Präsident.