Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Ein Leben in Sekunden zerstört
Tochter ist nach Misshandlungen des Vaters schwerstbehindert – Sechs Jahre Haft
MEMMINGEN - Er gerät in Rage und zerstört das Leben seiner Tochter: Ein Mann aus dem Unterallgäu schüttelt sein Kind so heftig, dass es danach schwerstbehindert ist. An vier Verhandlungstagen musste er sich dafür vor dem Memminger Landgericht verantworten. Am Freitag wurde er vor der Ersten Strafkammer verurteilt.
Der heute 37-Jährige hatte Anfang Januar des vergangenen Jahres die Beherrschung verloren. Als das sechs Monate alte Baby nachts aufwachte und sich auch mit einem Fläschchen nicht beruhigen ließ, schüttelte der Vater es so sehr, dass das Gehirn des Mädchens schwer geschädigt wurde. Dadurch ist es erblindet, leidet bis heute unter Krampfanfällen, muss künstlich ernährt werden, wird nie sprechen oder sich selbstständig bewegen können und das ganze Leben auf fremde Hilfe angewiesen sein. Eine Besserung des Zustands ist laut einer Gutachterin nicht zu erwarten, das Mädchen werde das junge Erwachsenenalter voraussichtlich nicht erleben.
Kein Vorwurf an das Jugendamt
„Schlimmere Folgen einer Tat sind aus unserer Sicht nicht denkbar“, sagte der Vorsitzende Richter Jürgen Hasler. Für all das, was das inzwischen zwei Jahre alte Mädchen bis heute erleiden müsse, gebe es nur einen Verantwortlichen: den Angeklagten. Dem Jugendamt, das mehrfach Kontakt zu der Familie hatte, sei kein Vorwurf zu machen. Es habe nicht mehr tun können.
Weil die Mutter des Mädchens und dessen älterer Schwester psychisch krank ist, musste sich der 37Jährige allein um die beiden Kinder kümmern. Bei seiner ersten Tochter gelang ihm das auch sehr gut: Mitarbeiter des Jugendamtes beschrieben ihn als kooperativ, zuverlässig, souverän und liebevoll. Doch als ein Jahr später die zweite Tochter zur Welt kam, änderte sich der Mann: Die Hilfe des Jugendamtes hatte der Angeklagte nun als zusätzlichen Druck empfunden, er sei zunehmend überfordert gewesen. Schließlich waren da auch noch die überaus beengten Wohnverhältnisse im Haus seiner Eltern und große finanzielle Sorgen: Durch Steuerschulden und andere Verbindlichkeiten hat der frühere Geschäftsführer einer Firma einen Schuldenberg in Höhe von rund 200 000 Euro angehäuft. Dazu kam es zu Streitigkeiten mit seinen Eltern und seiner Lebensgefährtin. Im Laufe der Jahre entwickelte der Mann sich zum Pegeltrinker.
Auch in der Tatnacht im Januar 2017 war der Angeklagte betrunken. Er hatte im Laufe des Tages zwei bis drei Flaschen Bier sowie etwa einen halben Liter Whiskylikör getrunken und es damit laut dem psychiatrischen Gutachter Andreas Küthmann zur Tatzeit auf einen Wert zwischen 0,36 und 1,56 Promille gebracht. Unter Berücksichtigung der übrigen Belastungsfaktoren sei eine „erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit nicht auszuschließen“.
Dies wurde im Urteil ebenso zugunsten des Angeklagten gewertet wie die Tatsache, dass er gleich zu Prozessbeginn gestanden hat, er nicht vorbestraft ist und er seine Töchter im Vorfeld nie misshandelt hat. Welche gravierenden Folgen das Schütteln hatte, habe er nicht abschätzen können.
Die Kammer verurteilte den 37Jährigen deshalb wegen schwerer sowie gefährlicher Körperverletzung zu sechs Jahren Haft und ordnete zudem eine zweijährige Therapie in einer Entziehungsanstalt an. Sie blieb damit genau zwischen den Forderungen von Staatsanwalt Thomas Hörmann, der sieben Jahre Haft gefordert hatte, und Verteidiger Michael Bogdahn, der fünf Jahre für angemessen hielt.
Der 37-Jährige nahm das Urteil gefasst auf. „Das eine ist das Strafrechtliche, dem ich mich voll und ganz stellen will“, hatte er im Vorfeld angekündigt und mit brüchiger Stimme hinzugefügt: „Aber die Strafe in meinem Kopf wird bis zum Ende meines Lebens da sein.“
In seinem Schlusswort bat er seine Angehörigen um Entschuldigung. „Mir ist absolut bewusst, dass das, was ich getan habe, nicht wieder gutzumachen ist“, sagt er und bedankte sich beim Stiefvater seiner Lebensgefährtin. Dieser besucht seine Enkelin regelmäßig im Pflegeheim und kümmert sich auch nach Ansicht des Gerichts aufopferungsvoll um sie.