Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Ein Allgäuer in New York: Abt im Audi mit Ambitionen
Die beiden letzten Saisonrennen der Formel E sehen ein Fotofinish auch um den Teamtitel
NEW YORK - Wenn am Sonntag am Atlantic Basin in New York die letzte Zielflagge der vierten Saison in der Formel E fällt, wird auf alle Fälle ein Deutscher jubeln. André Lotterer hat mit seinem Techeetah-Rennstall die Chance auf den Teamtitel, aber auch Daniel Abt hofft darauf, dass er in der Debütsaison von Audi gleich die Teammeisterschaft gewinnen kann. 33 Punkte trennen die beiden Teams. Doch die Aussicht auf die große Trophäe ist schon beinahe das einzige, was die beiden Rennställe verbindet.
Techeetah ist ein chinesisches Team, das als einziges keinen eigenen Antrieb einsetzt, sondern diesen von Renault bezieht. Das verwundert nicht sonderlich, denn hinter Techeetah steht die Sportmarketing- und Management-Firma SECA, die wiederum zur chinesischen Kapitalgesellschaft Chinese Media Capital (CMC) gehört. Zu Beginn der dritten Saison hat das Team den Startplatz von Aguri übernommen. Auf der anderen Seite der deutsche Premium-Hersteller Audi. Die Ingolstädter haben vor dieser Saison das Ticket vom Team Abt übernommen, haben in den Jahren davor ihr technischen Know-how immer häufiger einfließen lassen. Und haben, nach einigen technischen Problemen, das schnellste Auto im Feld.
Nicht nur die Teams haben einen völlig unterschiedlichen Hintergrund, auch die beiden Fahrer haben eine völlig andere Vita. André Lotterer hat schon fast alles gefahren, was Räder hat. Der 36-Jährige, in Duisburg geboren und in Belgien aufgewachsen, kann auf ein Formel-1-Rennen (2014 in Spa) zurückblicken. Sonst war er mit Audi in der Langstrecken-WM sehr erfolgreich. 2012 wurde er Weltmeister, dreimal siegte er bei den 24 Stunden von Le Mans. Was fehlt, ist noch ein Sieg bei einem Formel-E-Rennen.
Daniel Abt dagegen hat auch in den Nachwuchsklassen nie brilliert. Als sein Vater Hans-Jürgen Abt das Projekt Formel E gestartet hat, bekam der Filius wie selbstverständlich ein Cockpit. „Es gab doch einige, die gesagt haben, dass ich es nicht verdient hätte. Die haben gesagt: ,Der fährt ja nur wegen seines Namens‘“, bekannte er zu Beginn dieser Saison. Dieser Stachel sei ganz schön tief gesessen. „Ganz ehrlich: Die letzten zwei, drei, vier Jahre waren nicht so einfach für mich.“Im März platzte dann mit dem ersten Sieg in Mexiko der Knoten. Und dem ließ Daniel Abt einige Wochen später beim Rennen in Berlin den zweiten Triumph folgen.
„Techeetah arbeitet unglaublich hart, und der Teamgeist und die Arbeitsmoral passen gut zu mir“, lobt Lotterer, der auch zugibt, dass er die Serie am Anfang ein Stück weit unterschätzt, sich dann aber schnell zurechtgefunden hat: „Natürlich ist es ein Unterschied zu Teams, in der Formel E und außerhalb, die von Herstellern unterstützt werden. Aber es war sehr beeindruckend, was wir als Kundenteam erreicht haben.“
Der 25-jährige Kemptener Abt ist nach und nach in die Serie hineingewachsen. Eine ungeheure Beschleunigung hat seine Karriere im vergangenen Herbst erfahren, als er von AudiMotorsportchef Dieter Gass und Formel-E-Teamchef Allan McNish zum Werksfahrer befördert wurde. „Dieses Vertrauen, speziell von Allan, hat mir zusätzlich noch einen Schub Selbstvertrauen gegeben.“Momentan belegt Daniel Abt Platz sechs in der Tabelle. Dabei wäre viel mehr möglich gewesen: Beim zweiten Rennen in Hongkong hatte er die Ziellinie als Erster überquert, war aber disqualifiziert worden, weil der Strichcode eines Teiles nicht mit dem auf dem Fahrzeugschein übereingestimmt hat. Beim Rennen in Punta del Este hat Daniel Abt freiwillig aufgegeben, weil nach dem Fahrzeugwechsel alle vier Gurte nicht richtig geschlossen waren. „Riskierst du dein Leben oder fährst du rein? Für mich stellt sich die Frage gar nicht“, sagte er.
Ganz anders ist die Denke bei Techeetah. Noch immer herrscht Irritation darüber, dass das Team nach Manipulationen am Gurtsystem beim Sieg von Tabellenführer Jean-Eric Vergne in Santiago mit einer Geldstrafe davonkam. Insofern wäre der Jubel der Audi-Truppe der ehrlichere Jubel.