Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
„Immer eine persönliche Niederlage“
Sigmaringens Bürgermeister Thomas Schärer über Erfolge, Fehler und die Abwahl
SIGMARINGEN - Sigmaringens Bürgermeister Thomas Schärer ist verabschiedet worden. Im Abschiedsinterview beantwortete er die Fragen von Michael Hescheler und Anna-Lena Buchmaier. Zu seiner beruflichen Zukunft sagte Schärer, der bei der Wahl am 1. Juli deutlich seinem Herausforderer Marcus Ehm unterlag, nichts: „Was ich in Zukunft tun werde, entscheide ich allein mit meiner Frau.“
Rund drei Wochen sind seit dem Wahltag vergangen. Wie denken Sie mit etwas Abstand über Ihre Niederlage?
Die Wähler haben gesprochen und das Votum ist eindeutig. Mehr gibt’s dazu nicht zu sagen.
Wie erklären Sie sich dieses eindeutige Votum?
Ich muss das nicht analysieren. Das müssen Sie die Wähler fragen. Sie haben mich abgewählt. Das ist Demokratie.
Denken Sie, die Bürger haben Sie für Ereignisse verantwortlich gemacht, die Sie nicht zu verantworten hatten, wie die Einrichtung der LEA?
Das Resultat ist so eindeutig, dass ich mir diese Frage persönlich stelle, aber sicherlich nicht in den Medien spekuliere.
Das Ergebnis zeugt von einer Wechselstimmung in der Bevölkerung. Wie erklären Sie sich das?
Es ist mir wohl nicht gelungen, meine Ergebnisse der vergangenen acht Jahre, die aus meiner Sicht durchaus gut waren, in den Vordergrund zu stellen. Und es ist mir nicht gelungen, mit Inhalten zu überzeugen.
Haben Sie die Niederlage persönlich genommen?
Als Bürgermeister ist eine Abwahl sicherlich immer auch eine persönliche Niederlage. Bis zum heutigen Tag habe ich das Amt mit Herz und Verstand ausgefüllt. Daher bin ich in den vergangenen drei Wochen auch nicht untergetaucht, sondern habe meine Arbeit, die mich immer erfüllt hat, bis Mittwochabend weitergeführt.
Ist Ihnen dies seit dem Wahltag schwergefallen?
Nein, ich sage es ganz deutlich: Ich bin abgewählt worden. Das ist zwar hart für einen persönlich, aber es gehört zur Demokratie. Ich wusste immer, dass es auch diese Möglichkeit gibt – auch wenn ich sie nicht in Betracht gezogen habe. Deswegen kann ich nach wie vor mit erhobenem Haupt durch die Stadt gehen.
Sie sprachen am Wahlabend von einer sauberen Übergabe an Marcus Ehm. Welche offenen Prozesse werden Sie ihm übergeben?
Ich werde meine Amtsstube am 28. August in sauberem und geordnetem Zustand übergeben. Und dann ist er Chef der Verwaltung und hat 300 tolle Mitarbeiter. Ich bin danach Bürger wie Sie auch.
Bleiben Sie Bürger von Sigmaringen?
Kurzfristig sicher ja, mehr kann ich dazu zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen, da ich nicht in die Zukunft schauen kann.
Wollen Sie in der Politik bleiben?
Was ich in Zukunft tun werde, entscheide ich allein mit meiner Frau.
Wenn Sie zurückblicken auf die vergangenen acht Jahre: Was bleibt bei Ihnen persönlich hängen?
Mir ist gelungen, das Sorg-BeckAreal mit C&A und dem Sutorhaus zu entwickeln. Ich kann mich auch noch gut erinnern, wie Stadtbaumeister Exler mit dem Vorschlag für den neuen Karlsplatz zu mir kam.Natürlich war der absolute Höhepunkt die Gartenschau. Zwar hat sie mein Vorgänger an Land gezogen, aber als ich angefangen habe, waren erst die Brücke beim Bootshaus und der Boden des Bootshauses gebaut. Die Gartenschau ist der größte Erfolg, den man mit mir in Verbindung bringt.
Während der Gartenschau waren viele Sigmaringer im Rausch. Die Stimmung in der Stadt war geradezu euphorisch. Warum hat die Euphorie rückblickend nicht länger angehalten?
Es kamen andere Ereignisse. Die Bundeswehr verabschiedete sich und die LEA kam nach Sigmaringen. Diese Veränderung kam überfallartig und überforderte Teile der Bevölkerung. Enttäuschend war dabei vor allem, dass der Vertreter der damaligen Landesregierung (Ministerialdirektor Wolf-Dieter Hammann, Anm. der Redaktion) nicht einhielt, was er zusagte. Dies hat in Sigmaringen das Misstrauen in die Politik verstärkt. Ich versuchte, die Wogen einigermaßen zu glätten und habe Chancen genauso wie Probleme offen angesprochen.
Sie haben die Geschehnisse rund um den Bahnhof vor Ostern in einem unter anderem an verschiedene Abgeordnete gerichteten Brief beschrieben. War dies die richtige Kommunikation?
Der Brief war absolut richtig und auch der Zeitpunkt war richtig, weil ich dieses Thema nicht allein in den Wahlkampf führen wollte.
Zurück an den Beginn Ihrer Amtszeit: 2011 wurde entschieden, dass die Bundeswehr Sigmaringen verlässt.
Das war am 25. Oktober 2011 um 23.03 Uhr: Sie haben mich angerufen und mir gesagt, dass die Entscheidung gefallen sei. Ich wusste es zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Es gab Signale, dass die Bundeswehr Sigmaringen verlässt, aber rückblickend muss man selbstkritisch sagen, diese Signale wurden nicht richtig interpretiert.
Ich habe ein gutes Jahr vor der Entscheidung als Bürgermeister angefangen und versucht, mich so schnell wie möglich einzuarbeiten. Diejenigen, die wussten wie die Bundeswehr tickt, haben sich erst im Nachgang gemeldet und gesagt, was man hätte tun müssen. Der fundamentale Fehler der Beurteilung war: Von den Teilstreitkräften waren in Sigmaringen von jeder Sparte nur wenige ansässig: Heer, Sanität, Streitkräftebasis. Es waren zu wenige Soldaten dieser einzelnen Einheiten in Sigmaringen und deshalb hat jeder Verantwortliche den Daumen für Sigmaringen gesenkt. Wir haben das immer horizontal betrachtet und sind von den insgesamt 1800 Dienstposten ausgegangen, ohne zu merken, dass diese Leute aus unterschiedlichsten Einheiten kamen. Der damalige wehrpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, ErnstReinhard Beck, und der damalige Verteidigungsminister Thomas de Maizière haben schließlich entschieden: Wir geben Sigmaringen auf.
Sind Ihnen Themen auf die Füße gefallen?
Den Blütenzauber würde ich heute nicht mehr machen. Wir haben uns verzaubern lassen vom Erfolg der Gartenschau und die Möglichkeit gesehen, etwas Florales in dieser schönen Stadt zu etablieren. Wir hätten in Ruhe planen und mit Bürgern in Gespräche treten müssen. Dies haben wir alles nicht gemacht. Im Nachgang wissen wir alle, was wir falsch gemacht haben. Die mahnenden Stimmen im Stadtrat habe ich einfach überhören wollen.
Hätten Sie mehr Bürgernähe herstellen müssen?
Mittel der Bürgerbeteiligung wie Stadtspaziergänge, wie ich sie während des Wahlkampfs gemacht habe, habe ich sicher zu wenig genutzt. Das sage ich selbstkritisch. Ansonsten habe ich inhaltlich nichts falsch gemacht. Ich hinterlasse einen schuldenfreien Kernhaushalt mit einer Rücklage von rund zehn Millionen Euro. Dabei haben wir noch nie so viel investiert und so viele Zuschüsse abgeholt wie jetzt. Das lag an der Konversion, aber auch der Art, wie ich die Kontakte zu den Verantwortlichen in den Ministerien pflegte.