Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Drei Päpste in einem Jahr
Vor 40 Jahren starb Papst Paul VI. – Sein Nachfolger war nur 33 Tage im Amt – Dann folgte der erste Nichtitaliener seit 456 Jahren
ROM (sz) - Im Jahr 1978 schrieben die Kardinäle Kirchengeschichte: Weil Johannes Paul I., der Nachfolger des verstorbenen Paul VI., nur 33 Tage im Amt ist, als er einem Herzinfarkt erliegt, müssen die Kardinäle erneut zur Tat schreiten und den dritten Papst in diesem bemerkenswerten Kirchenjahr wählen. Erstmals seit 1522 wird kein Italiener Papst, sondern ein Pole: Karol Wojtyla, der Erzbischof von Krakau, der sich den Namen Johannes Paul II. gibt. „Ein magischer Moment voller Emotionen“titelt die Vatikan-Zeitung „Osservatore Romano“über die Wahl des neuen Papstes aus Polen.
Als das Drei-Päpste-Jahr ist 1978 in die Kirchengeschichte eingegangen. Am 6. August stirbt Paul VI., und 111 Kardinäle wählen in einem kurzen Konklave den Patriarchen von Venedig, Albino Luciani, zum Papst. Er nennt sich Johannes Paul I. und regiert die Kirche für 33 Tage, bis er überraschend stirbt. Am 16. Oktober staunt die Welt, als mit dem bis dato völlig unbekannten Erzbischof von Krakau, Karol Wojtyla, erstmals seit 1522 ein Nichtitaliener zum Papst gewählt wird: Er wählt den Namen Johannes Paul II. und wird bis zu seinem Tod im Jahr 2005 die Kirche führen. Mit der Wahl von Johannes Paul II. geht das Jahr 1978 in die Kirchengeschichte als jenes Jahr ein, in dem die Öffnung der Kirche zur Welt, die Globalisierung, auch an der Spitze, vollzogen wurde: Nach dem Polen wurde 2005 in Benedikt XVI. ein Deutscher, 2013 in Franziskus ein Argentinier zum Papst gewählt.
Jener 6. August 1978 ist ein glutheißer Sonntag. Paul VI., ohnehin von schwächelnder Gesundheit, hat das Angelus-Gebet in der Sommerresidenz der Päpste, Castel Gandolfo vor den Toren Roms, abgesagt. Ein Alarmzeichen: Dem 80-Jährigen geht es seit Tagen immer schlechter. Vier Tage zuvor hatte er noch im Innenhof der Residenz die Generalaudienz abgehalten. Danach bekommt er plötzlich hohes Fieber. 48 Stunden lang leidet der Papst. Eine Herzattacke ist schließlich zu viel für ihn.
Der Blick auf den „Hamlet im Vatikan“, wie Paul VI. wegen seiner grüblerischen Nachdenklichkeit oft genannt wird, ist heute verkürzt. Mit dem Montini-Papst wird zunächst und vor allem die Enzyklika „Humanae vitae“(1968) verbunden, mit der jegliche künstliche Empfängnisverhütung verboten wurde. Vielen Zeitgenossen bleibt er als „Pillen-Paul“in Erinnerung. Während Millionen Frauen die kurz zuvor entwickelte Antibabypille dankbar annahmen, sprach der Vatikan ein kategorisches Nein aus und erntete weltweite Kritik. Dass Paul VI. vor allem in den ersten zehn Jahren seines Pontifikates die Kirche öffnete, das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) mit seinen wegweisenden Reformen zu Ende brachte und als erster Papst auf Reisen ging, tritt in den Hintergrund.
Paul VI. hatte nach dem Konklave 1963 ein schweres Erbe angetreten. Sein ungeheuer populärer Vorgänger, Papst Johannes XXIII. (19581963), hatte das „Aggiornamento“der Kirche, also die Anpassung an moderne Verhältnisse, eingeleitet, war auf die Menschen zugegangen. Und vor allem hatte er das Konzil einberufen, das 1962 seine Arbeit aufnahm. Als Johannes XXIII. im Juni 1963 starb, war völlig ungewiss, ob sein Nachfolger es fortführen würde.
Doch die Kardinäle wählen in Giovanni Battista Montini, dem Erzbischof von Mailand, einen 65-jährigen Kardinal, der schon mit der Wahl seines Namens die Richtung vorgibt, die er einschlagen will: Der Apostel Paulus gilt als Völkerapostel. Und Montini, der ausgebildete VatikanDiplomat, ist hoch angesehen: Hatte er doch als langjähriger vatikanischer Innenminister im Krieg die Unterbringung von Flüchtlingen und auch von Juden in Klöstern und im Vatikan angeordnet.
Als erster Papst setzt Paul VI. sich in ein Flugzeug und besucht so entfernte Länder wie Palästina, Indien, die Türkei und Kolumbien sowie die UNO in New York. Für die Befreiungstheologen in Lateinamerika ist seine Enzyklika „Populorum progressio“(1967) mit ihrer Anklage der unterdrückenden Mächte in den armen Ländern ein Anlass, ein praktisch-politisches Engagement der Kirche an der Seite der Armen zu fordern. In Jerusalem leitet er 1964 mit dem Patriarch Athenagoras von Konstantinopel eine Annäherung mit den Ostkirchen ein. Er sucht die Aussöhnung mit dem Judentum, die Öffnung zu den Weltreligionen – und überhaupt zur Welt. Erst 50 Jahre später erlebt die Kirche wieder einen ähnlich dialogbereiten Brückenbauer: Papst Franziskus.
Den Wendepunkt im widersprüchlichen Pontifikat Pauls VI. markiert das Jahr 1968. Der oft zögerlich wirkende Paul VI., der auf die weltweite jugendliche Protestbewegung mit ängstlichem Rückzug reagiert, gerät innerkirchlich zwischen die Fronten von Reformern und Bewahrern. Wichtige Entscheidungen wie etwa zur Empfängnisverhütung, zur Zölibatspflicht der Priester, zur kollegialen Führung der Kirche entscheidet er im Sinne der Tradition und unter Betonung des absoluten Vorrangs des Papstes. Dass Paul VI. die Ostpolitik des Vatikans langsam öffnet oder 1976 den französischen Rebellenerzbischof Marcel Lefebvre wegen dessen Gegnerschaft zum Konzil vom Amt suspendiert, ist heute fast vergessen.
Nun aber braucht die Kirche ein neues Oberhaupt. 111 Kardinäle ziehen am 25. August 1978 in die Sixtinische Kapelle ein. Immer noch ist es sengend heiß. Die Bedingungen sind spartanisch. Es sieht nach einem kurzen Konklave mit klarem Ergebnis aus: Favorit für die Nachfolge Pauls VI. ist Giuseppe Siri aus Genua, ein konservativer Kirchenmann. Doch der mächtige Kardinal Giovanni Benelli von Florenz will Siri verhindern: Die Periode des Stillstands darf nicht andauern.
Das Konklave endet am 26. August mit einer Überraschung. Nicht Siri, sondern der bisherige Patriarch von Venedig, Albino Luciani, ist neuer Papst. Die Erleichterung ist groß, als der gerade vom Konklave gewählte Nachfolger von Paul VI., er nennt sich Johannes Paul I., zum ersten Mal zum Kirchenvolk von seinem Amtszimmer aus spricht. In einfachen Worten bittet der 65-Jährige um Unterstützung für sein schweres Amt: „Ich habe nicht die Weisheit des Herzens von Papst Johannes, auch nicht die Vorbereitung und Kultur von Papst Paul; ich bin aber nun an ihrem Platz, ich muss versuchen, der Kirche zu dienen. Ich hoffe, ihr helft mir mit euren Gebeten.“Johannes XXIII. und Paul VI. seien seine Vorbilder, sagt er: Sie hatten ihm zum Bischof ernannt und zum Kardinal kreiert.
Luciani ist ein den Gläubigen zugewandter Bischof. Ein Theologe, der volkstümlich, nie populistisch, die frohe Botschaft erklärt und dabei selbst froh ist. Im Vergleich zu seinem in den letzten Jahren des Pontifikates verschlossenen, abgehobenen Vorgänger wirkt Johannes Paul I. wie ein freundlicher Dorfpfarrer.
Doch schwere Schatten lasten auf dem neuen Papst: Er hat nur wenig Verwaltungserfahrung, er sieht sich einem schwierigen, in den letzten Amtsjahren Pauls VI. zunehmend selbstbewusster gewordenen Kurienapparat gegenüber. Der damalige zweite Mann im Vatikan, Kardinalstaatssekretär Jean Villot, und der Vatikanbankier, Erzbischof Paul Marcinkus, haben ihre Machtbasis gezielt ausgebaut. Hinzu kommt, was nur wenige Vertraute wissen: Johannes Paul I. ist schwer herzkrank. Am Morgen des 29. September, nach nur 33 Tagen im Amt, findet eine Ordensschwester aus dem päpstlichen Haushalt den Papst tot in seinem Bett. Der Vatikan ordnet keine Obduktion an.
Heute kursieren unter Verschwörungstheoretikern für diese Entscheidung zwei Erklärungen: Entweder fürchteten die Kardinäle, dass die Obduktionsergebnisse eine Herzkrankheit nachgewiesen hätten. Damit wäre klar gewesen, dass das Kardinalskollegium wider besseres Wissen und gegen jede Vernunft einen schwer kranken Kandidaten gewählt hatte. Oder die Obduktion hätte einen Mord bewiesen: Dann wäre ein den Vatikan in seinen Grundfesten erschütternder Skandal sicher gewesen.
Auch wenn der britische Autor David Yallop eine Verschwörungsund Giftmordtheorie konstruierte: Luciani erlag einer Herzattacke. Anhand bis dato unveröffentlichter Dokumente und Aussagen von Zeitzeugen bestätigt die italienische Journalistin Stefania Falasca, dass ein Herzinfarkt zum Tod des damals 65 Jahre alten Albino Luciani führte.
Falasca führt in ihrem 2017 erschienen Buch „Papa Luciani. Chronik eines Todes“ärztliche Berichte an, nach denen der Papst Stunden vor seinem Tod Brustschmerzen hatte, medizinische Hilfe aber ablehnte. Zu den teils vertraulichen Dokumenten hat Falasca Zugang, weil sie als Vizepostulatorin Informationen und Aussagen von Zeitzeugen im Seligsprechungsprozess des Papstes sammelt.
In der milden Herbstsonne Roms treffen sich die Kardinäle am 14. Oktober erneut zum Konklave. Jetzt gibt es keinen klaren Favoriten. Der Genueser Siri gilt als „verbrannt“, auf den Florentiner Benelli können sich die Kardinäle nicht einigen. Doch der Wiener Kardinal Franz König, einer der einflussreichsten Kirchenmänner jener Tage, weist auf seinen jungen Mitbruder Karol Wojtyla hin. Der 58-Jährige ist seit 1964 Erzbischof im südpolnischen Krakau: König in Wien und Wojtyla in Krakau pflegen – seit den Tagen der Donaumonarchie gehört dies zur nützlichen Tradition – Kontakte über den „Eisernen Vorhang“hinweg. Wojtyla bietet den Kommunisten in seiner Heimat die Stirn, lässt trotz Verbots neue Kirchen bauen. Und auch die deutschen Kardinäle wissen Gutes über den „Mann aus einem fernen Land“zu berichten. Wenige Wochen zuvor hatten sie ihn bei einem Deutschlandbesuch besser kennengelernt. Wojtyla spricht gut Deutsch, hat am Versöhnungsbriefwechsel der deutschen und polnischen Bischöfe 1965 mitgewirkt.
Die Bedenkenträger unter den Papstwählern sehen Hürden: Erstmals seit 456 Jahren soll ein Nichtitaliener den Thron Petri besteigen? Ein so junger Mann, der ein langes Pontifikat gestalten könnte? Ohne Kurienerfahrung? Am 16. Oktober steigt weißer Rauch über der Sixtinischen Kapelle auf: „Habemus papam – wir haben einen Papst!“Der vatikanische Pressesaal hat nicht einmal ein Dossier über den unbekannten Kardinal aus Polen vorbereitet. Schnell spricht sich herum, dass der begeisterte Skifahrer von robuster Gesundheit ist. Er könne sich durchsetzen: Wer gegen die Kommunisten kämpft, kann es auch mit der Kurie aufnehmen. Theologisch konservativ, von tiefer Marienfrömmigkeit, kann Johannes Paul II., wie er sich aus Respekt gegenüber seinem Vorgänger nennt, die Massen begeistern.
Der neue Papst spricht von seiner Angst vor dem hohen Amt, für das er Hilfe und Gebet der Gläubigen erbittet. „Und wenn ich mich nicht gut ausdrücken kann in eurer – in unserer italienischen Sprache –, werdet ihr mich verbessern.“In den nächsten Tagen wächst die Begeisterung. „Ein magischer Moment voller Emotionen“, titelt am nächsten Tag die Vatikan-Zeitung „Osservatore Romano“. Was die Kardinäle nur ahnen können: Mit Johannes Paul II. beginnt das zweitlängste Pontifikat der Kirchengeschichte, in dem die römisch-katholische Kirche noch stärker Weltkirche wird. Und die Kardinäle stellen mit ihrer Wahl die Weichen für die nächsten Päpste: einen Deutschen und einen Argentinier.
Paul VI. war der erste Papst, der die Welt bereiste
Johannes Paul II. war der erste Papst seit 1522, der nicht Italiener war