Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Erdogan wütet gegen die USA
Türkischer Präsident spricht von Kraftmeierei - Wirtschaft besorgt über Talfahrt der Lira
ANKARA/WASHINGTON/BERLIN Inmitten der massiven Währungskrise der türkischen Lira hat Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan seine verbalen Angriffe auf die USA noch einmal verschärft. Ohne sie direkt zu erwähnen, nannte er die Vereinigten Staaten vor Botschaftern aus aller Welt in Ankara die „Kraftmeier des globalen Systems“. An US-Präsident Donald Trump gerichtet, sagte er am Montag: „Du kannst nicht einfach aufwachen und sagen ,Ich führe diese Zölle auf Stahl und Aluminium ein. Das kannst Du nicht sagen.‘“
Er sagte, dass der Türkei als NatoPartner damit „in den Rücken und die Füße geschossen“worden sei. Erdogan deutete sogar an, dass die Türkei zu einem Krieg bereit sei. Staaten, die Frieden wollten, müssten bereit zum Krieg sein, sagte er. „Wir sind bereit, mit allem, was wir haben.“Mit den Äußerungen ging er erneut auf Konfrontationskurs. Zuvor hatte Außenminister Mevlüt Cavusoglu gegenüber den USA noch Gesprächsbereitschaft signalisiert.
Im seit Wochen eskalierenden Streit um den US-Pastor Andrew Brunson, der in der Türkei festgehalten wird, hatte Trump am Freitag die Verdoppelung von Strafzöllen gegen die Türkei verkündet. Die Lira brach danach auf einen neuen Tiefststand ein. Nach kämpferischen Reden Erdogans am Wochenende und dem Inkrafttreten der ersten Zölle fiel die Landeswährung am Morgen weiter. Die Nation werde belagert, sagte Erdogan. Aber die Wirtschaft sei stark und werde das auch bleiben.
Daran äußern jedoch Experten Zweifel. Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), sagte am Montag zur „Schwäbischen Zeitung“, dass die Türkei nicht durch die neuen Sanktionen in die Schieflage geraten sei. Schuld an der Misere sei Erdogan. „Er hat die Staatsausgaben aus politischen Gründen in die Höhe getrieben. Die Zinsen sind zu niedrig“, so der DIW-Chef. In- und ausländische Investoren würden nun ihr Kapital abziehen. „Der Internationale Währungsfonds ist der letzte Rettungsanker für Ankara. Wenn das Land Notkredite braucht – und darauf deutet vieles hin –, bleibt Erdogan keine andere Wahl, als den IWF um Hilfe zu bitten“, so Fratzscher.
Auch Bundesaußenminister Heiko Maas schaltete sich am Montag in die Debatte ein. Der SPD-Politiker legte Ankara die Freilassung Brunsons nahe. „Das würde die Lösung der wirtschaftlichen Probleme, die es gibt, ganz erheblich vereinfachen“, sagte er in Berlin. Kanzlerin Angela Merkel äußerte sich ebenfalls besorgt. „Niemand hat ein Interesse an einer wirtschaftlichen Destabilisierung der Türkei“, sagte die CDUPolitikerin in Berlin. „Deutschland möchte jedenfalls eine wirtschaftlich prosperierende Türkei. Das ist auch in unserem Interesse.“
DIW-Chef Fratzscher glaubt, dass Erdogan auf die Hilfe der Europäer und auch Deutschlands angewiesen ist, um die Krise einzudämmen. Gleichzeitig ist er überzeugt, dass Ankara in diesem Zusammenhang mit der Kündigung des Flüchtlingsdeals drohen werde: „Brüssel und Berlin dürfen sich aber nicht erpressen lassen, sondern müssen darauf bestehen, dass Erdogan wieder zu einem verlässlichen Partner wird und auf den Pfad zur Demokratie zurückkehrt.“
ISTANBUL - Ahmet hebt ein Handy auf, das vor ihm auf dem Tresen liegt. „Vor einem Monat hätte die Reparatur dieses Telefons noch um die 300 Lira gekostet“, sagt er. „Heute muss ich das Doppelte verlangen.“Er lässt das Gerät wieder auf den Tisch fallen, auf dem Dutzende andere Handys auf neue Bildschirme oder Batterien warten, die Ahmet in seinem kleinen Laden in Istanbul einbaut. Bis vor Kurzem konnte Ahmet noch gut vom Reparaturgeschäft leben, die Nachfrage war groß. Doch damit ist es jetzt vorbei. „Wenn das so weitergeht, muss ich den Laden dichtmachen.“
Der Handy-Spezialist in der Innenstadt der türkischen Metropole ist ein Opfer der Währungskrise, unter deren Druck die Lira zerbröselt. Innerhalb der letzten Woche hat die türkische Währung fast 25 Prozent ihres Wertes gegenüber dem Dollar eingebüßt, seit Jahresbeginn sind es mehr als 40 Prozent. Jeden Tag rückt für Ahmet die Pleite etwas näher. Die Ersatzteile für seine Handys kauft er in China und muss sie in Dollar bezahlen. Seine Kunden bezahlen ihn jedoch in Lira, und so muss Ahmet die Preise immer weiter erhöhen, um über die Runden zu kommen. Irgendwann können sich die Leute eine Reparatur nicht mehr leisten – dieser Punkt ist bald erreicht, sagt Ahmet. „Es wird immer schlimmer.“
Erdogan sieht „Wirtschaftskrieg“
Wenn es nach den türkischen Behörden geht, sollte Ahmet sich solche pessimistischen Szenarien lieber verkneifen, denn er könnte sich strafbar machen. Der LiraAbsturz sei Teil eines Komplotts der USA gegen die Türkei, sagt Präsident Recep Tayyip Erdogan, der von einem „Wirtschaftskrieg“spricht. Mit Verboten, Drohungen und Strafverfolgung geht Ankara gegen Bürger und Unternehmen vor, die ihr Geld in Sicherheit bringen wollen, indem sie Lira in Dollar tauschen, oder die das Vorgehen der Regierung kritisieren. Jeder, der die angeblichen „Angriffe“durch Äußerungen oder Beiträge in den sozialen Medien unterstütze, riskiere eine Anklage, lässt die Istanbuler Staatsanwaltschaft die Bürger wissen. Bis zum Montagnachmittag gerieten fast 350 Nutzer sozialer Medien ins Fadenkreuz der Ermittler. Die Krise soll totgeschwiegen werden.
Erdogan selbst drohte allen Unternehmen, die mit dem Gedanken spielen, sich mit dem Ankauf von Dollar oder Euro gegen den Absturz der Lira abzusichern. Sollte eine Firma diesen Weg gehen, dann gebe es einen „Plan B und einen Plan C“, warnte der Staatspräsident am Wochenende: Konkreter wurde er nicht, doch die Türken verstanden auch so, was er sagen wollte. So deutlich kam die Botschaft bei den Türken an, dass die Regierung in der Nacht zum Montag mehrfach erklären musste, an eine Beschlagnahmung von Fremdwährungskonten werde nicht gedacht. „Ein Netzwerk des Verrats“sei am Werk, um der Regierung den Plan zur Beschlagnahmung von Kapital vorzuwerfen, beklagte sich Erdogan am Montag. Das werde nicht geduldet. Der Präsident will „Wirtschaftsterrorismus“in den sozialen Medien ausgemacht haben. Mustafa Sönmez ist einer jener Kritiker, auf die Erdogan mit seinen Drohungen zielt. Der regierungskritische Wirtschaftsexperte hatte die Türken davor gewarnt, dass die Geldautomaten im Land womöglich bald den Dienst einstellen könnten. Prompt riefen regierungsnahe Medien die türkische Polizei auf, gegen den angeblichen amerikanischen Agenten vorzugehen.
Er solle wohl als Kollaborateur im angeblichen „Krieg“gegen die USA abgestempelt werden, sagt Sönmez der „Schwäbischen Zeitung“. Bisher habe sich die Staatsanwaltschaft nicht bei ihm gemeldet. Sehr beunruhigt sei er nicht, denn er habe schon sieben oder acht Mal wegen umstrittener Äußerungen bei der Justiz vorsprechen müssen. Eines steht für Sönmez aber fest: Die Krise lässt sich nicht stoppen, indem man die Wahrheit unterdrückt. Seine Kritik an der Politik der Regierung will er jedenfalls fortsetzen. „Das ist meine Aufgabe und auch mein Recht.“Schon eher nach dem Geschmack der Regierung als Sönmez ist eine Gruppe von Herren in Anzügen, die sich am Montag auf dem zentralen Taksim-Platz von Istanbul versammelt. Die Abordnung des Unternehmerverbandes Tümkiad marschiert zu einer Bankfiliale am Taksim und tauscht drei Millionen Dollar in Lira um – ganz im Sinne von Erdogans Appell an die Türken, sie sollten westliche Währungen verkaufen und auf die Lira setzen, um die Landeswährung zu stützen.
Längst nicht alle Türken wollen dem folgen. Die Mitarbeiterin einer Wechselstube in der Nähe des Taksim-Platzes erzählt von Türken, die den umgekehrten Weg gehen und Lira in Dollar verwandeln, um ihre Ersparnisse vor der Geldentwertung in Sicherheit zu bringen. „Sie holen sich Dollar von den Banken und von uns“, sagt die Dame. Selbst in der schweren Wirtschaftskrise von 2001 sei es nicht so schlimm gewesen wie heute. „Die Leute haben Angst.“Im Großen Bazar von Istanbul sollen sich vorige Woche zwei Händler aus Verzweiflung über ihre Lage das Leben genommen haben.
In Saus und Braus
Es gibt aber auch Leute, die von der Talfahrt der Lira profitieren. Mehmet, ein Istanbuler Frisör, hat mehrere Türken aus Deutschland unter seinen Kunden, die dort Euro verdienen, in den Ferien in der Türkei aber Lira ausgeben. „Die leben jetzt hier in Saus und Braus“, sagt Mehmet. Ein anderer Istanbuler Händler erwartet einen neuen Ansturm westlicher Besucher im Land: „Die Türkei ist für die jetzt praktisch gratis zu haben.“
Die Schwäche der Lira ist zu großen Teilen hausgemacht. Seit Jahresbeginn hat Erdogan internationale Anleger mehrmals mit der Ankündigung erschreckt, er werde sich stärker als zuvor in die Zinspolitik der nominell unabhängigen Zentralbank einmischen. Dass der Präsident dann seinen Schwiegersohn Berat Albayrak zum Finanzminister machte, verunsicherte die Investoren noch weiter. Der Streit mit den USA um einen in der Türkei inhaftieren amerikanischen Pastor und die dadurch ausgelösten US-Sanktionen gegen Ankara versetzten der Lira einen weiteren Schlag.
Angesichts einer Verschuldung von 470 Milliarden Dollar und eines Außenhandelsdefizits von fast 60 Milliarden könne man wohl kaum von einem Komplott des Auslands sprechen, schimpft der Oppositionspolitiker Hursit Günes auf Twitter. Mit zusätzlicher Liquidität für die Banken versucht die Zentralbank am Montag, den Lira-Kurs abzufangen, doch das gelingt nur vorübergehend. Am Nachmittag rutscht die Währung, die zwischenzeitlich auf den Wert von 6,40 Lira pro Dollar geklettert war, wieder auf rund sieben Lira für einen Dollar ab. Die Lira ist also weiter stark unter Druck. „Innerhalb kurzer Zeit werden die Dinge wieder ins Lot kommen“, versichert Erdogan.
Für Leute wie Ahmet in seinem Handy-Laden in Istanbul könnte es dann zu spät sein.