Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Geschmackssache
Für die meisten Menschen ist Wasser gleich Wasser – Wassersommeliers lernen den feinen Unterschied zu schmecken
Mineralwasser ist nicht gleich Mineralwasser
MÜNCHEN/BAD RAGAZ - Emma Fortescue aus Südengland sitzt in einem lang gezogen Seminarraum in Gräfelfing bei München. Vor ihr stehen mehrere Wassergläser auf einem hellen Holztisch. Sie setzt eines an ihre Lippen und schlürft einen kleinen Schluck. Nachdem sie die Flüssigkeit mit nachdenklichem Blick eine Weile in ihrem Mund hin und her geschoben hat, sagt sie zu ihren Tischnachbarn: „Es ist definitiv kein calciumhaltiges Wasser, weil Calcium den Mund eher trocken macht.“Eine blonde Frau aus Kroatien, die ihr gegenübersitzt, meint: „Ich weiß nicht. Ich fühle schon eine gewisse Trockenheit, aber erst nach dem Schlucken.“Ohne seinen prüfenden Blick von dem mit Wasser gefüllten Glas abzuwenden, sagt Yuri Volodin aus Moskau: „Ich finde, man schmeckt eine gewisse Bitterkeit und Süße zur selben Zeit.“
Alle drei sind nach Gräfelfing gekommen, um gemeinsam mit 14 weiteren Teilnehmern eine zweiwöchige Ausbildung zum Wassersommelier zu absolvieren. Dreimal jährlich bietet die Genussakademie Doemens die Schulung für rund 3000 Euro an – und meistens ist die Veranstaltung ausgebucht. „International ist das Interesse an dieser Ausbildung in den letzten Jahren stark gestiegen, vor allem im asiatischen Raum“, erklärt Peter Schropp, Lehrgangsleiter an der Akademie. Er selbst hat den Wassersommelierkurs entworfen.
Von salzig bis fruchtig
„Beim Wasser muss man sich wirklich auf Geschmack und Haptik konzentrieren, da es im Gegensatz zu Bier oder Wein keine Färbung und normalerweise auch keinen Geruch hat“, erklärt er, während seine Schüler weiter an den Gläsern nippen. Ähnlich wie bei einem Wein- oder Biersommelierkurs lehrt er die Teilnehmer – gemeinsam mit seiner Kollegin Nicola Buchner –, was verschiedene Mineralwässer für einen Duft, Geschmack, Körper, Textur und CO2-Gehalt haben. Die Attribute, die dem Wasser dabei zugesprochen werden können, reichen von abgerundet, schlank und neutral über salzig, metallisch bis hin zu fruchtig, intensiv oder moussierend.
„Wenn zum Beispiel viel Natrium im Wasser ist, dann schmeckt es eher salzig. Calcium bewirkt einen etwas trockenen Geschmack“, erklärt Schropp. Je höher der Mineralgehalt im Wasser, desto leichter sei zu erkennen, um welche Marke es sich handle. Wasser mit wenig Mineralstoffen sei geschmacklich dagegen nur schwer zu unterscheiden. Die meisten Menschen würden sich darüber aber kaum Gedanken machen. „Viele meinen, dass Mineralwasser entweder Kohlensäure haben oder sehr stark mineralisiert sein muss. Beides trifft aber nicht zu“, sagt er.
Wann ein Wasser als Mineralwasser gilt, ist strikt geregelt. Es muss zum Beispiel durch eine Bohrung direkt am Quellort abgefüllt werden,
„Man kann nicht sagen, dass ein teures Wasser ein besseres Wasser ist.“Peter Schropp, Lehrgangsleiter des Sommelierkurses
und die Zusammensetzung darf nicht schwanken. Trinkwasser hingegen wird meist aus Grundwasservorkommen, Seen oder Flüssen gewonnen. Und was ist jetzt besser?
„Das Leitungswasser in Deutschland ist sicher gut“, sagt Schropp. Beim Mineralwasser könne sich aber jeder aussuchen, was einem guttue. „Wenn man Sport gemacht hat, dann sollte man eher ein Wasser mit einem hohen Magnesiumgehalt trinken“, erklärt er. Frauen empfiehlt er Wasser mit viel Calcium – das helfe, Osteoporose vorzubeugen.
Gerade dieser Aspekt interessiert Emma Fortescue an der Ausbildung besonders. „Man kann so viel über ein Glas Wasser sagen“, ist ein Satz, den die ehemalige Investmentbankerin häufig sagt. Obwohl sie die Ausbildung rein aus Spaß und Neugier begonnen hat, denkt sie nun darüber nach, mit Wasser ein Geschäft aufzubauen. Was genau sie machen möchte, weiß die zweifache Mutter noch nicht. Ihr Nebensitzer Yuri Volodin ist da schon wesentlich weiter. Seit vier Jahren vertreibt er sein eigenes Mineralwasser in Russland. „Man kann mein Wasser in allen Toprestaurants in Russland kaufen“, erzählt er stolz. Etwa 500 Jahre sei die Quelle alt, gelegen 400 Kilometer nordöstlich von Moskau. Für die Akademie hat er eine Flasche als Geschenk mitgebracht – eine durchsichtige mit rot-schwarzem Etikett. Sie steht nun in einer Reihe mit anderen, teilweise exotisch anmutenden Flaschen, auf einem Wandregal im Seminarraum.
Eine davon mit einem glitzernden Schriftzug sticht besonders hervor. „Im Restaurant kosten 0,75 Liter davon etwa 70 Euro“, erklärt der Seminarleiter. Das heiße aber nicht, dass das Wasser von außerordentlich guter Qualität sei. Der Grund für den exorbitanten Preis des Wassers ist schlichtweg die Verpackung. Der Schriftzug besteht aus SwarowskiSteinen. „Man kann nicht sagen, dass ein teures Wasser ein besseres Wasser ist“, erklärt Schropp.
Wassersommelier in der Schweiz
Anke Scherer teilt diese Meinung. Im Schweizer Fünf-Sterne-Hotel Grand Ressort in Bad Ragaz steht sie hinter der Theke der Wasserbar und gießt aus einer kleinen Flasche eine schwarze Flüssigkeit in ein Glas. Hinter ihr an der Wand des hohen, mit Marmor ausgekleideten Raums, in dem gediegene Musik spielt, ragt ein massives Holzregal bis zur Decke. Das Regal ist nicht mit Spirituosen, wie in einer Bar üblich, sondern mit verschiedenen Wasserflaschen gefüllt. „Das ist die einzige Bar, in der man den ganzen Abend trinken kann und am nächsten Tag keinen Kater hat“, sagt sie und lacht laut. Scherer, aufgewachsen in der Nähe des Hunsrück, ist in dem Hotel als Wassersommelière angestellt. Auch sie absolvierte ihre Ausbildung zur Fachfrau für Wasser in Gräfelfing.
Die schwarze Flüssigkeit im Glas riecht süßlich und schmeckt ähnlich wie verdünnter Brombeerjoghurt. „Das Wasser reiche ich eher als Gag zur Verkostung“, sagt sie. Der Trick mit der Farbe: beigemischte Aktivkohle. „Im Restaurant würde ich das eventuell zu einem beerigen Dessert empfehlen.“Aber dass Scherer im Restaurant Gästen das passende Wasser zu ihrem Wein oder ihren Speisen empfiehlt, komme so gut wie nie vor. Sonst würde sie zu stillem Wasser bei Rotwein raten, bei Weißwein zu kohlesäurehaltigem und bei Spirituosen zu eher niedrig mineralisertem Wasser. Doch selbst die Klientel des Fünf-Sterne-Hotels, die durchaus an außergewöhnlichen Service gewohnt sei, reagiere bei Wasserempfehlung eher verwirrt. „Ich habe an ein, zwei Abenden im Restaurant versucht, den Gästen Ratschläge für ihr Wasser zu geben.“So richtig sei das aber nicht angenommen worden.
„Der Beruf Wassersommelier ist in Restaurants noch auf verlorenem
„Der Beruf Wassersommelier ist in Restaurants noch auf verlorenem Posten.“Anke Scherer, Wassersommelière im Grand Ressort in Bad Ragaz
Posten“, sagt Scherer. Bei vielen Menschen sei das Bewusstsein für Wasser einfach noch nicht angekommen. „Ich ernte häufig noch kritische Kommentare wie: Wasser ist doch Wasser.“
Dass es irgendwann Wassersommeliers geben wird, die ihre Aufgabe in der Gastronomie hauptberuflich ausüben, glaubt Scherer nicht. Sie kennt bis jetzt keine Kollegen, die allein dieser Aufgabe nachgingen. Derzeit würden Wassersommeliers eher im Getränkefachhandel oder in Mineralwasserbetrieben arbeiten. Um die Aufmerksamkeit für den Geschmack des Wassers ein wenig zu schärfen, bietet Scherer Wasserdegustationen an ihrer Bar an. Ihre Hauptaufgaben als „Food and Beverage Administration Manager“im Grand Ressort sind unter anderem die Verwaltung der Reservierungen, Schulungen für Mitarbeiter oder die Organisation der Livemusik in den Bars.
Die Ausbildung zur Fachfrau für Wasser hat die hochgewachsene Frau mit den kurzen hellbraunen Haaren 2016 absolviert. Seitdem trinke sie Wasser nicht mehr wie früher: „Ich überlege mir, wieso ich zu einem gewissen Zeitpunkt welches Wasser trinke.“Auch wenn sie Essen geht, fragt sie häufig, welches Wasser das Restaurant ausschenkt. Obwohl die Gastronomiefachfrau die Qualität des Wassers nicht am Preis oder der Aufschrift auf der Flasche festmache, würde sie ein sehr bekanntes Wasser gerne probieren. Es stammt aus dem japanischen Rokko-Gebirge, aus einer Region, in der Menschen besonders alt werden. Das Wasser wird daher als Jungbrunnen gehandelt. Ein Liter kostet hierzulande um die 130 Euro und gilt damit als eines der teuersten Wässer der Welt.
Regenwasser aus Tasmanien
Viele Mineralwässer seien deswegen so teuer, weil sie gleichzeitig eine Geschichte verkaufen, erklärt Peter Schropp. Wenn ein Wasser als besonders gesund gelte oder ein gewisses Lebensgefühl vermittle, seien manche Leute bereit, mehr dafür zu bezahlen. Marketing macht eben auch vor Wasser nicht halt. Als Beispiel nennt er eine Firma aus Australien, die auf einer Insel Nahe Tasmanien Regenwasser sammelt und es in die ganze Welt verkauft. Dem Unternehmen zufolge soll das Wasser eines der reinsten der Welt sein, weil die Atmosphäre über der Insel zu den saubersten des Planeten gehöre. Besonders viele Mineralstoffe enthält das Wasser aber nicht. „Regenwasser eben“, sagt Schropp und zuckt mit den Schultern.