Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Komfortabel, kompakt, erfolgreich
Europas Caravan-Hersteller wachsen – und mit ihnen die oberschwäbischen Unternehmen Erwin Hymer und Carthago
DÜSSELDORF - Ein Caravan mit Elektroantrieb, pfiffige Kompaktmodelle, Luxusreisemobile, Familienfahrzeuge, mal retro, mal modern: Die mehr als 600 Anbieter des Caravan-Salons in Düsseldorf präsentieren für Campingfans aus aller Welt Tausende von Neuheiten. Rund 2100 Freizeitfahrzeuge sind in Düsseldorf bei der weltgrößten Messe für Wohnmobile und Wohnwagen zu sehen.
Dabei ist eines klar. Die Caravanbranche boomt – und steuert erneut auf ein Rekordjahr zu: mehr Fahrzeuge, mehr Umsatz, mehr Modelle. Allein im ersten Halbjahr 2018 haben deutsche Camper mehr als 50 000 Wohnmobile und Wohnwagen neu zugelassen – das sind 11,8 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum im Jahr zuvor. Neuer Rekord, wie der Caravaning Industrie Verband zum Auftakt der Messe am Freitag bekannt gab. Der Umsatz stieg im ersten Halbjahr 2018 auf 5,88 Milliarden Euro – das sind 12,7 Prozent mehr als in den ersten sechs Monaten des vergangenen Jahres.
Klarer Marktführer in Europa ist mit großem Abstand die Erwin-Hymer-Gruppe (EHG) mit Sitz in Bad Waldsee (Kreis Ravensburg). Das Traditionsunternehmen aus Oberschwaben vereint inzwischen 24 Marken unter einem Dach, wuchs schneller als der Markt und steigerte den Umsatz im Geschäftsjahr 2017/18 auf 2,5 Milliarden Euro – das sind fast 20 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Und „die Zeichen stehen weiter auf Wachstum“, sagte EHG-Vorstandschef Martin Brandt der „Schwäbischen Zeitung“. Sowohl die europäischen Marktanteile (26 Prozent bei Wohnmobilen und 22 Prozent bei Wohnwagen) als auch die in den USA und in China sollen ausgebaut werden.
EHG weiter auf Investorensuche
Um das Wachstum vor allem in Nordamerika und in China zu finanzieren, will die inzwischen 7300 Mitarbeiter zählende EHG einen bedeutenden Minderheitsanteil verkaufen. Denkbar ist nach Unternehmensangaben entweder die Hereinnahme eines strategischen Investors oder ein Börsengang. Auch eine Kombination aus Finanzinvestor und dem Schritt an die Börse wenige Jahre danach sei durchaus denkbar, sagt Brandt. Aber man lasse sich Zeit mit der Suche nach Partnern für dieses Vorhaben. „Wir sind in Gesprächen, und es herrscht kein Druck“, fasst Brandt den aktuellen Stand zusammen. Wenn die Familie des Unternehmensgründers Erwin Hymer, die die EHG im Moment vollständig besitzt, Anteile abgibt, „dann muss die Chemie stimmen, dann müssen auch die Werte übereinstimmen“. Druck herrsche bei der Suche nach einem Partner nicht – nicht zuletzt deshalb, weil der Gewinn der EHG „mehr als ordentlich“sei, wie Brandt erklärte. Zu den genauen Zahlen aber schwieg er.
Einen passenden Partner für das Geschäft in der Volksrepublik China hat die EHG dagegen schon gefunden: Mit dem in der Provinz Henan beheimateten Fahrzeugbauer Lingyu, der unter der Marke Loncen bereits sechs verschiedene Wohnwagenmodelle baut, will das oberschwäbische Unternehmen in Zukunft Wohnwagen und Wohnmobile für den chinesischen Markt herstellen. Lingyu produziert vor allem Elektrobusse und verfügt über ein für die EHG attraktives Servicenetz in der Volksrepublik.
Gespräche mit Peking
Die EHG ist „in Gesprächen mit der Regierung in Peking“, erläutert Brandt. Denn China will seinen Tourismus ausbauen – 2000 Campingplätze unterschiedlicher Größe sollen entstehen. „Da wollen wir von Anfang an dabei sein“, sagt Brandt. Die ersten Wohnmobile europäischer Art werden an die Campingplätze geliefert, um dort vermietet zu werden. Erst in drei bis vier Jahren sollen speziell für den chinesischen Markt entwickelte Freizeitmobile in dem Werk des Gemeinschaftsunternehmens entstehen.
Die Produktion in China werde Schritt für Schritt ausgebaut, zuerst montiere man aus Deutschland gelieferte vorgefertigte Teile. Auf fertige Fahrzeuge falle ein Importzoll von 40 Prozent an, für die Teile nur von 15 Prozent, die wegfallen, wenn die Produktion dann komplett in China aufgebaut ist. Sassenheim ist der Standort, der den ersten Schritt nach China verantwortet. Lingyu-Chef Liu Baoshan beschreibt die Partnerschaft als Zusammentreffen von „deutscher Präzision und chinesischer Produktionsgeschwindigkeit“, denn bei den zunächst angepeilten 10 000 Fahrzeugen im Jahr soll es nicht bleiben. Das Potenzial für den chinesischen Markt liegt laut Studien bis zum Jahr 2020 bei rund 22 Milliarden Euro. 15 Prozent Marktanteil strebt EHG an. „Wir sehen dort einen Boom“, sagt Brandt.
Beim Premiumhersteller Carthago mit Sitz in Aulendorf (Kreis Ravensburg) sind Asien oder Amerika „aktuell kein Thema. Globalisierung ist nicht unser Ziel“, sagt Gründer und Inhaber Karl-Heinz Schuler der „Schwäbischen Zeitung“. Wachsen wolle man, das schon, aber „über das Produkt und mit dem Produkt“, ergänzt Bernd Wuschak, Geschäftsführer Vetrieb, Marketing und Kundendienst. Zuletzt gelang das: Carthago steigerte seinen Umsatz um 15 Prozent auf 345 Millionen Euro. Mit 5200 Fahrzeugen liegt man 18 Prozent über der Produktion vom Jahr davor. Ziel seien 5500 Fahrzeuge. Innovationen sollen das Wachstum antreiben, das sich auf den europäischen Kernmarkt konzentrieren soll, erklärt Schuler. Gebremst werde das Wachstum lediglich vom Mangel an Fachkräften. Ein Problem, das Carthago mit der Konkurrenz teilt, weil man überall in der Branche am Kapazitätslimit produziere, so Schuler. Er schätzt, dass sein Unternehmen im vergangenen Jahr sonst rund 100 Fahrzeuge mehr hätte produzieren können. Und manchmal sei man auch zu leidenschaftlich, sagt Schuler. „Die ein oder andere Innovation hätten wir ein Jahr länger in der Schublade lassen sollen“, erklärt der 64-Jährige. Da habe man durchaus Kraft in der Produktion gebunden.
Dethleffs zeigt E-Konzeptmodell
Innovativ präsentierte sich auch die EHG-Marke Dethleffs mit Sitz in Isny (Kreis Ravensburg). Dethleffs verantwortet in der EHG vor allem die Entwicklung der Antriebe. Das Konzeptfahrzeug eHome Coco ist in Zusammenarbeit mit dem Automobilzulieferer ZF aus Friedrichshafen entstanden. ZF hat dafür eine elektrische Antriebsachse entwickelt, die den leichten Wohnwagen von Dethleffs mit Elektromotoren von insgesamt 80 Kilowattstunden Leistung antreiben kann. In Kombination mit einem Zugentlastungsmodul soll die Antriebsachse eine konstante Last am Zugfahrzeug gewährleisten, sodass auch leistungsschwächere Autos sowie Elektrofahrzeuge den Wohnwagen ziehen können. Die Vision bei Dethleffs lautet, dass so ein vollelektrisches Gespann ohne nachzuladen von Isny über die Alpen an den Gardasee fährt, erklärt DetleffsChef Alexander Leopold.
Mit diesem Modell trägt Dethleffs auch einem aktuellen Trend im Caravanbereich Rechnung: Kleinere und kompaktere Fahrzeuge werden laut Branchenvertretern und Herstellern immer beliebter. Trotzdem sollen die Modelle auch komfortabel und leicht zu bedienen sein. Dafür waren die Kunden 2017 auch bereit, mehr zu zahlen. Die durchschnittlichen Preise für Wohnmobile stiegen um 3,4 Prozent, die für Caravans um 2,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Und das Wachstum soll auch 2019 weitergehen. Darauf setzt die Branche – und geht nach den Rekorden der vergangenen Jahre auch davon aus, dass das zu schaffen ist.