Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Die NSDAP in der Schweiz
Zur Ausdehnung des Nationalsozialismus über den Bodensee hinaus
Schon der Erste Weltkrieg hatte Spannungen zwischen einer tendenziell deutschfreundlichen, alemannischen Deutschschweiz und einer proalliierten, romanischen Eidgenossenschaft verdeutlicht – ein Graben, der den Zusammenhalt des neutralen Landes gefährdete. Wie reagierte die Schweiz auf das Ausgreifen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei in Richtung Alpen? Immerhin wirkte mit Wilhelm Gustloff ein prominenter „alter Kämpfer“der Partei in Davos.
Die NSDAP verfügte mit geschätzt 5000 Mitgliedern (1935) nicht über das Potenzial, um zu einer wirklichen Gefahr für die Eidgenossenschaft zu werden. Zwar war es dem Nationalsozialismus in den frühen 1930er-Jahren gelungen, Ortsgruppen und Stützpunkte in vielen größeren Städten der Schweiz einzurichten. Selbst die Hitler-Jugend war präsent, in Bern etwa unter dem HJ-Führer Richard von Weizsäcker, dem Sohn des deutschen Gesandten. Mit Blick auf solche NS-Aktivitäten wurde zwar ein generelles Verbot der NSDAP in der Schweiz von den Berner Bundesbehörden erwogen, aber angesichts zahlreicher Schweizer Staatsbürger im Deutschen Reich und den engen wirtschaftlichen Verflechtungen beider Staaten immer wieder verworfen.
Hitler am Bodensee
Überhaupt spielte die Grenze entlang des Hochrheins von Basel bis Konstanz eine nicht unbedeutende Rolle für die Entwicklung der NSDAP in der Schweiz. Als Adolf Hitler am 29. Juli 1932 in der Radolfzeller „MettnauKampfbahn“seine erste und einzige Rede am Bodensee – und zwar in unmittelbarer Sichtweite des Schweizer Ufers – hielt, wurde er von 5000 Schweizer Anhängern unter den rund 35 000 Teilnehmern bejubelt. Unmittelbar vor dem „Führer“hatte der Zürcher Architekt Theodor Fischer, der Gründer der bald schon aufgelösten „Nationalsozialistischen Eidgenössischen Arbeiterpartei“, gesprochen. Schweizer NS-Sympathisanten wurden nach 1933 nicht in die NSDAP aufgenommen, vielmehr organisierten sie sich in den sogenannten Fronten. Die NSDAP in der Schweiz blieb ein zahlenmäßig überschaubares Sammelbecken von „Reichsdeutschen“, deren Bevölkerungsanteil 1930 genau 3,3 Prozent betrug. Die im Juni 1933 gegründete NSDAP Liechtenstein wurde der Landesgruppe Schweiz unterstellt. In Liechtenstein lebten damals 455 Deutsche. Spätestens jetzt war Gustloff unangefochten das Gesicht der Partei in der Schweiz und in Liechtenstein. Im Gegenzug war er den Schweizer Behörden Garant dafür, dass die NSDAP ein Zusammenschluss der „Reichsdeutschen“blieb. Die zentrale Figur der NSDAP in der Schweiz wurde in Schwerin geboren. Seit 1917 war Gustloff infolge eines Lungenleidens in Davos ansässig und hatte von 1919 bis 1934 als Angestellter beim Physikalisch-Meteorologischen Observatorium gearbeitet. 1927 folgte der Beitritt zur NSDAP. 1936 wurde er von einem jungen Juden in Davos ermordet; so brachte es der Landesgruppenleiter der NSDAP in der Schweiz ungewollt zum Märtyrer und ersten „Blutzeugen“der Partei im Ausland.
Doch unabhängig davon blieb der eidgenössische Unabhängigkeitswille jenseits aller völkischen Ideologie bis 1945 bestehen. Der Berner „Bund“urteilte am 15. Februar 1936: „Eine ausländische Partei, deren Theorie einen wesentlichen Teil der Schweiz als Bestandteil des künftigen Reiches miterfasst, hat kein Recht auf Schweizerboden“.
Prof. Dr. Jürgen Klöckler ist der Leiter des Stadtarchivs Konstanz
Der Beitrag ist dem Jubiläumsband entnommen:
Harald Derschka/Jürgen Klöckler (Hg.): Der Bodensee. Natur und Geschichte aus 150 Perspektiven. Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag 2018, 25 Euro.