Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Keine Engpässe bei Blutdrucksenkern
Was Betroffene nach dem massenhaften Rückruf von Blutdrucksenkern jetzt wissen müssen
RAVENSBURG (dre) - Die groß angelegte Rückrufaktion von verunreinigten Blutdrucksenkern mit dem Wirkstoff Valsartan hat in den vergangenen Wochen Patienten, Ärzte und Apotheker beschäftigt. Nach Angaben der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg gibt es im Südwesten aber keine Engpässe. Apotheker und Ärzte kritisieren indes die Verlagerung von Medikamentenproduktion ins Ausland. Die betroffenen Hersteller hatten den verunreinigten Wirkstoff aus China bezogen.
RAVENSBURG - Die massenhafte Rückrufaktion von Blutdrucksenkern mit dem Wirkstoff Valsartan hat viele Patienten verunsichert. Noch ist nicht abschließend geklärt, wie der mit einer potenziell krebserregenden Substanz verunreinigte Wirkstoff eines chinesischen Herstellers seit 2012 unbemerkt bleiben konnte. Für Betroffene heißt es derzeit: den Arzt aufsuchen und nach Rücksprache auf andere Präparate umsteigen – auf keinen Fall aber eigenmächtig Medikamente absetzen.
Die gute Nachricht: „Die Apotheken sind lieferfähig“, sagt Frank Eickmann, Pressesprecher des Landesapothekerverbands Baden-Württemberg. „Zwar sind nicht immer alle Packungsgrößen oder Dosierstärken da“, so Eickmann, aber diese Probleme könnten in der Apotheke in aller Regel gelöst werden. Im Südwesten gebe es derzeit keine Engpässe – und das, obwohl 18 der 20 deutschen Valsartan-Hersteller von dem Rückruf betroffen sind. Der Großteil davon bezog den Wirkstoff von dem chinesischen Hersteller Zhejiang Huahai Pharmaceuticals. Die Deutsche Arzneimittelkommission hatte im Juli massenhaft Arzneimittel unterschiedlicher Unternehmen vorsorglich zurückrufen lassen, weil der aus China stammende Wirkstoff mit N-Nitrosodimethylamin (NDMA) verunreinigt ist. Die internationale Agentur für Krebsforschung der Weltgesundheitsorganisation WHO und die EU stufen den Stoff beim Menschen als wahrscheinlich krebserregend ein. Experimente haben bislang gezeigt, dass der Stoff bei vielen Tierarten krebserregend ist. Seither hat das chinesiche Unternehmen die Berechtigung verloren, Valsartan in die Europäische Union zu liefern.
Die Valsartan-Hersteller, die keinen verunreinigten Stoff bezogen, würden ihre Produktion um bis zu 200 Prozent aufstocken, damit es nicht zu Engpässen kommt, so Eickmann. Für ihn stellt sich die Frage, wie so etwas passieren konnte. Denn Rückrufe seien zwar nicht selten, etwa, wenn sich mal ein Druckfehler auf der Packung eingeschlichen habe, sagt Eickmann. „Doch in dieser Form ist das einzigartig, das haben wir so noch nicht erlebt.“Unklar ist derzeit noch, ob der Fehler beim Wirkstoff-Hersteller in China, in der europäischen Kontrollkette oder bei den Herstellern der Fertigarznei zu suchen ist. Fest stehe aber, dass das Qualitätsmanagement überprüft werden muss. Patienten hätten einen Anspruch auf einwandfreie Medikamente. „Wir müssen uns auf die Ordnungsgemäßheit verlassen können.“In Apotheken gebe es zwar ebenfalls Qualitätstests, doch diese könnten eben nur in einem bestimmten Rahmen stattfinden – Sichtprüfungen, Stichproben, Packungsüberprüfungen. „Ansonsten müsste ja jede Apotheke gigantische Laboratorien haben“, so Eickmann. Viele Apotheken hätten ihre registrierten Kunden, bei denen dann Daten über Verschreibungen und Medikation vor Ort hinterlegt sind, angerufen und ihnen empfohlen, zum Arzt zu gehen, um eine Alternative zu den vom Markt genommenen Blutdrucksenkern zu finden. Einer Schätzung der Bundesregierung zufolge könnten im vergangenen Jahr rund 900 000 Patienten das verunreinigte Mittel eingenommen haben. „Bluthochdruck gilt als Volkskrankheit“, sagt Eickmann. Valsartan sei wegen seiner effektiven Wirkung und den vergleichsweise geringen Nebenwirkungen sehr „beliebt“.
Für Claudia Sacher von der Apotheke am Frauentor in Ravensburg liegt der Fehler im System: „Das ist eine Folge der Preispolitik“, sagt sie. Es könne nicht sein, dass es immer nur darum gehe, möglichst billig zu produzieren. Einen Engpass gebe es noch nicht, da etwa Novartis und TAD Pharma Valsartan-Medikamente anböten, die nicht vom Rückruf betroffen sind. Einem aktuellen Artikel des „Ärzteblatts“zufolge betreffen die Rückrufe etwa 40 Prozent der Patienten, die Valsartan nehmen müssen.
Kritik an der Qualitätskontrolle
Fragt man Prof. Dr. Günther Wiedemann, Chefarzt für Innere Medizin am Elisabethen-Krankenhaus in Ravensburg, handelt es sich um einen vermeidbaren Skandal. „Wir kennen die Hintergründe noch nicht, aber wie kann es sein, dass so ein Fehler von der Qualitätskontrolle sieben Jahre lang nicht bemerkt wird?“Er kritisiert die Verlagerung der Produktion von Medikamenten ins Ausland. „Wenn Wirkstoffe in China oder Indien hergestellt werden, leidet oft die Qualitätskontrolle. Da wissen Sie oft nicht, was Sie schlucken.“Er kritisiert allerdings auch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA), die in Umlauf gebracht hat, dass durch die verunreinigten Blutdrucksenker auf 5000 Menschen ein zusätzlicher Krebsfall komme. „Wem nutzen solche Zahlen, die noch dazu wissenschaftlich fragwürdig sind? Sollen die Leute jetzt dauernd Angst haben, dass sie an Krebs erkranken?“In Deutschland erkranke ohnehin jeder zweite Mann an Krebs, bei den Frauen seien es 43 Prozent. „Wir können zur Vorsorge gehen, gesund leben, nicht rauchen, gesund essen und uns bewegen – das ist das, was jeder Einzelne wirklich tun kann.“