Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Fahrverbote in Stuttgart kommen wohl trotz Einigung
Regierung setzt beim Diesel auf Umtausch und Nachrüstung in 14 Städten – Kritik von Umweltschützern
STUTTGART/BERLIN (dpa/AFP) Trotz des neuen Dieselkonzepts der Bundesregierung hält Baden-Württemberg vorerst an den geplanten Fahrverboten für ältere Fahrzeuge ab 2019 in Stuttgart fest. Die zum 1. Januar vorgesehenen Maßnahmen müssten wohl gehalten werden, sagte Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) in Stuttgart. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich da groß etwas ändert.“Die Verbote sind zunächst für Euro-4-Diesel und schlechter geplant, um die Luft in Stuttgart sauberer zu bekommen. FDP und SPD forderten die Landesregierung auf, auf die Fahrverbote zu verzichten. Ähnlich äußerte sich Gemeindetagspräsident Roger Kehle.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hofft, dass die Zahl der betroffenen Euro-4-Diesel rapide abnehmen wird, wenn die geplante Umtauschprämie greift. BMW will demnach beim Tausch gegen einen Neuwagen pauschal 6000 Euro zahlen, Daimler bis zu 10 000 Euro und Volkswagen je nach Modell bis zu 8000 Euro. Renault kündigte Prämien bis zu 10 000 Euro an.
Die Spitzen der schwarz-roten Bundesregierung hatten sich in der Nacht zu Dienstag darauf geeinigt, dass Besitzer älterer Diesel in Regionen mit besonders schmutziger Luft neue Angebote zum Kauf sauberer Wagen und für Nachrüstungen bekommen sollen. Vorgesehen ist dies für 14 besonders betroffene Städte: im Südwesten für Stuttgart, Reutlingen, Heilbronn, Backnang und Ludwigsburg, in Bayern für München.
Wirtschaftsverbände begrüßten die Beschlüsse. Umweltschützer zeigten sich enttäuscht. Die Deutsche Umwelthilfe warf der Regierung vor, vor der Autoindustrie „eingeknickt“zu sein. Greenpeace erklärte, es handele sich um eine Strategie, „die dem Klima weiter schadet und Ressourcen verschwendet“.
BERLIN - Viel gelacht wurde in der Bundespressekonferenz in Berlin am Dienstagmittag. In bester Laune haben Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) und Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) die Dieseleinigung präsentiert, die Fahrverbote entschärfen oder unnötig machen soll. Rund 1,4 Millionen Besitzer von Diesel-Pkw und Transportern können sich demnach Hoffnung auf stark geförderten Umtausch oder kostenlose Nachrüstung machen. Letzterem haben BMW, Daimler und VW aber noch nicht zugestimmt. Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth (SPD) sagte der „Schwäbischen zeitung“jedoch, die Fahrzeughalter müssten die Reparatur nicht zahlen. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten auf einen Blick.
Was hat der Koalitionsausschuss genau beschlossen?
Städte mit leichter Stickoxidüberschreitung – etwa 50 Kommunen wie Mannheim, Offenbach, Mainz, Freiburg oder Frankfurt, in denen vor allem von Dieseln verursachte Stickoxidbelastungen zwischen 40 und 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft gemessen werden, liegen über dem Grenzwert. Es drohen aber keine unmittelbaren Fahrverbote. In diesen Städten sollen beispielsweise Handwerker und Lieferfirmen 80 Prozent der Kosten vom Bund erstattet bekommen, wenn sie ihre Transporter nachträglich mit Stickoxidkatalysatoren (SCR-Systemen) ausrüsten lassen. Das könnte bis zu 190 000 Fahrzeuge betreffen, sagte Verkehrsminister Scheuer. Kosten für die Bundesregierung: etwa eine halbe Milliarde Euro. Weil diese Renovierung für die Gewerbebetriebe ziemlich günstig ist, wird sie wohl überwiegend klappen. Außerdem will die Regierung den Kommunen mit 80-prozentiger Förderung helfen, zum Beispiel ihre Müllund Krankenwagen nachzurüsten. Das bereits existierende Programm in Höhe von einer Milliarde Euro will die Koalition ausdehnen.
Wie sieht es in Städten mit großer Stickoxidüberschreitung aus?
In den 14 Städten, wo die Stickoxidbelastung über 50 Mikrogramm liegt, ist es komplizierter. Das sind München, Stuttgart, Köln, Reutlingen, Düren, Hamburg, Limburg, Düsseldorf, Kiel, Heilbronn, Backnang, Darmstadt, Bochum und Ludwigsburg. Fahrverbote für Dieselfahrzeuge sind dort wahrscheinlicher, teilweise sogar schon in Kraft. Für diese Kommunen, die angrenzenden Landkreise sowie Bürger, die dort wohnen und arbeiten, beschloss die Koalition, dass Diesel-Pkw der EuroNorm 4 und 5 weiterfahren dürfen, wenn sie weniger als 270 Milligramm Stickoxid pro Kilometer ausstoßen. Das können die Halter in den 14 Städten erreichen, wenn sie ihre Fahrzeuge in etwas neuere Modelle umtauschen oder ihre älteren nachrüsten.
Wer bezahlt die Nachrüstung mit Katalysatoren?
Den Dieselbesitzern in den 14 Städten sollen die Autokonzerne das Angebot machen, Pkw der Euro Norm 5 kostenlos mit Katalysatoren auszurüsten, sagten Schulze und Scheuer. „Alle Nachrüstungen bei deutschen Herstellern müssen ohne finanzielle Beteiligung der Halter stattfinden“, so Umweltstaatssekretär Flasbarth. „Sonst hat das ganze Konzept keinen Sinn.“Bisher sind die Unternehmen dazu offenbar nicht bereit. BMW schließt kostenlose Nachrüstungen aus. Daimler und VW sind wohl kompromissbereiter, wollen die Aufwendungen aber auch nicht alleine tragen.
Wie soll die Kontrolle in den Städten aussehen?
Die Minister Scheuer und Schulze nehmen an, dass Fahrverbote weitgehend unnötig sind, wenn man alles umsetzt. Kommt es doch zu Fahrbeschränkungen, wären nur wenige Autos betroffen. Diese sollen die Kommunen aus den Verkehrsströmen herausfischen, indem Ordnungsämter und Polizei mithilfe der Nummerschilder ermitteln, wieviel Abgase die Diesel verursachen.