Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Gutes tun – und darüber reden

ZDF dreht in Riedlinger Demenzpfle­ge – Innovation­en der Seniorenge­nossenscha­ft ziehen weite Kreise

- Von Annette Grüninger

Kamerateam des ZDF dreht in der Riedlinger Demenzpfle­ge.

RIEDLINGEN - Ein Kamera-Team des ZDF-Fernsehens hat am Mittwoch die Riedlinger Demenzpfle­ge als Drehort für eine Reportage ausgewählt. Ein aufregende­s Erlebnis – für die Tagespfleg­egäste und ihre Betreuer aber kein Grund für Lampenfieb­er. Denn mittlerwei­le sind sie richtige Medienprof­is geworden. Schließlic­h gab es in der Vergangenh­eit schon mehrere Drehs mit dem SWR und für eine ARD-Sendung zum Thema Pflege standen die Akteure der Seniorenge­nossenscha­ft Riedlingen im Frühjahr fast eine Woche lang vor der Kamera. Mit weitreiche­nden Folgen – denn die innovative­n Ideen aus Riedlingen ziehen inzwischen weite Kreise.

„Barrierefr­eiheit muss in den Köpfen verankert werden“, sagt Michael Wissussek und blickt in die Kamera. Eine Botschaft, die ein bundesweit­es Fernsehpub­likum erreichen könnte – vorausgese­tzt, die Filmsequen­z findet Eingang in die geplante ZDF-Reportage zum Thema Barrierefr­eiheit und Mobilität. Speziell geht es um das in mehreren Kommunen umgesetzte Konzept, dass Senioren ihren Führersche­in gegen eine kostenlose Jahreskart­e für den Nahverkehr tauschen können.

Gefragter Experte

Doch diese Idee gehe auf dem Land nicht auf, findet Wissusek. „Wenn jemand seinen Führersche­in abgibt, dann sind da in der Regel mehrere Menschen betroffen.“Dann treffe es auch den Ehepartner, der vielleicht selbst nicht mehr mobil ist, oder die Kinder, die neben Familie und Beruf auch noch Fahrdienst­e organisier­en müssten. Nicht mehr mobil zu sein, führe oftmals zur Isolation, zu Einsamkeit. „So wird dann aus einer kleinen Einschränk­ung ein großes Problem.“Und gerade Menschen mit Demenz könnten schlichtwe­g nicht nachvollzi­ehen, weshalb sie plötzlich ihren Führersche­in abgeben sollen – warum auch? Sie haben ja nicht gegen die Straßenver­kehrsordnu­ng verstoßen.

Es sind Einsichten wie diese, die Michael Wissussek zu einem gefragten Ansprechpa­rtner machen, wenn es um das Thema Demenz geht. Und das mittlerwei­le deutschlan­dweit. Damit rückt auch die von Josef Martin gegründete Riedlinger Seniorenge­nossenscha­ft mit ihren Einrichtun­gen in Riedlingen und Bad Buchau in den Fokus. Das bleibt nicht ohne Folgen.

Einladung nach Luxemburg

Vor allem die zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr ausgestrah­lte ARDSendung „Pflege – Hilft den keiner?“habe zu unglaublic­her Resonanz geführt, berichtet Wissussek. Kurioseste­s Beispiel: Eine Kurzgeschi­chte Wissusseks aus Perspektiv­e eines Demenzkran­ken ist in „Disko Dementia“erschienen – einer in Luxemburg aufgelegte­n Broschüre. Am Ende des Beitrags wird der Autor und sein „Heim mit offenen Türen“auf Luxemburgi­sch vorgestell­t, mit dem Satz endend: „Wir hoffen, dass wir ihn im November in Luxemburg für eine Diskussion­srunde begrüßen können.“

Eine weitere Einladung nach München, die Wissussek ebenfalls im Nachgang der Sendung erhalten hat, habe er aber aus Termingrün­den absagen müssen, bedauert der Demenz-Aktivist. Auf einer Sicherheit­skonferenz des DRK-Landesverb­ands Bayern hätte Wissussek das von ihm entwickelt­e Demenzlots­enSystem vorstellen sollen – mit der Perspektiv­e, dass das Vorzeigemo­dell aus Bad Buchau auch in Bayern Schule macht.

Überhaupt sei es bemerkensw­ert, das gerade die kleinste Sequenz in dem ARD-Beitrag die größte Resonanz hervorgeru­fen habe, stellt Wissussek fest und lacht. Die Szene am Feuerwehrg­erätehaus in Bad Buchau, als sich die ganze „Blaulichtf­amilie“aus dem Landkreis über das Demenzlots­en-System berät, hatte wohl einigen Eindruck gemacht. Inzwischen hat sich der „Runde Tisch Notfall“nicht nur im Landkreis etabliert, die „Demenzlots­en“sind auch weit über die Kreisgrenz­e hinaus ein Begriff geworden. Eine Veröffentl­ichung in der Fachzeitsc­hrift „Im Einsatz“folgte, genauso wie zwei Berichte im Staatsanze­iger BadenWürtt­emberg, in der sich auch Landrat Dr. Heiko Schmid, das Innen- und Sozialmini­sterium lobend zum Demenzlots­en-System äußerten. Ein Beitrag in der SWR-Landesscha­u über eine groß angelegte FeuerwehrÜ­bung beim Bad Buchauer „Haus mit Herz“(SZ berichtete) dürfte den Bekannthei­tsgrad weiter gesteigert haben.

Dadurch könnten Demenzlots­en bald flächendec­kend installier­t werden. Und auch innerhalb des Landkreise­s helfen die öffentlich­keitswirks­amen Beiträge wohl dabei, das Konzept weiter zu entwickeln, so Wissussek: „Durch den Fernsehbei­trag ist auch das Bewusstsei­n ganz anders geworden.“Der ebenfalls von Wissussek initiierte Notfallbog­en soll bald zusammen mit den Rotkreuz-Dosen beim Pflegestüt­zpunkt Biberach verteilt werden. Ziel sei es, auch die Bürgermeis­ter im Kreis von der Idee zu begeistern, um den Bogen über die Rathäuser zu verteilen. Ein erster Praxistest in der Tagespfleg­e soll wissenscha­ftlich begleitet werden, blickt Wissussek voraus.

Der nächste Drehtermin steht an

Doch zunächst steht für den Demenzexpe­rten schon der nächste Drehtermin an. Für das Oktoberfes­t in Bad Buchau am 16. Oktober hat sich ein Kamera-Team der ARD angesagt, um einen Beitrag für das SWR-Gesundheit­smagazin zu drehen. Dann wird Wissussek erneut vor der Kamera stehen, mitten im Fokus – und alles daran setzen, damit gute Ideen aus Riedlingen und Bad Buchau weiter Verbreitun­g finden.

Die Reportage ist voraussich­tlich am Sonntag, 9. Dezember, ab 18 Uhr im ZDF zu sehen.

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FOTO: GABRIELA LINK
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FOTO: GABRIELA LINK Im Fokus: Josef Martin (links), Vorsitzend­er der Seniorenge­nossenscha­ft Riedlingen, und Michael Wissussek, Einrichtun­gsleiter der Riedlinger Demenzpfle­ge, im Interview mit den ZDF-Journalist­en.
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FOTO: GABRIELA LINK Führersche­in abgeben? Für Hubert Schönberge­r ist das keine Frage. Der Bewohner der Riedlinger Wohnanlage freut sich, für das ZDF-Fernsehtea­m wie früher am Steuer zu sitzen.

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