Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Warum Trump sein Buch lesen sollte
Alfons Siegel befasst sich mit dem Völkerbund-Gedanken von Matthias Erzberger
BUTTENHAUSEN/BIBERACH - Am 11. November 1918, vor 100 Jahren, hat der aus Buttenhausen stammende Matthias Erzberger den Waffenstillstandsvertrag für die deutsche Seite mitunterzeichnet. Damit endete der 1. Weltkrieg. Nur einen Monat vorher, im Oktober 1918, hat der Reichstagsabgeordnete ein Buch veröffentlicht: „Der Völkerbund. Der Weg zum Weltfrieden“lautet der Titel. Welche erschreckende Aktualität das Thema noch immer hat, das legt der Erzberger-Spezialist Alfons Siegel aus Maselheim in seinem neuen Buch „Erzbergers Lehren für den Weltfrieden“dar.
Der Zentrumsabgeordnete Erzberger verfasste sein Buch im Sommer 1918. Beeindruckend, wie Siegel findet: „Während noch der Kanonendonner des Ersten Weltkriegs zu hören war, befasste sich Erzberger bereits mit der Frage: Was müsste man politisch tun, damit dieser Krieg der letzte bleibt?“
Erzberger entwickelte die Vision eines Völkerbunds als einer Weltorganisation gleichberechtigter Staaten. Sie beruht auf der Kernidee, dass zwischenstaatliche Konflikte vor einem Schiedsgericht beigelegt werden sollen. „Dadurch sollten auch schwächere Staaten geschützt werden“, so Siegel. Erzberger betonte den Multilateralismus, also die Beziehung mehrerer Staaten miteinander, auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Aus Furcht vor weiterem Wettrüsten regte Erzberger eine Rüstungsbegrenzung an. Diese sollte auch eine Internationalisierung und Freiheit der Meeresstraßen mit sich bringen.
Alles andere als ein Pazifist
„Betrachtet man den zeitlichen Kontext, in dem Erzberger das alles geschrieben hat, finde ich das alles unheimlich modern“, sagt Alfons Siegel. Fast noch beeindruckender findet er, dass Erzberger noch zu Kriegsbeginn 1914/15 alles andere als ein Pazifist war. „Er war zu dieser Zeit ein Anhänger rücksichtsloser Kriegsführung und Annexionen“, so Siegel. „Aber er war fähig und bereit, seine früheren Irrtümer einzusehen und zu korrigieren.“
Wahrscheinlich ist es gerade dieser Umstand, der dazu führte, dass sich der junge Alfons Siegel in den 1970er-Jahren für Erzbergers Wirken begeisterte. „Ich selbst war eher ein martialisches Kind und habe gerne ,Kriegerles‘ gespielt“, erzählt er. Seine Mutter habe das nicht gern gesehen und immer gesagt: „Aber der Erzberger, das war ein guter Politiker.“
Irgendwann habe ihn genauer interessiert, wer „der Erzberger“denn eigentlich war, der 1875 in Buttenhausen geboren wurde und 1921 von rechtsradikalen Offizieren umgebracht wurde. Die rechtsradikalen Feinde der jungen Weimarer Republik sahen in Erzberger, dem Erstunterzeichner der erniedrigenden Waffenstillstandsvereinbarung, die bereits in wesentlichen Zuegen den Friedensvertrag von Versaillles vorwegnahm, einen Verräter, nannten ihn „Novemberverbrecher“.
„Ich habe seine Biografie gelesen und war sofort elektrisiert“, sagt Siegel. Er sei auf die damalige Biberacher Volkshochschulleiterin Marianne Sikora-Schoeck zugegangen und habe angeregt, dass die VHS zu Erzberger doch mal etwas machen müsste. „Dann machen Sie doch was“, habe Sikora-Schoeck geantwortet – der Startschuss für Siegels ErzbergerForschungen, die in der Promotion mit einer vergleichenden Arbeit über Erzberger und den Friedensforscher Dieter Senghaas ihren Höhepunkt fand.
Siegels neues Buch ist quasi ein Überbleibsel seiner Doktorarbeit. In ihm setzt er sich kritisch mit den einzelnen Kapiteln von Erzbergers „Völkerbund“-Buch auseinander und überträgt dessen These in die heutige Zeit. „Die UN sind der Völkerbund von heute“, so Siegel. Deren Stärkung fordert er in seinem Buch. So seien eine stärkere Demokratisierung und die Schaffung rechtsstaatsanaloger Strukturen auf UN-Ebene notwendig, „damit die UN nicht durch Leute wie Trump weiter marginalisiert werden“.
Eigentlich sollte Siegel sein Buch übersetzen lassen und es an Donald Trump ins Weiße Haus, an Wladimir Putin in den Kreml und an die Staatschefs Viktor Orbán (Ungarn), Andrzej Duda (Polen) oder Recep Tayyip Erdog an (Türkei) schicken. „Ohne Gemeinschaft kein dauernder Frieden, ohne Preisgabe des staatlichen Egoismus keine Gemeinschaft“, so lautete Erzbergers Credo – im Gegensatz zur politischen Haltung der oben Genannten.
Alfons Siegel: Erzbergers Lehren für den Weltfrieden; 248 Seiten, erschienen in der Biberacher Verlagsdruckerei, ISBN 978-3947348-22-0, und kostet 19,80 Euro.