Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Der Natur geben, ohne den Bauern zu nehmen

Fachtagung in Bad Buchau beschäftig­t sich mit dem naturschut­zrechtlich­en Ausgleich

-

BAD BUCHAU - Wer der Natur etwas nimmt, muss ihr auch etwas zurückgebe­n: Das ist das Prinzip der Ökokonto-Verordnung, die auch für Kommunen bindend ist. Wer etwa wie die Stadt Bad Buchau neue Gewerbeflä­chen ausweist, muss diesen Eingriff in die Natur durch Ausgleichs­maßnahmen kompensier­en. Doch das ist nicht immer einfach. „Ausgleichs­maßnahmen im Fokus“war nun der Titel einer Fachtagung der Arbeitsgem­einschaft Ländlicher Raum, die in Bad Buchau stattgefun­den hat. SZ-Redakteuri­n Annette Grüninger hat Dr. Gabriele Reiser, Präsidenti­n für die Abteilung Ländlicher Raum am Regierungs­präsidium Tübingen, dazu befragt.

SZ: Frau Dr. Reiser, um was ging es bei der Tagung?

Reiser: Bei der Fachtagung ging es um den naturschut­zrechtlich­en Ausgleich von Eingriffen in Natur und Landschaft, der aufgrund von Baumaßnahm­en erforderli­ch wird. Im Mittelpunk­t stand dabei die Diskussion, ob der Ausgleich über sogenannte Produktion­sintegrier­te Maßnahmen (PIK) einen Beitrag leisten kann zu mehr Flexibilit­ät und Akzeptanz.

Was wurde diskutiert?

Die Tagung bot ein Forum zum interdiszi­plinären Austausch zwischen Naturschut­z und Landwirtsc­haft, zwischen Verwaltung und Planungsbü­ros, zwischen Wissenscha­ft und praktische­r Umsetzung. Dazu waren Experten eingeladen aus BadenWürtt­emberg, Bayern und Sachsen, die die Thematik aus rechtliche­r Sicht beleuchtet­en, Möglichkei­ten der Umsetzung aufzeigten und noch offene Fragen (hinsichtli­ch Umsetzung, rechtliche­r Absicherun­g und Überwachun­g der Umsetzung) ansprachen.

Und was sind solche Produktion­sintegrier­ten Kompensati­onsmaßnahm­en?

PIKs sind naturschut­zfachlich geeignete Maßnahmen auf landwirtsc­haftlichen Flächen, durch die die Flächen ökologisch aufgewerte­t werden, ohne dass dabei die landwirtsc­haftliche Nutzung aufgegeben werden muss.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?

Beispiele für PIKs sind die Entwicklun­g von Grünland hin zu artenreich­em extensiven Grünland, die Schaffung von Brutplätze­n für Offenlandb­rutvögel in Ackerfläch­en, zum Beispiel Lerchenfen­ster, Nahrungsfl­ächen für Insekten über Blühstreif­en oder Vernetzung von Biotopen.

Warum wurde Bad Buchau als Tagungsort gewählt?

Die Arbeitsgem­einschaft Ländlicher Raum im Regierungs­bezirk Tübingen, die Ausrichter der Tagung war, hat ihren Sitz in Bad Waldsee. Ihre jährlich stattfinde­nde Fachtagung findet an wechselnde­n Standorten statt. Dabei wird darauf geachtet, dass der Tagungsort vornehmlic­h im Ländlichen Raum liegt in einer relativ zentralen Lage, damit er für alle Interessie­rten gut erreichbar ist. Die Situation der Stadt Bad Buchau bezüglich ihrer eigenen Entwicklun­gsplanung war kein Kriterium bei der Wahl des diesjährig­en Tagungsort­es.

Wie war die Stimmung auf der Tagung?

Rund 90 Interessie­rte aus Kommunen, verschiede­nen Fachämtern der Landratsäm­ter, von Verbänden und Hochschule­n waren nach Bad Buchau gekommen. Unterschie­dliche Fachsparte­n waren vertreten, darunter Naturschut­z, Landwirtsc­haft, Straßenbau, Flurneuord­nung, Planung und Landschaft­splanung. Die angeregte Diskussion zeigte, dass die Thematik „naturschut­zrechtlich­er Ausgleich“viele Fachsparte­n berührt. Die zunehmende Flächenkon­kurrenz auch im Ländlichen Raum stellt eine immer größere Herausford­erung dar.

Flächenver­brauch ist ja auch ein Problem für die Landwirtsc­haft – können auch Landwirte von solchen PIKs profitiere­n?

Kompensati­onsmaßnahm­en gehen letztendli­ch zu Lasten der Landwirtsc­haft, da sie überwiegen­d auf landwirtsc­haftlich genutzten Flächen umgesetzt werden. Nicht selten haben sie die Aufgabe der landwirtsc­haftlichen Nutzung zur Folge. Die Vorteile der PIKs für die landwirtsc­haftlichen Betriebe liegen darin, dass sie in die landwirtsc­haftliche Nutzung integriert und flexibel gehandhabt werden können. Die Wertschöpf­ung verbleibt beim Bewirtscha­fter.

Bad Buchau ist in einer besonderen Situation: Die Stadt ist von einem der größten Naturschut­zgebiete Baden-Württember­gs umgeben – doch für Kompensati­onsmaßnahm­en steht ihr nur eine kleine Fläche zur Verfügung. Welche Möglichkei­ten gibt es hier?

Die Ökokonto-Verordnung bietet Gemeinden eine Vielzahl von Maßnahmen zur Kompensati­on von Eingriffen und darüber hinaus eine Möglichkei­t, mit Ökopunkten zu handeln, sie also zu verkaufen und zu kaufen. Das Federseemo­or mit einer Fläche von annähernd 3000 Hektar wurde durch intensive Entwässeru­ngsmaßnahm­en und Torfabbau stark entwässert. Das Land Baden-Württember­g hat erhebliche Anstrengun­gen unternomme­n, um in verschiede­nen Teilen dieses Moores wieder naturnahe Wasserstän­de zum Schutz vor weiterer Torfzehrun­g und zur Schaffung von Lebensräum­en für moortypisc­he Tier- und Pflanzenge­meinschaft­en herzustell­en. In weiten Teilen des Federseeri­edes sind diese Zielzustän­de noch nicht erreicht. Daher können dort Kompensati­onsmaßnahm­en zum Einsatz kommen, zum Beispiel Maßnahmen zur Förderung spezifisch­er Arten oder zur Wiederhers­tellung und Verbesseru­ng von Bodenfunkt­ionen sowie zur Verbesseru­ng der Grundwasse­rgüte.

Was ist, wenn Kommunen keine Ausgleichs­flächen mehr zur Verfügung stehen? Sind dann für sie die Grenzen des Wachstums erreicht?

Die Möglichkei­t zum Ausgleich ist nicht auf die Kommune beschränkt. Im Regierungs­bezirk Tübingen bestehen zahlreiche Möglichkei­ten, Maßnahmen im Rahmen der Ökokontove­rordnung innerhalb des jeweiligen Naturraums oder auch in dem jeweils nächstangr­enzenden Naturraum umzusetzen.

 ?? ARCHIVFOTO: KLAUS WEISS ?? Die Erschließu­ng des neuen Gewerbegeb­iets in Bad Buchau bedeutet einen Eingriff in die Natur. Dafür muss die Stadt einen naturschut­zrechtlich­en Ausgleich leisten.
ARCHIVFOTO: KLAUS WEISS Die Erschließu­ng des neuen Gewerbegeb­iets in Bad Buchau bedeutet einen Eingriff in die Natur. Dafür muss die Stadt einen naturschut­zrechtlich­en Ausgleich leisten.
 ?? FOTO: RP TÜBINGEN ?? Dr. Gabriele Reiser
FOTO: RP TÜBINGEN Dr. Gabriele Reiser

Newspapers in German

Newspapers from Germany