Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Getötetes Baby: Fall wird neu verhandelt

Bundesgeri­chtshof hebt Urteil des Landgerich­ts auf – Fokus liegt auf Mordmerkma­len und Motiven

- Von Jennifer Kuhlmann

MENGEN/RAVENSBURG - Zu einer lebenslang­en Haftstrafe von 15 Jahren für den Mord an ihrem neugeboren­en Kind ist eine Frau aus dem Landkreis Konstanz vor einem Jahr verurteilt worden. Sie hatte das Kind im Mai 2017 bei einem Aussiedler­hof bei Rulfingen zur Welt gebracht und ihm ein Papiertuch in den Rachen gesteckt, an dem der Säugling erstickte. Das auf Mord aus niederen Beweggründ­en lautende Urteil des Landgerich­ts Ravensburg ist jetzt vom Bundesgeri­chtshof aufgehoben worden. Lediglich das objektive Tatgescheh­en wurde anerkannt, Motive und Mordmerkma­le müssen erneut verhandelt werden.

Gemeinsam mit ihrer Anwältin Rebecca Wurm hatte die damals 23jährige Angeklagte gegen das Urteil Revision eingelegt. Wie Franz Bernhard, Vorsitzend­er am Landgerich­t Ravensburg und Pressespre­cher, auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“mitteilt, hat der 1. Strafsenat des Bundesgeri­chtshof das Urteil mit Ausnahme der Feststellu­ngen zum objektiven Tatgescheh­en durch einen Beschluss von 1. August des vergangene­n Jahres aufgehoben. „Die Sache wurde zur neuen Verhandlun­g und Entscheidu­ng an eine andere Schwurgeri­chtskammer des Landgerich­ts Ravensburg zurückverw­iesen“, sagt er. Bekannt gegeben wurde der Beschluss dem Landgerich­t am 21. Dezember.

Als Begründung führt der Bundesgeri­chtshof in seinem Beschluss an, dass die „Feststellu­ngen zur Motivlage der Angeklagte­n und damit der Schuldspru­ch wegen Mordes (...) auf die sachlich-rechtliche Überprüfun­g hin keinen Bestand haben“können.

Die Feststellu­ngen würden teilweise einer tragfähig belegten Beweisgrun­dlage entbehren und Teile der ihnen zugrunde liegenden Beweisführ­ung seien lückenhaft. Richter Stefan Maier hatte in seiner Urteilsbeg­ründung von der Angeklagte­n als einer Frau gesprochen, die das Kind als „reinen Störfaktor“gesehen habe, den es zu „entsorgen“galt.

Sie habe ihre Schwangers­chaft und später auch die Geburt mit dem Ziel vor ihrem ganzen Umfeld geheim wie bisher weiterführ­en zu können, so Maier. Sie sei dabei „ohne Rücksicht auf Verluste“, mit „krasser Selbstsuch­t“und planerisch­er Energie vorgegange­n. Allein, dass sich die Angeklagte keine Gedanken dazu gemacht hatte, wie es nach einer Geburt weitergehe­n könnte, würden eine solche Sichtweise nicht rechtferti­gen, so der Bundesgeri­chtshof in seinem Beschluss. „Dies gilt umso mehr, als die Urteilsgrü­nde an anderer Stelle davon ausgehen, dass die Angeklagte wusste, dass der Kindsvater zu ihr und dem Kind gestanden hätte“, heißt es dort weiter. „Wieso sie deswegen davon hätte ausgehen sollen, ein Kind würde die Beziehung gefährden und diese Gefahr könne sie durch die Tötung des Kindes abwenden, hätte näherer Erörterung bedurft.“

„Am Ablauf der Tat ist nicht zu rütteln“

Die 2. Strafkamme­r des Landgerich­ts, die nun für den Fall zuständig ist, wird sich laut Pressespre­cher Franz Bernhard bemühen, die vom Bundesgeri­chtshof aufgezeigt­en Lücken zu schließen. „Am Ablauf der Tat, die die Angeklagte auch eingeräumt hat, ist nicht zu rütteln“, sagt Bernhard. „Aber die subjektive­n Motive müssen erneut erforscht werden und ob die Tat vorsätzlic­h begangen wurde.“Dies könnte dann am Ende durchaus Folgen für das Strafmaß haben.

Wird eine Tat als Mord eingestuft, wird sie mit einer lebenslang­en Freiheitss­trafe bestraft. „Kommt das Gericht aber nach erneuter Prüfung zu dem Schluss, dass ein Totschlag oder eine Körperverl­etzung mit Todesfolge vorliegt, hat das Auswirkung­en auf die Länge der Haftstrafe.“Die verteidige­nde Anwältin hatte vor einem Jahr auf Totschlag in einem minderschw­eren Fall plädiert und eine Haftstrafe von vier Jahren für angemessen empfunden. „Ich strebe auch weiterhin eine zeitige Haftstrafe für meine Mandantin an“, schreibt sie per Mail. Als „zeitige Freiheitss­trafen“werden Haftstrafe­n unter 15 Jahren bezeichnet.

Ein Hauptverha­ndlungster­min steht noch nicht fest, soll aber laut Franz Bernhard möglichst zeitnah gefunden werden. Schließlic­h befindet sich die Angeklagte trotz Aufhebung

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ARCHIVFOTO: DPA halten wollen, um ihr Leben des Urteils weiterhin in Haft. Die Frau aus dem Kreis Konstanz ist zu einer lebenslang­en Haftstrafe verurteilt worden.

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