Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Getötetes Baby: Fall wird neu verhandelt
Bundesgerichtshof hebt Urteil des Landgerichts auf – Fokus liegt auf Mordmerkmalen und Motiven
MENGEN/RAVENSBURG - Zu einer lebenslangen Haftstrafe von 15 Jahren für den Mord an ihrem neugeborenen Kind ist eine Frau aus dem Landkreis Konstanz vor einem Jahr verurteilt worden. Sie hatte das Kind im Mai 2017 bei einem Aussiedlerhof bei Rulfingen zur Welt gebracht und ihm ein Papiertuch in den Rachen gesteckt, an dem der Säugling erstickte. Das auf Mord aus niederen Beweggründen lautende Urteil des Landgerichts Ravensburg ist jetzt vom Bundesgerichtshof aufgehoben worden. Lediglich das objektive Tatgeschehen wurde anerkannt, Motive und Mordmerkmale müssen erneut verhandelt werden.
Gemeinsam mit ihrer Anwältin Rebecca Wurm hatte die damals 23jährige Angeklagte gegen das Urteil Revision eingelegt. Wie Franz Bernhard, Vorsitzender am Landgericht Ravensburg und Pressesprecher, auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“mitteilt, hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshof das Urteil mit Ausnahme der Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen durch einen Beschluss von 1. August des vergangenen Jahres aufgehoben. „Die Sache wurde zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts Ravensburg zurückverwiesen“, sagt er. Bekannt gegeben wurde der Beschluss dem Landgericht am 21. Dezember.
Als Begründung führt der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss an, dass die „Feststellungen zur Motivlage der Angeklagten und damit der Schuldspruch wegen Mordes (...) auf die sachlich-rechtliche Überprüfung hin keinen Bestand haben“können.
Die Feststellungen würden teilweise einer tragfähig belegten Beweisgrundlage entbehren und Teile der ihnen zugrunde liegenden Beweisführung seien lückenhaft. Richter Stefan Maier hatte in seiner Urteilsbegründung von der Angeklagten als einer Frau gesprochen, die das Kind als „reinen Störfaktor“gesehen habe, den es zu „entsorgen“galt.
Sie habe ihre Schwangerschaft und später auch die Geburt mit dem Ziel vor ihrem ganzen Umfeld geheim wie bisher weiterführen zu können, so Maier. Sie sei dabei „ohne Rücksicht auf Verluste“, mit „krasser Selbstsucht“und planerischer Energie vorgegangen. Allein, dass sich die Angeklagte keine Gedanken dazu gemacht hatte, wie es nach einer Geburt weitergehen könnte, würden eine solche Sichtweise nicht rechtfertigen, so der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss. „Dies gilt umso mehr, als die Urteilsgründe an anderer Stelle davon ausgehen, dass die Angeklagte wusste, dass der Kindsvater zu ihr und dem Kind gestanden hätte“, heißt es dort weiter. „Wieso sie deswegen davon hätte ausgehen sollen, ein Kind würde die Beziehung gefährden und diese Gefahr könne sie durch die Tötung des Kindes abwenden, hätte näherer Erörterung bedurft.“
„Am Ablauf der Tat ist nicht zu rütteln“
Die 2. Strafkammer des Landgerichts, die nun für den Fall zuständig ist, wird sich laut Pressesprecher Franz Bernhard bemühen, die vom Bundesgerichtshof aufgezeigten Lücken zu schließen. „Am Ablauf der Tat, die die Angeklagte auch eingeräumt hat, ist nicht zu rütteln“, sagt Bernhard. „Aber die subjektiven Motive müssen erneut erforscht werden und ob die Tat vorsätzlich begangen wurde.“Dies könnte dann am Ende durchaus Folgen für das Strafmaß haben.
Wird eine Tat als Mord eingestuft, wird sie mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe bestraft. „Kommt das Gericht aber nach erneuter Prüfung zu dem Schluss, dass ein Totschlag oder eine Körperverletzung mit Todesfolge vorliegt, hat das Auswirkungen auf die Länge der Haftstrafe.“Die verteidigende Anwältin hatte vor einem Jahr auf Totschlag in einem minderschweren Fall plädiert und eine Haftstrafe von vier Jahren für angemessen empfunden. „Ich strebe auch weiterhin eine zeitige Haftstrafe für meine Mandantin an“, schreibt sie per Mail. Als „zeitige Freiheitsstrafen“werden Haftstrafen unter 15 Jahren bezeichnet.
Ein Hauptverhandlungstermin steht noch nicht fest, soll aber laut Franz Bernhard möglichst zeitnah gefunden werden. Schließlich befindet sich die Angeklagte trotz Aufhebung