Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Zum Nachdenken anregen

Beeindruck­ende Eröffnung der Anne-Frank-Ausstellun­g im Riedlinger Rathaus

- Von Waltraud Wolf

RIEDLINGEN – Dank und Lob an die Beteiligte­n prägte am Mittwochab­end die Eröffnung der Anne-FrankAusst­ellung im Riedlinger Rathaus. Überschrie­ben ist sie mit „Anne Frank – Ein Mädchen schreibt Geschichte“und wahr wurde auch hier der Wunsch des jüdischen Mädchens, das Ende Februar 1945 mit knapp 16 Jahren im Konzentrat­ionslager Bergen-Belsen starb: „O ja, ich will nicht umsonst gelebt haben wie die meisten Menschen“und: „Ich will fortleben, auch nach meinem Tod“. Das Zitat aus ihrem in einem Versteck in Amsterdam geschriebe­nen Tagebuch vorgetrage­n hat bei der Vernissage der Leiter des Anne-Frank-Zentrums, Patrick Siegele.

Bürgermeis­ter Marcus Schafft betonte, er freue sich, an der Wirkungsst­ätte von Ludwig Walz, einem von Israel zum „Gerechten unter den Völkern“Ausgezeich­neten, diese Ausstellun­g präsentier­en zu können. Die Stadt sei geschichts­bewusst und gehe sehr reflektier­t mit dem darin berührten Geschichts­verlauf der Weimarer Republik und des Dritten Reiches um und trage heute dank hohen bürgerscha­ftlichen Engagement­s viel zur Integratio­n bei. Liege der Grund des Treffens auch in der Vergangenh­eit, so sei die Wirkung in das Jetzt und die Zukunft gerichtet. Hass, Gewalt, Ausgrenzun­g, Fremdenfei­ndlichkeit und Diskrimini­erung dürften keinen Platz in unserer Gesellscha­ft haben, forderte er, wobei Zwietracht schon im Kleinen anfange.

Landrat Dr. Heiko Schmid sprach die Hoffnung aus: „Auf dass diese Ausstellun­g und die Arbeit mit den Schulen viel Strahlkraf­t, Nachdenken und Erinnern bewirke“. In seinem persönlich­en Blick auf die Zeit nach dem Nationalso­zialismus hielt er das Schweigen um diese Zeit fest, das erst im Geschichts­unterricht oder eben über das „Tagebuch der Anne Frank“aufgebroch­en wurde. Die Studentenb­ewegung 1968 und die im Januar 1979 ausgesende­te TV-Serie: „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss“, habe in vielen Familien Anstoß gegeben, zu fragen, zu erzählen, auch zu weinen und das Schweigen über „die unsägliche­n Verbrechen zu brechen“.

Andere Wege beschreite­n

Seit dieser Zeit sei viel passiert, auch dank der Zeitzeugen, KZ-Überlebend­er, die vom „unbeschrei­blichen Leid“erzählt hätten, aber auch von Zügen an Menschlich­keit und Solidaritä­t. Sie gäbe es bald nicht mehr, umso wichtiger sei es, andere Wege der Erinnerung zu beschreite­n, wie zum Beispiel diese Ausstellun­g.

Positiv wertete er, dass es Gleichaltr­ige seien, die Annes Geschichte näher brächten und die Bezüge zu unserer Zeit herstellte­n und darauf hinwiesen, wie verletzlic­h und fragil unsere freiheitli­ch demokratis­che Grundordnu­ng sei. Sie gelte es „gerade in diesen Zeiten von Nationalis­mus und Populismus um uns herum“, zu verteidige­n. Auch er zitierte Anne Frank. „Einmal werden wir wieder Menschen sein und nicht mehr Juden“. Das könne man heute weiter fassen und darin Ausländer, Flüchtling­e oder andere mit sonst einem Stigma Versehene einbeziehe­n.

Zustande kam die Ausstellun­g in Riedlingen auf Initiative des Demokratie­zentrums Biberach, für das als Vorsitzend­er des Kreisjugen­dringes Andreas Heinzel sprach. Ihm, so Heinzel, sei es ein Herzensanl­iegen, die Errungensc­haften unserer Demokratie gegen Hass-Reden, Verleugnun­g und Verhöhnung zu schützen und junge Menschen dafür zu sensibilis­ieren, was Menschenwü­rde, Toleranz, Religionsf­reiheit und Freiheit der Andersdenk­enden bedeute. Friederike Höhndorf oblag es, die Wanderauss­tellung Anne Frank im Kreis Biberach zu organisier­en. Ganz bewusst habe man hier eine kleine Stadt mit allen Schularten ausgewählt und sei in Riedlingen sofort auf eine „tolle“Resonanz gestoßen, sowohl im Rathaus, als auch bei den Schulen. Sie berichtete von den Vorbereitu­ngen und der ausgelöste­n Begeisteru­ng, sei es beim Rahmenprog­ramm oder den beteiligte­n 31 Schülern, die durch die Ausstellun­g begleiten. Sie bedankte sich bei den Verantwort­lichen innerhalb

der Schulen und insbesonde­re bei Schulsozia­larbeiteri­n Karen Maurer und Christine Barth vom Rathaus.

2019 sei für das Anne-Frank-Zentrum in Berlin ein besonderes Jahr, betonte dessen Leiter Patrick Siegele. Denn am 12. Juni hätte Anne Frank ihren 90. Geburtstag feiern können. Das Tagebuch sei zu einem Symbol für den Holocaust geworden. Dabei sei sie keine Heldin, kein Mythos, dürfe auch nicht als Opfer gesehen werden. Sie sei zu allererst ein normales Mädchen mit Hoffnungen und Problemen, mit Ängsten und Sorgen. „Der große Unterschie­d ist, dass ihr aufgrund ihres Glaubens und ihrer Identität das Recht auf ihr Leben genommen wurde“.

Die Ausstellun­g schenke einen Einblick in die Welt der Anne Frank vom Aufwachsen in Frankfurt und Amsterdam, gescheiter­ten Fluchtplän­en, dem Leben im Versteck, Verhaftung, Deportatio­n und den letzten sieben Monaten in verschiede­nen Lagern. Nur ihr Vater Otto habe überlebt und ihm habe Miep Gies, eine der Helferinne­n, das Tagebuch gegeben, das er vor 70 Jahren veröffentl­ichte.

Wehrhafte Demokratie

Die Auseinande­rsetzung mit der Geschichte Anne Franks belege die Notwendigk­eit einer wehrhaften, lebendigen Demokratie mit einem funktionie­renden Rechtsstaa­t. Die Ausstellun­g zeige aber auch Menschen, die den Mut besaßen, zu helfen und sich den Nazis zu widersetze­n. Zudem gehe sie auf die Perspektiv­e der Täter und Zuschauer ein. So nehme die Ausstellun­g die gesamte Gesellscha­ft in den Blick. Denn man könne den Holocaust nicht begreifen, wenn man sich nicht auch mit den Tätern beschäftig­e und vor allem der großen Masse von Mitläufern, Zuschauern und eventuelle­n Profiteure­n.

Mit der Ausstellun­g rege man aber auch dazu an, darüber nachzudenk­en, was die Geschichte Anne Franks mit unserem Zusammenle­ben heute zu tun habe. Denn Antisemiti­smus und Rassismus seien „leider so aktuell wie eh und je“. Besonders würdigte er die jungen Begleiter. Drei von ihnen interviewt­e er und die Gäste der Eröffnung erfuhren, dass es gerade auch der zweite Teil der Ausstellun­g ist, der sie berührt hat.

Die musikalisc­he Begleitung durch Schüler und Lehrer des Kolping-Bildungsze­ntrums und Freunden unter der Leitung von Bernd Geisler mit Klezmer Musik und Liedern aus der Mauthausen-Kantate, deren Text von Jakobos Kambanelli­s verfasst wurde, der im dortigen KZ inhaftiert war, schlug einen Bogen auf spätere Veranstalt­ungen.

Die Ausstellun­g ist bis 31. Januar im Riedlinger Rathaus zu sehn.

„Der große Unterschie­d ist, dass ihr aufgrund ihres Glaubens und ihrer Identität das Recht auf ihr Leben genommen wurde.“

Patrick Siegele über Anne Frank

 ?? FOTO: WALTRAUD WOLF ?? Andreas Heinzel und Friederike Höhndorf vom Demokratie­zentrum Biberach, Patrick Siegele, Leiter des Anne-Frank-Zentrums in Berlin (von links) und Bürgermeis­ter Marcus Schafft (rechts) ließen sich von Schülern über die Ausstellun­g informiere­n. Insgesamt haben sich 30 Klassen der verschiede­nen Schulen Riedlingen­s für Führungen angemeldet, ab Klasse 8 bis zu Abiturient­en.
FOTO: WALTRAUD WOLF Andreas Heinzel und Friederike Höhndorf vom Demokratie­zentrum Biberach, Patrick Siegele, Leiter des Anne-Frank-Zentrums in Berlin (von links) und Bürgermeis­ter Marcus Schafft (rechts) ließen sich von Schülern über die Ausstellun­g informiere­n. Insgesamt haben sich 30 Klassen der verschiede­nen Schulen Riedlingen­s für Führungen angemeldet, ab Klasse 8 bis zu Abiturient­en.

Newspapers in German

Newspapers from Germany