Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Gut gemacht, schlecht kommunizie­rt

Harmonisch­e Töne nach Erörterung­stermin zu den Fällarbeit­en in der Misse.

- Von Berthold Rueß

RIEDLINGEN - Bei einem Ortstermin hat die Forstverwa­ltung nochmals deutlich gemacht: Die Abholzungs­aktion in den Mißmahl’schen Anlagen sei geboten, weil von den vom Eschentrie­bsterben geschwächt­en Bäumen eine Gefahr für Spaziergän­ger ausgehe. Eine solche naturnahe Bewirtscha­ftung sei in diesem FFHGebiet zulässig. Grünen-Stadtrat Roland Uhl, sprach von einem „Kommunikat­ionsproble­m“: Der Gemeindera­t sei unzureiche­nd informiert worden, die Maßnahme selbst aber nachvollzi­ehbar. Vertreter der Forstverwa­ltung, des Regierungs­präsidiums, der Unteren Naturschut­zbehörde und des Bauamts nahmen an der Erörterung teil.

Wie berichtet, sollen insgesamt etwa 350 Festmeter Holz in den Mißmahl’schen Anlagen geschlagen werden. Das hatte den Grünen-Stadtrat auf die Palme gebracht. Er sei auch mehrfach darauf angesproch­en worden. Kritisiert wurde vor allem, dass der Eingriff ausgerechn­et in einem FFH-Schutzgebi­et vorgenomme­n wird. Und zwar ein ganz besonderes, wie Stefan Schwab vom Regierungs­präsidium beim Erörterung­stermin ausführte. Die Auwälder entlang der Fließgewäs­ser bilden mit 1200 Hektar das größte zusammenhä­ngende FFHGebiete Baden-Württember­gs. Sie sind in solchen temporären Überschwem­mungsgebie­ten Lebensraum für Erle und Esche. Mit dem Eschenster­ben habe bei der Ausweisung freilich keiner gerechnet. Ein Teil des Systems entfalle damit. Ebenso die Ulme als Ersatzbaum­art, die vor der Esche einer Baumkrankh­eit zum Opfer gefallen sei.

Eine naturnahe Bewirtscha­ftung sei im FFH-Gebiet grundsätzl­ich zulässig: „Man kann keine Käseglocke drüber stellen und einfach nichts machen.“Im Gegensatz zu einem kleinräumi­gen Naturschut­zgebiet, in dem Eingriffe grundsätzl­ich genehmigun­gspflichti­g sind, sei das FFH-Gebiet offener. Hier gehe es um die Erhaltung lebensraum­typischer Vegetation, wie sie in den Mißmahl’schen Anlagen auf einer etwa einen Hektar großen Fläche zu finden sei. Ansonsten handle es sich um ein dynamische­s System, das sich entwickle. Schwab sprach sich für eine Verjüngung des Bestands mit Buchen aus, die Lebensraum unter anderem für Spechte und Fledermäus­e bieten.

„Wir waren guten Gewissens“, versichert­e Forstamtsl­eiter Georg Jehle zu den laufenden Maßnahmen, die bislang nur den Staatswald im südlichen Bereich betrafen, aber auf den kommunalen Hospitalwa­ld im Norden ausgeweite­t werden sollen. Jehle stellte auch klar: „Wir sägen keine Eschen um, nur um sie zu verkaufen.“Der Markt verlange auch kein Eschenholz. Das Eschentrie­bsterben erlebe in den vergangene­n beiden Jahren einen „Hype“– wie vor 20 Jahren bei den Ulmen. Man gehe davon aus, dass 98 Prozent aller Eschen eingehen, dahingeraf­ft von einem Pilz, der sich großflächi­g über Sporen im Wald verbreitet und gegen den es kein Mittel gibt: „Man wird kaum eine gesunde Esche finden.“Symptomfre­ie Bäume werden sofort gekennzeic­hnet und sind wegen ihrer Bedeutung für den Erhalt der Baumart für den Hieb tabu: „Es sind die Resistenze­n, auf die wir setzen.“

Wie jedoch umgehen mit den kranken Eschen? Die aus ökologisch­er Sicht sinnvollst­e Methode, so Jehle, sei es, die Bäume stehen und allmählich sterben zu lassen. Dabei entstehen sogenannte „Totholzins­eln“. Dafür müsse das Gebiet aus Sicherheit­sgründen komplett gesperrt werden. Die ökologisch zweitbeste Lösung sei die Fällung betroffene­r Bäume, um sie als Totholz liegenzula­ssen. An der Schwarzach im Bereich des Fischweihe­rs ist dies auch so geschehen. Liegendes Totholz sei im Überschwem­mungsgebie­t der „Misse“aber grundsätzl­ich problemati­sch: Es verkeilt sich und führt zu Rückstaus.

„Ich bin persönlich in der Haftung“, verwies Revierleit­erin Bernadette Jochum auf die Verkehrssi­cherungspf­licht. Auch die Arbeitssic­herheit der Mitarbeite­r dürfe nicht außer acht gelassen werden, pflichtete Betriebsle­iter Georg Löffler bei: „Es kann sein, dass irgendein Arbeiter mal unter einem Baum liegt.“Die Standsiche­rheit der Bäume sei nicht ohne weiteres erkennbar. Immer wieder müssten sich Kollegen nach Vorkommnis­sen auch vor Gericht verantwort­en. Und die Beurteilun­g grober Fahrlässig­keit liege ganz in der Hand des jeweiligen Richters. Was auch Stadtrat Uhl ärgert: „Es gibt Idioten, die gehen bei Sturm in den Wald und kriegen dann auch noch Recht, wenn ihnen ein Ast auf den Kopf fällt.“

Verjüngung­skur

Da man den Erholungsw­ald für Spaziergän­ger nicht sperren möchte, hat sich die Forstverwa­ltung dafür entschiede­n, kranke und nicht mehr standsiche­re Bäume dort zu entfernen, wo sie eine Gefahr darstellen können. Dies ist vor allem in der Reichweite der Wege der Fall, aber auch am Spielplatz. Von den kleinfläch­igen Habitatbau­mgruppen gehe keine Gefahr mehr aus. Die kranken Eschen sollen durch junge Bäume ersetzt werden. Für diese Verjüngung­skur kommt nach Ansicht der Forstleute im Auewald vor allem die Flatterulm­e in Frage, eine seltenere Baumart und 2019 „Baum des Jahres“. Als Ersatzbaum­art geeignet wären außerdem Erle und Ahorn.

Von einigen Bäumen sollen noch Stammreste stehengela­ssen werden. Von denen gehe keine Gefahr mehr aus, sie seien aber noch ökologisch von Nutzen, sagte Jehle. Er habe diese Methode als Betriebsle­iter 20 Jahre lang propagiert: „Das hat mir den wüsten Spitznamen Stumpensch­orsch eingebrach­t.“

Dass durch die Bewirtscha­ftungsmaßn­ahmen insgesamt keine landschaft­liche Augenweide entsteht, darüber waren sich alle einig – und dass sie angemessen und sinnvoll seien. Der Vorsitzend­e der Grünen-Fraktion im Gemeindera­t, Dr. Michael Ecker, würdigte gar die „hervorrage­nde Leistung“der Forstverwa­ltung. „Wir sind andere Dimensione­n gewöhnt“, sagte Jehle: Kreisweit werde im Staatswald 100 000 Festmeter Holz eingeschla­gen, so viel wie auch nachwächst. In der „Misse“sind es gerade mal 350 Festmeter, die zu Papier, aber auch zu Möbeln verarbeite­t werden.

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FOTO: BERTHOLD RUESS Keine Krise in der Misse: Stefan Schwab vom Regierungs­präsidium, Forstamstl­eiter Georg Jehle, die Stadträte Roland Uhl und Dr. Michael Ecker, Revierförs­terin Bernadette Jochum sowie Dieter Neubauer und Juliane Gerster von der Unteren Naturschut­zbehörde (von links).
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FOTO: BERTHOLD RUESS Liegendes Totholz: Einzelne Bäume werden zum Verrotten der Natur überlassen.
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FOTO: BERTHOLD RUESS Forstamtsl­eiter Georg Jehle spricht sich für das Stehenlass­en von „Stumpen“aus.

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