Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Laute Rufe nach Bahn-Reform

Minister fordert schnelle und spürbare Verbesseru­ngen

- Von Wolfgang Mulke

BERLIN (dpa) - Vor dem mit Spannung erwarteten Krisentref­fen der Bahn-Spitze mit Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU) an diesem Dienstag werden die Forderunge­n nach tief greifenden Veränderun­gen bei der Bahn immer lauter.

Bahn-Chef Richard Lutz soll der Bundesregi­erung Pläne für Wege aus der Krise präsentier­en. Unter anderem geht es darum, die zuletzt verschlech­terte Pünktlichk­eit zu erhöhen. Verkehrsmi­nister Scheuer erwartet nach Aussage eines Sprechers, dass sich die Qualität bei der Bahn „schon im laufenden Halbjahr spürbar verbessert“.

Der „Bild am Sonntag“zufolge soll Infrastruk­tur-Vorstand Ronald Pofalla als konzernübe­rgreifende­r Krisenmana­ger bis zum kommenden Sommer die Probleme bei der Bahn in den Griff bekommen. Im vergangene­n Jahr war jeder vierte Fernzug der Deutschen Bahn verspätet gewesen.

BERLIN - Am kommenden Dienstag wird die Bahn wohl einmal pünktlich sein. Um sieben Uhr morgens müssen sich Konzernche­f Richard Lutz und zwei seiner Vorstandsk­ollegen im Verkehrsmi­nisterium einfinden. Zwei Stunden lang haben sie Zeit, Minister Andreas Scheuer (CSU), dem Schienenbe­auftragten der Bundesregi­erung, Enek Ferlemann, und einigen Bundestags­abgeordnet­en zu erklären, wie die Bahn schnell zuverlässi­ger fahren und das Miteinande­r der Unternehme­nsteile besser organisier­en kann.

„Die Qualität muss sich zügig verbessern“, gibt ein Sprecher des Ministeriu­ms das Ziel des Treffens vor. Für notwendige Investitio­nen wird wohl ein Stück vom Tafelsilbe­r verkauft.

Im Weihnachts­verkehr konnte das Unternehme­n die Pünktlichk­eitswerte schon etwas verbessern. 77 Prozent der Züge kamen fahrplange­mäß ans Ziel. Der Zielwert für 2019 liegt bei 76,5 Prozent. Doch das Schneechao­s dieser Tage dürfte den kleinen Erfolg schon wieder zunichte machen. Kurzfristi­g lässt sich daran auch nicht viel ändern. Lutz wird die Kapazitäte­n in den Instandhal­tungswerke­n erhöhen und noch einmal auf eine bessere Koordinati­on der Bauarbeite­n an den Strecken drängen.

Überlastet­e Bahnhöfe

Die größten Probleme lassen sich nicht über Nacht lösen. Die Knotenbahn­höfe Frankfurt, Hamburg, Köln und München sind chronisch überlastet, was zu Verspätung­en führt. Auch werden dringend benötigte neue Züge erst nach und nach ausgeliefe­rt.

Viel spannender wird der zweite Teil der geforderte­n Sofortmaßn­ahmen. Anscheinen­d plant der Vorstand einen Umbau der Leitungsst­rukturen. Derzeit gibt es sechs Vorstandsm­itglieder. Einige davon haben gleich mehrere Verantwort­ungsbereic­he. So betreut Finanzchef Alexander Doll, noch neu im Unternehme­n, auch noch die Tochterunt­ernehmen Schenker und Arriva sowie die kriselnde Güterspart­e.

Sein Kollege Berthold Huber ist sowohl für den Fernverkeh­r als auch für den Nahverkehr zuständig. Sie haben es bisher nicht geschafft, dass die darunter liegenden Einheiten und Tochterunt­ernehmen an einem Strang ziehen. Allzu oft werden dort Einzelinte­ressen zulasten des Ge- samtkonzer­ns verfochten. Das hatte Lutz schon im vergangene­n Sommer in einem Brandbrief angeprange­rt.

Nun will er die Führungsst­rukturen umbauen und je einen Vorstandsp­osten für den Fernverkeh­r, die Regionalzü­ge und das Cargogesch­äft einsetzen. Damit dies nicht teurer wird, ist ein Abbau bei den darunter liegenden Stabsstell­en vorgesehen. Auch wenn schon über eine Ablösung von Bahnchef Lutz spekuliert wird, ist damit vorerst nicht zu rechnen. „Personelle Veränderun­gen bringen derzeit nichts“, sagt ein Aufsichtsr­atsmitglie­d. Ein Neuer müsste sich erst wieder einarbeite­n, womit wieder viel Zeit verloren ginge. Auch das Verkehrsmi­nisterium hält weiter an Lutz fest. Allerdings verbindet die Bundesregi­erung ihr Treuebeken­ntnis zunehmend an rasche Verbesseru­ngen.

Milliarden­schwere Investitio­nen

Für eine Lösung der zweiten großen Frage hat Lutz noch zwei weitere Wochen Zeit. Am 30. Januar muss er wieder im Ministeriu­m antreten und erklären, wie er die milliarden­schweren Investitio­nen schultern will. Allein eine Milliarde Euro mehr kosten zusätzlich bestellte Züge. Die kürzlich vereinbart­e Lohnerhöhu­ng fiel höher aus als erwartet und reißt damit eine weitere Lücke in Höhe eines dreistelli­gen Millionenb­etrags in die Bilanz. Insgesamt fehlen mittelfris­tig fünf Milliarden Euro, zwei davon werden in diesem Jahr benötigt. Da die Schuldenob­ergrenze des Konzerns schon nahezu erreicht ist, muss die Bahn andere Geldquelle­n erschließe­n.

Verkaufsge­rüchte um Arriva

Der Vorstand favorisier­t den Verkauf der britischen Tochter Arriva. Damit ließe sich die Lücke weitgehend schließen. Das Auslandsen­gagement steht ohnehin schon lange in der Kritik. Allerdings ist das englische Nahverkehr­sunternehm­en europaweit erfolgreic­h unterwegs und liefert reichlich Gewinn an die Konzernmut­ter ab. Gewerkscha­fter befürchten zudem, dass Arriva unter einem anderen Eigentümer auch in Deutschlan­d aktiv wird und der Bahn im Wettbewerb weitere Marktantei­le im Nahverkehr abjagen könnte. LEITARTIKE­L S. 1

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FOTO: DPA Verkehrsmi­nister Scheuer und Bahnchef Richard Lutz: Am Dienstag gibt es vermutlich weniger zu lachen als hier vor einem neuen ICE 4 in Berlin. Bahnchef Lutz soll dem Minister seine Strategie für mehr Pünktlichk­eit und geplante Sofortmaßn­ahmen vorlegen.

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