Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Heimat ist auf dem Hof
Der Wilflinger Landwirt Helmut Spohn erzählt aus seinem Leben
WILFLINGEN - Wenn man um die 80 Jahre alt ist, dann hat man was zu erzählen, besonders auch Dinge, die für die Nachwelt erhaltenswert sind. Aus diesem Grund hat es sich der Langenenslinger Heimatverein „ALB-HAT“zur Aufgabe gemacht, die Erinnerungen älterer Mitbürger zu dokumentieren und für die Nachwelt zu erhalten (die SZ berichtete). In einem Interview mit Walter Wachter, einem der Vorsitzenden des Vereins, berichtet Helmut Spohn aus Wilflingen von den guten und schlechten Zeiten in seinem Leben.
Geboren am 27. April 1935 in Riedlingen, war Helmut Spohn zu Kriegsbeginn gerade vier Jahre alt, sechs Jahre später musste der Zehnjährige als Ältester von vier Kindern den frühen Tod der Mutter verkraften. Hinzu kam die Ungewissheit über den Verbleib des Vaters im Kriegseinsatz in Jugoslawien: „Bis zu seiner Heimkehr nach der Kriegsgefangenschaft 1949 kam vier Jahre lang auf die Vermisstenmeldungen keine Antwort.“
Gottlob war die Oma da, die für die Kinder aus altem Brot eine „Riebelesuppe“kochte, und Butter und Käse gab es auch – aber dafür keinen Zucker, kein Salz und kein Mehl. Und hätte da nicht ein Onkel im Bayerischen für die Kinder gesorgt – was er dem Vater versprochen hatte, falls dieser nicht vom Krieg heimkehren sollte – dann wären die Geschwister wohl in verschiedene Pflegefamilien gesteckt worden. So aber wuchs Spohn auf dem Hof auf, den der Großvater im Jahre 1894 für 4000 Goldmark erworben hatte, von welchen er sich 2000 Goldmark beim Vetter geliehen hatte.
Lebhaft berichtet Spohn aus seiner Kindheit, in der ein Jahr lang – von Februar 1945 bis Januar 1946 – die Schule ausfiel und der Zehnjährige auf der Wiese die „Furchen“nachmähen musste. Damals gab es in Wilflingen noch 52 Milchviehbetriebe, „heute steht hier keine Kuh mehr im Stall“, weiß der 84-Jährige. Und auf Wachters Frage nach seiner Tätigkeit als „Geburtshelfer“berichtet Spohn: „Wenn eine Kuh kalbte – was meistens nachts der Fall war – wurde ich geholt. Aber manchmal waren vier bis fünf Männer zum Ziehen nötig.“
Klauenschneiden – ein hartes Geschäft
Alleine verrichtete Spohn wiederum das Klauenschneiden – ein im wahrsten Sinne des Wortes hartes Geschäft. Und mindestens ebenso anstrengend war das Dreschen auf den Höfen: „Einmal war ich 27 Tage lang hintereinander im Einsatz mit Eisighof.“Im Klartext hieß das, den ganzen Tag in glühender Hitze beinahe pausenlos die schweren Säcke über enge und steile Stiegen zur Maschine zu schleppen, mal ein Bier oder ein Schnaps zwischendurch, und schon ging es weiter. In Bezug auf die Verköstigung auf den Höfen meint Spohn humorvoll: „In großen Betrieben war das Essen schlechter, in den kleinen besser.“Mit 14 Jahren kam er für drei Jahre in die Lehre als Baumwart und im März 1955 absolvierte er als Jüngster die staatliche Baumwartsprüfung mit drei Mal der Note Eins. Gerne erzählt Spohn von seiner nun fast 70 Jahre dauernden Tätigkeit als Baumwart, die mehr und mehr zu seiner Leidenschaft wurde. Alte und für die Region typische Apfelsorten habe man veredelt. Bis zu 40 Baumstützen wurden teilweise pro Baum benötigt, um einen Astbruch zu vermeiden.
Noch im November 2018 hat Helmut Spohn Helfer beim Baumschnitt angewiesen, und sein Most ist mit der Beste aus dem gesamten Oberland. „Seit 1974 ist kein Tropfen Wasser drin, nur 100 Prozent Saft.“Wie bei diesem harten Arbeitsleben noch Zeit für die Vereine war, lässt sich nur erahnen. Außer im Gesangsverein, in der Freiwilligen Feuerwehr und in seinem Lieblingsverein, dem Schwäbischen Albverein, war der Landwirt viele Jahre im Theaterverein. „Für ,Ben Hur' haben wir monatelang geprobt, man ist nachts kaum ins Bett gekommen“, erinnert er sich.
Und zum Thema Heimat erwidert er: „Meine Heimat ist hier auf dem Hof und hier will ich bleiben. Ich möchte auch nicht in ein Pflegeheim kommen.“Einsam fühlt er sich keineswegs, denn sein Sohn mit Familie wohnt direkt neben ihm. Auf die Frage nach seiner besten Zeit sagt er nachdenklich: „Das waren die 42 Jahre, die ich mit meiner Frau verheiratet war, bis sie starb.“
Und nach einem kurzen Schweigen bietet Spohn allen Anwesenden seinen wirklich ganz vorzüglichen Birnenmost an – mit frischen Brezeln, versteht sich.