Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Gründerzeit-Haus verliert seinen Charakter
Investor verändert das an der Fürst-Wilhelm-Straße gelegene Haus – Warum Experten dies kritisieren
SIGMARINGEN – Die Häuserzeile am Stadteingang bei der Nepomukbrücke ist prägend für Sigmaringen. Das Haus mit der Nummer 4 trägt seit der Renovierung Ende vergangenen Jahres ein verändertes Gesicht. „Das Ergebnis der Renovierung ist ein gesichtsloses Haus, das jeglichen Charme eingebüßt hat“, sagt Gemeinderätin Ulrike Tyrs (SPD). Sie ist mit ihrer Meinung nicht allein. Der Hauseigentümer Frank Dreher kann die Kritik nicht nachvollziehen. „Wir sind glücklich mit der Lösung und haben positive Rückmeldungen bekommen.“In dem Gebäude ist eine Außenstelle des Verwaltungsgerichts untergebracht. Bauunternehmer Dreher hat das vor 1900 errichtete Gebäude gekauft, umgebaut und an das Land vermietet.
Laut Angaben von Stadtsprecher Heiko Gollmar ist das Haus aus der Gründerzeit nicht denkmalgeschützt, der Bauausschuss des Gemeinderats stimmte dem Umbau zu.
Jetzt, wo das Ergebnis zu sehen ist, erschrecken selbst Gemeinderäte. Ulrike Tyrs von der SPD ist dafür bekannt, dass ihr dieses Thema ein Anliegen ist. Die Renovierung sei mit „größter Unsensibilität“erfolgt. Tyrs spricht von einem „gesichtslosen Haus“: „Ein Jammer für das Eingangstor der Stadt.“
„Keine Liebe, kein Herzblut“
Aus Architektenkreisen wird diese Kritik bestätigt. Mehrere Architekten Sigmaringens sind ähnlicher Meinung wie die Gemeinderätin und begründen ihre Kritik fachlich. „Keine Liebe, kein Herzblut – die Sanierung wirkt auf mich sachlich-nüchtern“, sagt ein Architekt. Weil er öffentlich keine Kollegenschelte mag, will der Fachmann anonym bleiben.
Die Kritik hängt hauptsächlich mit dem weggefallenen Fachwerk zusammen. Da das Gebäude an heutige Energiestandards angepasst wurde, erhielt es einen Vollwärmeschutz. Das heißt: Es wurde mit Dämmplatten aus Holzfasern eingepackt. Das Fachwerk ist dahinter verschwunden. Fachleute sind der Meinung, dass auch eine Innendämmung machbar gewesen wäre, allerdings geben sie zu – mit mehr Aufwand. Frank Dreher weist dies zurück: „Eine Innendämmung ist Murks, weil sie uneffektiver ist.“Neben dem Fachwerk fielen die Sparrenköpfe weg, die die Fassade gliederten. Dreher weist darauf hin, dass der obere Teil der Fassade unter dem Dach farblich abgesetzt sei. „Wir haben uns da viele Gedanken gemacht.“Architekten bestätigen dies anerkennend. Das Rot hätte er gerne erhalten, doch wegen des Vollwärmeschutzes ging das nicht, so der Bauunternehmer aus Vilsingen: „Umso dunkler die Fassade, umso mehr heizt sie sich auf.“Deshalb entschied sich Dreher nach einer Bemusterung für das Hellgrün. Die Fenster habe er zudem betont, indem er die Faschen farblich absetzte.
Trotzdem bekam das Gebäude einen anderen Charakter. Die Gliederung sei jetzt horizontal, vorher sei sie vertikal gewesen, so ein Fachmann. „Das Gebäude wirkt jetzt pummeliger.“Dass der Eingang nach hinten verlegt wurde, erklärt Dreher damit, dass das Treppenhaus sich dort befindet. Bis in die 1980er-Jahre sei das so gewesen. „Wir haben die Ursprungssituation wieder hergestellt.“
Architekt hat Lösungsvorschlag
Der Bauunternehmer weist darauf hin, dass er sich an die Vorschriften der Energieeinsparverordnung und des Brandschutzes halten müsse. Trotzdem sei es ihm wichtig gewesen, die Optik möglichst ansprechend zu gestalten.
Und wie kann die Stadt erreichen, dass sich Experten künftig vorher in eine solche Diskussion einmischen? Der Bad Saulgauer Architekt Manfred Gruber, Sprecher der Architekten im Kreis, schlägt einen Gestaltungsbeirat vor. Dabei handle es sich um ein Gremium aus Fachleuten, das vom Gemeinderat eingesetzt und trotzdem unabhängig ist. „Zentrale Planungen überprüft der Beirat hinsichtlich der Gestaltungsabsicht.“
Der Gemeinderat müsste, wenn ihm daran gelegen ist, ein solches Gremium einsetzen und auch bereit sein, die Kosten zu tragen.