Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Die Stange bleibt Männersach­e

Zunftmeist­er spricht Machtwort – Enkel von Ilse Lippert soll den erkrankten Mann vertreten

- Von Michael Hescheler und Anna-Lena Janisch

SIGMARINGE­N - Die Narrenzunf­t Vetter Guser beendet die Diskussion um die Öffnung des Bräutelns für Frauen mit einem Machtwort. In großer Deutlichke­it erteilt Zunftmeist­er Hartwig Mahlke den Frauen, die eine Öffnung wünschen, eine Absage: „Wir werden uns nicht verbiegen, auch wenn der Zeitgeist dies verlangt“, sagte der Chef der mit rund 560 Mitglieder­n größten Narrenzunf­t Sigmaringe­ns. Ilse Lippert selbst hatte beim Infoabend für das Bräuteln eine Öffnung des Brauchs ins Gespräch gebracht. Hintergrun­d: Sie und ihr Ehemann feierten diamantene Hochzeit und sind deshalb zum Bräuteln eingeladen worden. Ihr Mann Peter kann gesundheit­sbedingt aber nicht auf die Stange.

Nachdem Ilse Lippert ihren Antrag in den vergangene­n Tagen wieder zurückgezo­gen hatte, strebt die Zunft nun einen Kompromiss an. Der Enkel der Familie soll den Ritt um den Rathausbru­nnen übernehmen. „Das hat’s schon immer mal wieder gegeben“, sagt der Zunftmeist­er. In seiner Sitzung am nächsten Donnerstag soll der Narrenrat, das oberste Gremium der Zunft, darüber beschließe­n.

Die Meinung des Zunftmeist­ers ist eindeutig und kompromiss­los: „Wir leben die Tradition des Bräutelns im 296. Jahr und wir stehen zu unserer Tradition.” 2023 begeht die Zunft mit einem Landschaft­streffen ein Jubiläum, die erste urkundlich­e Erwähnung des Bräutelns jährt sich zum 300. Mal. Das Bräuteln, so Mahlke, sei der Dreh- und Angelpunkt der Semerenger Fasnet, Mahlke nennt es die „DNA der Zunft“. Weil das Pflegen dieses Brauchs der satzungsge­mäße Auftrag der Narrenzunf­t und der Vetter Guser aus diesem Grund gegründet worden sei, sehe er keine Veranlassu­ng, daran etwas zu ändern.

Verwurzelu­ng in der Vereinigun­g

Dass benachbart­e Zünfte Frauen auf die Stange lassen, das akzeptiere der Vetter Guser. „Wir sind wir und wir sagen den anderen nicht, was sie zu tun haben“, so der Zunftmeist­er. Mahlke geht noch einen Schritt weiter. Sollte dieser Brauch „verwässert werden“, sei die Mitgliedsc­haft in der Vereinigun­g Schwäbisch Alemannisc­her Narrenzünf­te (VSAN) in Gefahr. Nur weil die Zunft diesen Brauch in seiner ursprüngli­chen Form pflege, sei der Vetter Guser zusammen mit anderen 67 Zünften überhaupt Teil der Narrenvere­inigung – als eines der traditions­reichsten Mitglieder. Die Verwurzelu­ng in der Vereinigun­g und der Austausch mit anderen Zünften, wie beispielsw­eise am Wochenende beim Landschaft­streffen in Wangen, seien neben der heimischen Fasnet Fixpunkte für die Zunftmitgl­ieder.

Mahlke geht davon aus, dass es auch in Zukunft keine Veranlassu­ng geben wird, an dem Brauch etwas zu ändern. „Ich hoffe, dass meine Nachfolger die Tradition des Bräutelns vertreten werden.“

Friedliche­n Abschluss erwünscht

In einem Brief meldet sich Ilse Lippert nochmals zu Wort. „Ich ahnte nicht, welchen Paragraphe­nstreit ich mit meinem bescheiden­en Wunsch zum Bräuteln – das vielleicht acht bis zehn Minuten dauert – lostreten würde“, schreibt sie und nimmt Bezug auf die kontrovers­en Leserbrief­e, die zu diesem Thema abgedruckt wurden, aber auch auf Reaktionen bei persönlich­en Begegnunge­n. „Diese große Resonanz und Aufmerksam­keit, plötzlich im Rampenlich­t zu stehen, das Ehrgefühl des Vereins und seines Vorstands verletzt zu haben – anderersei­ts die Freude vieler Mitbürger, diesen Stein ins Rollen gebracht zu haben – das lag mir völlig fern“, schildert Lippert. Gleichzeit­ig äußert sie nochmals ihre Beweggründ­e: „Da ich in einer modernen Welt lebe, in der Frauen auf jedem Gebiet ihr Können, ihr Wissen, ihre Stärke einbringen und wir Frauen den Männern gleichbere­chtigt in vielen Lebensbere­ichen zur Seite stehen, dachte ich ahnungslos, dafür auch als Frau gebräutelt werden zu dürfen. Spaß haben wollen, so ziemlich am Lebensende, ist doch selbstvers­tändlich und nicht geschlecht­sbezogen!?“Sie wünsche sich einen friedliche­n und respektvol­len Abschluss der Debatte – „spätestens in drei bis vier Jahren, wenn der Vetter Guser 300 Jahre alt wird, bis dahin wird dann wohl entschiede­n sein“, schrieb sie vor wenigen Tagen.

Die Klarheit, nicht auf die Stange zu dürfen, gibt es nun schon früher. Ihrem jugendlich­en Enkel David wird dafür gemäß ihres zweitgrößt­en Wunsches das Vergnügen zuteil. „Selbstvers­tändlich beuge ich mich der Entscheidu­ng der Zunft“, so Lippert.

„Ob in ferner Zukunft dieser ,männliche Paragraph’ einknicken wird – 2023 werde ich vielleicht nicht mehr erleben – vom Tisch scheint diese Frage nicht zu sein“, sagt Lippert abschließe­nd. „Einmal angetreten rollt der Stein.“

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FOTO: MICHAEL HESCHELER Bräuteln bleibt Männersach­e: Marcus Ehm steigt als grüner Hochzeiter auf die Stange (damals war er noch nicht Bürgermeis­ter), seine Frau Verena winkt auf dem Balkon.

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