Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Die Stange bleibt Männersache
Zunftmeister spricht Machtwort – Enkel von Ilse Lippert soll den erkrankten Mann vertreten
SIGMARINGEN - Die Narrenzunft Vetter Guser beendet die Diskussion um die Öffnung des Bräutelns für Frauen mit einem Machtwort. In großer Deutlichkeit erteilt Zunftmeister Hartwig Mahlke den Frauen, die eine Öffnung wünschen, eine Absage: „Wir werden uns nicht verbiegen, auch wenn der Zeitgeist dies verlangt“, sagte der Chef der mit rund 560 Mitgliedern größten Narrenzunft Sigmaringens. Ilse Lippert selbst hatte beim Infoabend für das Bräuteln eine Öffnung des Brauchs ins Gespräch gebracht. Hintergrund: Sie und ihr Ehemann feierten diamantene Hochzeit und sind deshalb zum Bräuteln eingeladen worden. Ihr Mann Peter kann gesundheitsbedingt aber nicht auf die Stange.
Nachdem Ilse Lippert ihren Antrag in den vergangenen Tagen wieder zurückgezogen hatte, strebt die Zunft nun einen Kompromiss an. Der Enkel der Familie soll den Ritt um den Rathausbrunnen übernehmen. „Das hat’s schon immer mal wieder gegeben“, sagt der Zunftmeister. In seiner Sitzung am nächsten Donnerstag soll der Narrenrat, das oberste Gremium der Zunft, darüber beschließen.
Die Meinung des Zunftmeisters ist eindeutig und kompromisslos: „Wir leben die Tradition des Bräutelns im 296. Jahr und wir stehen zu unserer Tradition.” 2023 begeht die Zunft mit einem Landschaftstreffen ein Jubiläum, die erste urkundliche Erwähnung des Bräutelns jährt sich zum 300. Mal. Das Bräuteln, so Mahlke, sei der Dreh- und Angelpunkt der Semerenger Fasnet, Mahlke nennt es die „DNA der Zunft“. Weil das Pflegen dieses Brauchs der satzungsgemäße Auftrag der Narrenzunft und der Vetter Guser aus diesem Grund gegründet worden sei, sehe er keine Veranlassung, daran etwas zu ändern.
Verwurzelung in der Vereinigung
Dass benachbarte Zünfte Frauen auf die Stange lassen, das akzeptiere der Vetter Guser. „Wir sind wir und wir sagen den anderen nicht, was sie zu tun haben“, so der Zunftmeister. Mahlke geht noch einen Schritt weiter. Sollte dieser Brauch „verwässert werden“, sei die Mitgliedschaft in der Vereinigung Schwäbisch Alemannischer Narrenzünfte (VSAN) in Gefahr. Nur weil die Zunft diesen Brauch in seiner ursprünglichen Form pflege, sei der Vetter Guser zusammen mit anderen 67 Zünften überhaupt Teil der Narrenvereinigung – als eines der traditionsreichsten Mitglieder. Die Verwurzelung in der Vereinigung und der Austausch mit anderen Zünften, wie beispielsweise am Wochenende beim Landschaftstreffen in Wangen, seien neben der heimischen Fasnet Fixpunkte für die Zunftmitglieder.
Mahlke geht davon aus, dass es auch in Zukunft keine Veranlassung geben wird, an dem Brauch etwas zu ändern. „Ich hoffe, dass meine Nachfolger die Tradition des Bräutelns vertreten werden.“
Friedlichen Abschluss erwünscht
In einem Brief meldet sich Ilse Lippert nochmals zu Wort. „Ich ahnte nicht, welchen Paragraphenstreit ich mit meinem bescheidenen Wunsch zum Bräuteln – das vielleicht acht bis zehn Minuten dauert – lostreten würde“, schreibt sie und nimmt Bezug auf die kontroversen Leserbriefe, die zu diesem Thema abgedruckt wurden, aber auch auf Reaktionen bei persönlichen Begegnungen. „Diese große Resonanz und Aufmerksamkeit, plötzlich im Rampenlicht zu stehen, das Ehrgefühl des Vereins und seines Vorstands verletzt zu haben – andererseits die Freude vieler Mitbürger, diesen Stein ins Rollen gebracht zu haben – das lag mir völlig fern“, schildert Lippert. Gleichzeitig äußert sie nochmals ihre Beweggründe: „Da ich in einer modernen Welt lebe, in der Frauen auf jedem Gebiet ihr Können, ihr Wissen, ihre Stärke einbringen und wir Frauen den Männern gleichberechtigt in vielen Lebensbereichen zur Seite stehen, dachte ich ahnungslos, dafür auch als Frau gebräutelt werden zu dürfen. Spaß haben wollen, so ziemlich am Lebensende, ist doch selbstverständlich und nicht geschlechtsbezogen!?“Sie wünsche sich einen friedlichen und respektvollen Abschluss der Debatte – „spätestens in drei bis vier Jahren, wenn der Vetter Guser 300 Jahre alt wird, bis dahin wird dann wohl entschieden sein“, schrieb sie vor wenigen Tagen.
Die Klarheit, nicht auf die Stange zu dürfen, gibt es nun schon früher. Ihrem jugendlichen Enkel David wird dafür gemäß ihres zweitgrößten Wunsches das Vergnügen zuteil. „Selbstverständlich beuge ich mich der Entscheidung der Zunft“, so Lippert.
„Ob in ferner Zukunft dieser ,männliche Paragraph’ einknicken wird – 2023 werde ich vielleicht nicht mehr erleben – vom Tisch scheint diese Frage nicht zu sein“, sagt Lippert abschließend. „Einmal angetreten rollt der Stein.“