Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Arbeitswelt in der Region wird weiblicher
IHK gibt ihre Kontaktstelle Frau und Beruf auf – Die Aufregung in Ulm ist groß
ULM - Ulmer Politiker sehen den Wiedereinstieg von Frauen ins Berufsleben in Gefahr. Denn die IHK Ulm gibt ihre Kontaktstelle Frau und Beruf nach zehn Jahren auf. Stadträte von CDU und Grünen fordern, dass die Einrichtung erhalten bleiben muss – als städtisches Angebot oder über einen anderen Träger. Doch aus Sicht der IHK ist die Aufgabe erledigt. „Unserer Meinung nach ist das Thema bei den Firmen angekommen“, sagt Martina Doleghs, Geschäftsbereichsleiterin Bildung bei der IHK.
Die IHK ist für die Unternehmen zuständig, nicht für Arbeitnehmer. Das ist gesetzlich so festgelegt. Dennoch sprach die Kontaktstelle nicht nur Firmen an. 442 intensive Kontakte zu Unternehmen und 2747 Beratungen von Frauen hat es seit dem Auftakt 2010 gegeben. Doleghs hat über die Jahre eine Veränderung in der Strategie der Unternehmen beobachtet: „Das Thema Frau und Beruf steht bei allen an oberster Stelle“, sagt sie. Der Arbeitsmarkt sei wie leer gefegt, Fachkräfte würden dringend gesucht. Gut ausgebildete Frauen seien eine Chance, dieses Problem zu lösen. Um sie zu gewinnen, hätten viele Firmen neue Arbeitszeitmodelle und Möglichkeiten zur Kinderbetreuung eingeführt – was nicht nur für große Konzerne gelte: „Mittelständler sind darauf angewiesen und legen sehr flexible Lösungen vor“, berichtet Doleghs. „Für die Unternehmen ist unser Auftrag erfüllt“, folgert sie.
Jede zweite Frau arbeitet in Teilzeit
Dass die flexiblen Lösungen ankommen, zeigt der aktuelle Arbeitsmarktreport. Beinahe die Hälfte der berufstätigen Frauen in der IHK-Region Ulm arbeitet in Teilzeit (46 Prozent). In den zurückliegenden fünf Jahren ist dieser Anteil um rund 20 Prozentpunkte gewachsen. „Teilzeit ist eine Domäne der Frauen – gewollt oder nicht“, stellt Doleghs fest.
Zahlen der IHK und der Arbeitsagentur zeigen, wie sich die Arbeitswelt in der Region in den vergangenen Jahren verändert hat. Seit 2010, als die Kontaktstelle eingerichtet wurde, ist die Zahl berufstätiger Frauen in Ulm und den Landkreisen Alb-Donau und Biberach von knapp 88 000 auf 103 000 gestiegen. 2017 waren annähernd 60 Prozent der Frauen in dieser Region berufstätig. Auch diese Quote ist gestiegen, seit 2013 um sieben Prozentpunkte. Auf die Arbeit der IHKKontaktstelle will Geschäftsbereichsleiterin Doleghs diese Entwicklung nicht zurückführen. „Wir leben einfach in einer wirtschaftlich enorm starken Region“, sagt sie. Dennoch gibt es Anzeichen dafür, was die Kontaktstelle bewirkt hat. Vor einem Jahr hat ein Marktforschungsunternehmen Frauen befragt, die sich dort zwischen Januar 2015 und August 2016 beraten ließen. Das Ergebnis: Weniger Frauen waren ohne Arbeit oder hatten einen Minijob, mehr waren in Ausbildung oder angestellt. „Die Zahlen deuten darauf hin, dass die Beratung Impulse zur Veränderung gibt“, kommentiert Doleghs. „Wir haben eine Lotsenfunktion eingenommen und Frauen ermutigt, neue Wege zu gehen“, glaubt sie.
Ulmer Stadträte sorgen sich vor allem um den Wiedereinstieg von Müttern ins Arbeitsleben. Deswegen fordert die CDU-Fraktion in einem Antrag, dass die Kontaktstelle erhalten bleiben soll. Gegebenenfalls mit der Stadt als Träger. Doch eine Erhebung der IHK zeigt: Um den Wiedereinstieg oder um Kinderbetreuung geht es nur wenigen Frauen, die bei der Kontaktstelle Beratung suchen: Nicht einmal fünf Prozent der Ratsuchenden gaben diese Gründe an. „Frauen kehren nach der Elternzeit meistens relativ schnell in den Job zurück“, sagt Doleghs.
Den meisten ging es um Orientierung, Stellensuche, Stellenwechsel, das Nachholen eines Berufsabschlusses oder um Anpassung und Weiterbildung. Vor allem junge Frauen suchen die Hilfe der Kontaktstelle, auch viele Migrantinnen kommen dorthin. Das liege an der Nähe der IHK zur Ausbildung und am Welcome-Center, das ausländischen Fachkräften Hilfe anbietet und seinen Sitz im gleichen Gebäude hat. Dass sich Frauen verändern und weiterentwickeln wollen, sei genauso normal wie bei Männern, sagt Doleghs zu den Gründen, aus denen die Kontaktstelle um Rat gefragt wird. „Man bleibt nicht bis zum Berufsende im gleichen Job“, betont sie. Frauen zwischen 36 und 50 kommen am häufigsten zur Kontaktstelle – also Berufstätige in einem Alter, in dem der Wunsch nach Weiterqualifizierung und Entwicklung keine Seltenheit ist.
Für den Wiedereinstieg nach einer Erziehungsphase ist aus Doleghs Sicht vor allem ein Faktor entscheidend: Haben die Eltern eine gute Kinderbetreuung, auf die sie sich verlassen können?
Der Bedarf an Beratung werde bleiben, davon ist Doleghs überzeugt. Die werde es auch weiter geben – für Männer und Frauen. Ist die spezielle Hilfe der Kontaktstelle Frau und Beruf und durch andere Angebote wie bei der Arbeitsagentur also überflüssig geworden? „Ich denke, es braucht ein niederschwelliges Angebot“, entgegnet Doleghs. Das der IHK läuft am 31. Juli aus.