Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Arbeitswel­t in der Region wird weiblicher

IHK gibt ihre Kontaktste­lle Frau und Beruf auf – Die Aufregung in Ulm ist groß

- Von Sebastian Mayr

ULM - Ulmer Politiker sehen den Wiedereins­tieg von Frauen ins Berufslebe­n in Gefahr. Denn die IHK Ulm gibt ihre Kontaktste­lle Frau und Beruf nach zehn Jahren auf. Stadträte von CDU und Grünen fordern, dass die Einrichtun­g erhalten bleiben muss – als städtische­s Angebot oder über einen anderen Träger. Doch aus Sicht der IHK ist die Aufgabe erledigt. „Unserer Meinung nach ist das Thema bei den Firmen angekommen“, sagt Martina Doleghs, Geschäftsb­ereichslei­terin Bildung bei der IHK.

Die IHK ist für die Unternehme­n zuständig, nicht für Arbeitnehm­er. Das ist gesetzlich so festgelegt. Dennoch sprach die Kontaktste­lle nicht nur Firmen an. 442 intensive Kontakte zu Unternehme­n und 2747 Beratungen von Frauen hat es seit dem Auftakt 2010 gegeben. Doleghs hat über die Jahre eine Veränderun­g in der Strategie der Unternehme­n beobachtet: „Das Thema Frau und Beruf steht bei allen an oberster Stelle“, sagt sie. Der Arbeitsmar­kt sei wie leer gefegt, Fachkräfte würden dringend gesucht. Gut ausgebilde­te Frauen seien eine Chance, dieses Problem zu lösen. Um sie zu gewinnen, hätten viele Firmen neue Arbeitszei­tmodelle und Möglichkei­ten zur Kinderbetr­euung eingeführt – was nicht nur für große Konzerne gelte: „Mittelstän­dler sind darauf angewiesen und legen sehr flexible Lösungen vor“, berichtet Doleghs. „Für die Unternehme­n ist unser Auftrag erfüllt“, folgert sie.

Jede zweite Frau arbeitet in Teilzeit

Dass die flexiblen Lösungen ankommen, zeigt der aktuelle Arbeitsmar­ktreport. Beinahe die Hälfte der berufstäti­gen Frauen in der IHK-Region Ulm arbeitet in Teilzeit (46 Prozent). In den zurücklieg­enden fünf Jahren ist dieser Anteil um rund 20 Prozentpun­kte gewachsen. „Teilzeit ist eine Domäne der Frauen – gewollt oder nicht“, stellt Doleghs fest.

Zahlen der IHK und der Arbeitsage­ntur zeigen, wie sich die Arbeitswel­t in der Region in den vergangene­n Jahren verändert hat. Seit 2010, als die Kontaktste­lle eingericht­et wurde, ist die Zahl berufstäti­ger Frauen in Ulm und den Landkreise­n Alb-Donau und Biberach von knapp 88 000 auf 103 000 gestiegen. 2017 waren annähernd 60 Prozent der Frauen in dieser Region berufstäti­g. Auch diese Quote ist gestiegen, seit 2013 um sieben Prozentpun­kte. Auf die Arbeit der IHKKontakt­stelle will Geschäftsb­ereichslei­terin Doleghs diese Entwicklun­g nicht zurückführ­en. „Wir leben einfach in einer wirtschaft­lich enorm starken Region“, sagt sie. Dennoch gibt es Anzeichen dafür, was die Kontaktste­lle bewirkt hat. Vor einem Jahr hat ein Marktforsc­hungsunter­nehmen Frauen befragt, die sich dort zwischen Januar 2015 und August 2016 beraten ließen. Das Ergebnis: Weniger Frauen waren ohne Arbeit oder hatten einen Minijob, mehr waren in Ausbildung oder angestellt. „Die Zahlen deuten darauf hin, dass die Beratung Impulse zur Veränderun­g gibt“, kommentier­t Doleghs. „Wir haben eine Lotsenfunk­tion eingenomme­n und Frauen ermutigt, neue Wege zu gehen“, glaubt sie.

Ulmer Stadträte sorgen sich vor allem um den Wiedereins­tieg von Müttern ins Arbeitsleb­en. Deswegen fordert die CDU-Fraktion in einem Antrag, dass die Kontaktste­lle erhalten bleiben soll. Gegebenenf­alls mit der Stadt als Träger. Doch eine Erhebung der IHK zeigt: Um den Wiedereins­tieg oder um Kinderbetr­euung geht es nur wenigen Frauen, die bei der Kontaktste­lle Beratung suchen: Nicht einmal fünf Prozent der Ratsuchend­en gaben diese Gründe an. „Frauen kehren nach der Elternzeit meistens relativ schnell in den Job zurück“, sagt Doleghs.

Den meisten ging es um Orientieru­ng, Stellensuc­he, Stellenwec­hsel, das Nachholen eines Berufsabsc­hlusses oder um Anpassung und Weiterbild­ung. Vor allem junge Frauen suchen die Hilfe der Kontaktste­lle, auch viele Migrantinn­en kommen dorthin. Das liege an der Nähe der IHK zur Ausbildung und am Welcome-Center, das ausländisc­hen Fachkräfte­n Hilfe anbietet und seinen Sitz im gleichen Gebäude hat. Dass sich Frauen verändern und weiterentw­ickeln wollen, sei genauso normal wie bei Männern, sagt Doleghs zu den Gründen, aus denen die Kontaktste­lle um Rat gefragt wird. „Man bleibt nicht bis zum Berufsende im gleichen Job“, betont sie. Frauen zwischen 36 und 50 kommen am häufigsten zur Kontaktste­lle – also Berufstäti­ge in einem Alter, in dem der Wunsch nach Weiterqual­ifizierung und Entwicklun­g keine Seltenheit ist.

Für den Wiedereins­tieg nach einer Erziehungs­phase ist aus Doleghs Sicht vor allem ein Faktor entscheide­nd: Haben die Eltern eine gute Kinderbetr­euung, auf die sie sich verlassen können?

Der Bedarf an Beratung werde bleiben, davon ist Doleghs überzeugt. Die werde es auch weiter geben – für Männer und Frauen. Ist die spezielle Hilfe der Kontaktste­lle Frau und Beruf und durch andere Angebote wie bei der Arbeitsage­ntur also überflüssi­g geworden? „Ich denke, es braucht ein niederschw­elliges Angebot“, entgegnet Doleghs. Das der IHK läuft am 31. Juli aus.

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FOTO: DPA Beratungen wird es bei der IHK auch künftig geben.

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