Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Markt für Bioprodukte wächst
Discounter bieten zunehmend Bio an – Bauern setzen auf nachhaltige Produkte als alternative Einnahmequelle
NÜRNBERG (mws) - Die Deutschen essen immer mehr Bioprodukte. 2018 gaben sie für ökologisch hergestellte Lebensmittel fast elf Milliarden Euro aus – 5,5 Prozent mehr als im Vorjahr, wie der Bund Ökologischer Lebensmittelwirtschaft zum Auftakt der Messe Biofach berichtete. Für Bauern sei das eine Chance auf alternative Einkommensquellen, um das Hofsterben aufzuhalten. Allerdings herrscht Angst vor einem Preisdruck durch die Discounter.
NÜRNBERG - In der Badewanne mischte die Rapunzel Naturkost AG aus Legau im Unterallgäu einst das Müsli. Ihr Ökoladen in Augsburg, vor etwa 45 Jahren als einer der ersten Deutschlands geöffnet, hatte gerade mal 35 Quadratmeter. Heute hat allein ihr Messestand auf der Nürnberger Biofachmesse schon fast die fünffache Größe – 190 Quadratmeter.
Man muss sich zu ihm durchwuseln, vorbei an den vielen Geschäftsleuten in schicken Anzügen und Kleidern, an edel aufgemachten Ständen vorbei, die neuesten Produkte im besten Licht drapiert: kalorienreduzierte Hafer-Chia-Kekse ohne Zucker, kompostierbare knallrote Eislöffel aus Maisstärke, fruchtige Jackfruit-Chips. Jackfruit – beheimatet in Süd- und Südostasien – soll der neue Fleischersatz sein, die Chips schmecken süßlich, intensiv. Oder: der erste Berliner Wacholderbrand in Bioqualität, der „Spree Gin“.
Die Biofach in Nürnberg, die weltgrößte Messe der Branche, startete am Mittwoch. Sie läuft noch bis Samstag. Die Branche hat Grund zu feiern. Mit Bio lässt sich seit Jahren gut verdienen. Rapunzel verkauft sein Müsli mittlerweile tonnenweise. Allein im vergangenen Jahr kauften die Verbraucher in Deutschland Bioessen und -getränke im Wert von 10,91 Milliarden Euro – das sind 5,5 Prozent mehr als noch ein Jahr zuvor. Das lässt sich nachlesen in „Zahlen, Daten, Fakten – Die Bio-Branche 2019“.
Die Analyse hat der Spitzenverband der Ökoproduzenten, der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft, BÖLW, auf der Messe vorgestellt. 2017 hatte die Branche erstmals die Zehn-Milliarden-Euro-Marke geknackt. Peter Röhrig ist Geschäftsführer des BÖLW. Er sagt: „Immer mehr Menschen wollen heimische Bauern ebenso stärken wie Klimaschutz, Biene und Feldhase, artgerechte Tierhaltung und die Gesundheit ihrer Familien und der Umwelt.“
Bio kommt an. Rapunzel zum Beispiel ist heute mit gut 380 Mitarbeitern einer der führenden Biohersteller Europas. Fast wäre es nicht so weit gekommen. Denn als bei Rapunzel gerade mal acht Leute arbeiteten, fanden das „einige aus der kleinen Arbeitsgemeinschaft schon zu viel“, erklären die Gründer. So hätten sie alle überlegt, das Wachstum zu stoppen oder auszusteigen und nach Italien zu gehen.
Wann wird die Ökoidee ausverkauft? Die Frage beschäftigt die Branche aufs Neue, weil jetzt der Discounter Lidl Produkte von Bioland in seine Regale stellt. Es ist der erste Discounter mit einem Biolabel, das strenger ist als EU-Bio. So mancher fürchtet nun die Lidlisierung von Bio, den Preisdruck, den Ausverkauf der Ökoidee. Jan Bock, der Einkaufschef von Lidl Deutschland ist extra nach Nürnberg gekommen, er hat in den vergangenen Wochen schon oft die Kooperation verteidigt. Auch in Nürnberg sagt er: „Wir wollen Bio in die Mitte der Gesellschaft bringen.“
Denn: Im Trubel an den Nürnberger Messeständen lässt sich leicht einiges übersehen. Die Landwirte brauchen neue Einkommenschancen, allein im Jahr 2017 machten 3100 von knapp 267 000 ihre Höfe dicht. Bio scheint da für den ein oder anderen immerhin eine Alternative zu sein.
Eine entscheidende Zahl aus der BÖLW-Analyse: Im Geschäftsjahr 2017/18 lag das Unternehmensergebnis der Ökobetriebe im Schnitt bei knapp 65000 Euro, das sind rund 17 500 Euro mehr als ein konventioneller Hof verdient. So stellten deutsche Bauern im vergangenen Jahr auch eine Fläche in der Größe von 150 000 Fußballfeldern auf den Ökolandbau um – es sind damit insgesamt fast 1,5 Millionen Hektar. Nur: Die Ökoäcker machen bislang trotzdem nur knapp neun Prozent aus. Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD vereinbart, den Öko-Landbau bis 2030 auf 20 Prozent auszuweiten.
Derweil steigt die Nachfrage, vor allem von Seiten jener, die ihr konventionelles Sortiment mittlerweile mit Öko ergänzen wollen – von den Discountern wie Lidl, aber auch Aldi, von den Lebensmittelketten wie
Edeka und Rewe. Sie verkauften 2018 Biokartoffeln, -kekse, -kaffee für 6,43 Milliarden Euro, machen damit knapp 59 Prozent des Bio-Umsatzes. Das ist ein Plus von 8,6 Prozent allein im vergangenen Jahr.
Da stellt sich die Frage, ob dem Biofachhandel, den Bioketten und
„Wir wollen Bio in die Mitte der Gesellschaft bringen“,
vor allem den Naturkostfachläden, die Kunden weglaufen. So mancher befürchtet das. Doch legte im vergangenen Jahr auch deren Umsatz zu, wenn auch nur um 0,8 Prozent. Sie profilieren sich beispielsweise als Fachhändler, locken die Kunden dann auch mal mit einer gemütlichen, kleinen Sitzecke, in der man sich eine Suppe, ein Stück Torte oder auch nur einen Kaffee
sagt Jan Bock, Einkaufschef von Lidl Deutschland
gönnen kann.
Bleibt eine andere Zahl: Die Ökolebensmittel machen am gesamten Lebensmittelmarkt gerade mal fünf Prozent aus. Erst diese Woche hat das Bundesagrarministerium das Ökobarometer 2018 herausgegeben. Das Ressort von CDU-Politikerin Julia Klöckner ließ dafür 1000 Menschen nach ihren Einkaufsgewohnheiten befragen. Demnach entscheidet am Ende sicher auch der Preis. Denn Menschen mit hohem Einkommen greifen – auch das zeigte das Barometer – eher zu Bioprodukten. Darum debattierte die Biobranche in Nürnberg am Mittwoch auch über „wahre Preise.“
Wer weiß schon, was die Produktion eines Steaks wirklich kostet, wer denkt beim Einkauf schon an die Folgen für sein Trinkwasser oder für die Erderwärmung. Der Ökonom Tobias Gaugler von der Universität Augsburg hat die „verstecktem Kosten“in der Studie „Was kosten Lebensmittel wirklich?“unter anderem im Auftrag der Schweisfurth-Stiftung errechnet. Sein Ergebnis: In Wahrheit müssten die Verbraucher etwa für Milch von konventionell gehaltenen Kühen bis zu 30 Prozent mehr zahlen.
Denn bisher, erklärt der Wissenschaftler, sei zum Beispiel nicht eingepreist, dass die konventionelle Landwirtschaft das Grundwasser besonders mit Nitrat belaste, der Aufwand dieses dann zu Trinkwasser aufzubereiten größer werde. Dafür komme derzeit die Allgemeinheit auf, genauso wie für Umweltschäden durch Treibhausgasemissionen oder zu hohen Energieverbrauch. Da hat er noch nicht davon geredet, wie die Chemie in der Landwirtschaft Insekten und Vögel gefährdet. Gaugler hat das wegen mangelnder Datenlage nicht einbezogen.