Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Nur alle 30 Jahre ein Betriebsbesuch
Mängel beim Arbeitsschutz – Land schafft keine neuen Stellen
STUTTGART - Birgt eine Baustelle Gefahren für die Arbeiter? Lassen Unternehmen Angestellte zu lange arbeiten? Ist es in einer Produktionsstätte zu laut? Solche Punkte kontrollieren Arbeitsschützer. Doch in Baden-Württemberg müssen Betriebe laut Deutschem Gewerkschaftsbund im Schnitt alle 30 Jahre mit einem Besuch der Aufseher rechnen. Das wird so bleiben: Grüne und CDU wollen keine neuen Kontrolleure einstellen.
Seit Jahren kritisieren Gewerkschaften, Aufsichtsbeamte und Arbeitsschutzexperten das System im Südwesten. Gewerbeaufsichtsbeamte prüfen zwei Themenfelder: Sie kontrollieren, ob Firmen Vorgaben zum Arbeitsschutz und zum Umweltschutz einhalten.
Allerdings sind die Zuständigkeiten auf mehr als 50 Behörden in Land und Kreisen verteilt – das ist bundesweit einzigartig. Außerdem ist nirgendwo sonst so wenig Personal für den Arbeitsschutz im Einsatz: 4,82 Aufsichtspersonen zählt das Wirtschaftsministerium pro 100 000 Beschäftigte, im Bundesschnitt seien es neun Kontrolleure. Für die Gewerkschaft der Aufsichtsbeamten, die btbkomba, ist klar: „89 tödliche Unfälle im Jahr 2017 sind ein Beleg für das Vollzugsdefizit im Arbeitsschutz unseres Bundeslandes. Die Unfallzahl ist nicht akzeptabel und könnte durch Kontrollen und Sanktionen deutlich reduziert werden.“
Interne Gutachten der Landesregierung gehen davon aus, dass es rund 200 neue Stellen braucht. 113 wollte Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut schaffen. Doch am Wochenende entschieden die Spitzen von Grünen und CDU: Es wird dafür kein Geld im Landeshaushalt für 2020 und 2021 geben.
„Dies ist heute kein guter Tag für die Gesundheit der knapp fünf Millionen abhängig Beschäftigten in Baden-Württemberg. Die Gewerkschaften halten mindestens 250 neue Stellen für dringend erforderlich, um Gesundheit und Leben der Arbeitnehmer besser zu schützen. Es ist sehr bedauerlich, dass sich Frau Hoffmeister-Kraut in der Koalition gegenüber der grünen Finanzministerin offenkundig nicht durchsetzen kann, wenn es um Arbeitnehmerrechte geht“, sagte Jendrik Scholz vom Deutschen Gewerkschaftsbund.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte im Februar in einem Brief an die Gewerkschaft btbkomba ebenfalls geschrieben, Verbesserungen im Arbeitsschutz seien notwendig. Er verwies damals auf bereits unternommene Schritte und auf Pläne der Landesregierung für eine „erhebliche personelle Stärkung“. Doch die fällt nun aus. Am Dienstag erklärte Kretschmann dazu, das Land werde bis 2021 über 1,35 Milliarden Euro mehr ausgeben als 2018 und 2019 – für wichtige Bereiche wie innere Sicherheit, Klimaschutz, Forschung oder Bildung. Man habe aber nicht alle Wünsche der Ministerien erfüllen können, sondern Prioritäten setzen müssen. Dazu hätten mehr Stellen für den Arbeitsschutz nicht gehört.
Im Haus der Wirtschaftsministerin sieht man einen Teil der Schuld beim Umweltministerium von Franz Untersteller (Grüne). Die Minister konnten sich monatelang nicht auf ein Konzept für die Gewerbeaufsicht einigen. Zuletzt kam man überein, die 113 Stellen anzumelden; wer später die Dienstaufsicht über die neuen Beamten haben würde, wollte man später klären. Im Koalitionsvertrag zwischen Grünen und CDU steht deutlich: die Aufsicht sei beim Wirtschaftsministerium anzusiedeln. Umweltminister Untersteller hält das aber für ineffizient. Man teile die Aufsicht über die Gewerbeaufsicht dann zwischen zwei Häusern auf: Arbeitsschutz bei HoffmeisterKraut, Umweltschutz bei ihm.
Eine Sprecherin von HoffmeisterKraut teilte mit, die Pläne der Ministerin seien nicht umsetzbar gewesen, weil Finanzministerin Edith Sitzmann (Grüne) ihr dafür keinen „finanziellen Spielraum“gewährt habe. Die „mangelnde Bereitschaft des Umweltministeriums, das in der Koalitionsvereinbarung vereinbarte Konzept des Wirtschaftsministeriums zur Stärkung des Arbeitsschutzes für eine Kabinettsbefassung mitzutragen, hat sicherlich nicht dazu beigetragen, die Haushaltsreife voranzutreiben“. Im Umweltministerium hieß es dagegen, man sei sich im Grundsatz einig gewesen, die Frage der Dienstaufsicht hätte sich später sicher klären lassen.