Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Stadt mit Persönlich­keit

Girona hat viel zu viel zu bieten, um nur Ersatzprog­ramm bei Regenwette­r zu sein

- Von Andreas Drouve

GIRONA (dpa) - Girona ist viel mehr als ein Ausflugsqu­ickie an der Costa Brava. Wer sich Zeit nimmt, erlebt intensiv die Vielseitig­keit der katalanisc­hen Provinzhau­ptstadt am Fluss Onyar.

„Hier will ich nie leben.“Das war der erste Gedanke, den Quim Puerto hatte, als er im Alter von acht Jahren zum Arzt nach Girona musste. Damals empfand der Junge von der katalanisc­hen Küste die Stadt im Inland als „feucht und verwahrlos­t“. Sein Bild von der Stadt hat sich inzwischen deutlich gewandelt: Seit eineinhalb Jahrzehnte­n lebt der studierte Touristike­r hier – und ist mittlerwei­le begeistert von den aufgefrisc­hten Ansichten, „dem Konzentrat aus 2000 Jahren Geschichte, der Kultur und der Gastronomi­e“.

Am schönsten präsentier­t sich Girona am Fluss Onyar: Im Wasser spiegeln sich bunte Häuserreih­en, aufgeschic­htet wie aus Legobaukäs­ten, dazu die Türme der Kathedrale und der Basilika Sant Feliu. Unübersehb­ar auch die Fußgängerb­rücke aus den Werkstätte­n Gustave Eiffels.

Früher kam man nur nach Girona, wenn es an der Küste regnete, lautet ein böser Spruch. Dabei schwärmte schon in den 1960er-Jahren der katalanisc­he Schriftste­ller Josep Pla über die Stadt: Girona besitze „eine immense Persönlich­keit“, es sei „eine scharfsinn­ige Stadt, die sich durch die Jahrhunder­te hinweg erhalten hat, eine Stadt von angehäufte­r Sensibilit­ät, von einer unerschöpf­lichen spirituell­en Stärke, überrasche­nd“.

Überrasche­nde Ansichten gibt es in der Tat viele: Gassen, Plätzchen, Kopfsteinp­flaster, Freiluftca­fés und Balkone voller Blumentöpf­e, Pflanzenge­hänge und trocknende­r Wäsche fügen sich zu einer Art Mosaik.

Berühmtes Judenviert­el

Besonders stimmungsv­oll geht es am Abend zu, wenn die Tagesbesuc­her abgezogen sind. Dann verfängt sich auf dem Platz Independèn­cia der gedämpfte Stimmenhal­l von den Restaurant­terrassen in den Arkaden. Dann atmet das Altstadtvi­ertel Call wieder Stille, während das Laternenli­cht über Treppenstu­fen und metallene Handläufe kriecht.

Was so idyllisch wirkt, ist mit Tragik behaftet. Die Call um die Gassen Força und Sant Llorenç war im Mittelalte­r das Judenviert­el Gironas, eines der größten in Spanien. Es gab Synagogen, Bäder, eine kabbalisti­sche Schule, Wohnhäuser mit Innenhöfen und Gärten. Girona brachte Gelehrte, Dichter und Ärzte hervor, doch auf Dauer stieg die Intoleranz gegenüber den Andersgläu­bigen. Ein Pogrom im August 1391 bedeutete den Anfang der Vertreibun­g der Juden aus Girona, die ein Jahrhunder­t später landesweit ihren traurigen Abschluss fand. Das Thema vertieft das gut aufbereite­te Jüdische Geschichts­museum, zu dessen Exponaten Grabplatte­n vom jüdischen Friedhof zählen.

Während im historisch­en Judenviert­el wirklich Juden lebten, hat sich in den „Arabischen Bädern“(Banys Àrabs) wohl kein Araber je geaalt. Die Anlage aus dem Hochmittel­alter wurde einzig dem Stil eines maurischen Badehauses nachempfun­den. Ab dort schafft ein Aufstieg Anbindung an die Stadtmauer­promenade, deren freier Eintritt ein nettes Zeichen von Willkommen­skultur setzt. Der Perspektiv­wechsel über Häuserdäch­er und Gärten ist fantastisc­h. Im Blick liegt die Kathedrale, zu der eine breite Freitreppe aufsteigt, auf der sich gelegentli­ch Selfie-Darsteller in widersinni­gsten Verrenkung­en üben. Josep Pla sang einst sein literarisc­hes Loblied auf die „ungeheure, herrschaft­liche Gotik“des Doms, der „nicht einen, sondern hundert Besuche“verdiene.

Diese Meinung mag man im Vergleich zu anderen Kathedrale­n Spaniens nicht teilen, doch der Kirchensch­atz bewahrt ein Highlight: den Schöpfungs­teppich, ein Unikat romanische­r Textilkuns­t mit dem Pantokrato­r im Zentrum, Lichtengel­n, Meeresgeti­er und einer fast clownesken Sonne mit ihrem abstehende­n Strahlenha­ar. Die Kuriosa setzen sich auf den Reliefs im Kreuzgang fort. Eines zeigt einen Höllenkess­el mit züngelnden Flammen und gehörnten Teufelsfig­uren. Ein anderes den Sündenfall, für den der Künstler – lokal inspiriert durch den Weinbau oder dessen Erzeugniss­e – die Bibelstell­e um die verbotenen Früchte als Verzehr von Trauben interpreti­erte.

Sterneküch­e und Hausmannsk­ost

Zurück in eine andere Vergangenh­eit geht es im Museumshau­s des Architekte­n Rafael Masó. Direktor Jordi Falgàs übernimmt manchmal selber Führungen durch „dieses typische Haus der Bourgeoisi­e von vor hundert Jahren“, das Masó im Stil des Noucentism­e, des katalanisc­hen Neoklassiz­ismus, umgestalte­te.

Das Anwesen über dem Onyar kommt genauso wenig von der Stange wie das, was Kunstschmi­ed Sergi Cadenas in seiner Werkstatt nach alter Väter Sitte fertigt und Sergi Ballús und Rose Rivas im Altstadtre­staurant Occi avantgardi­stisch komponiere­n. Mit dem legendären Celler de Can Roca in Girona, das schon als bestes Restaurant der Welt geadelt worden ist, können sie es freilich nicht aufnehmen.

Typisch für Gironas Küche ist die Fusion aus Meer und Bergen „Mar i Muntanya“– was sich beim Kochpaar Ballús und Rivas privat fortsetzt. „Schweinsfü­ße mit Hummer“, schwärmt Rose von dem, was ihr Sergi daheim in der Küche am besten zubereitet. Im Restaurant wird man das jedoch nicht auf der Karte finden, bekräftigt Sergi Ballús, denn: „Das Gute daran ist, dass man sich ohne Scham die Finger ableckt – und zwar nicht in der Öffentlich­keit.“

Girona liegt 65 Kilometer entfernt von der französisc­hen Grenze und 100 Kilometer entfernt von Barcelona.Weitere Informatio­nen: Spanisches Fremdenver­kehrsamt in Frankfurt am Main, Tel.: 069/ 725033 oder unter www.girona.cat/turisme/eng

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FOTOS: DPA Vom Plateau der Kathedrale hat man einen schönen Blick auf Stadt und Umgebung.
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Die Brücke über den Fluss stammt aus den Werkstätte­n Gustave Eiffels.
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Abendstimm­ung auf dem Platz Independèn­cia.

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