Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Spiel mit der Herkunft

In „Sieben Versuche zu lieben“versammelt Maxim Biller Familienge­schichten aus 30 Jahren

- Von Welf Grombacher

Während seiner Zeit beim „Literarisc­hen Quartett“, so erzählte Maxim Biller einmal, hätte er jede Menge Anfragen erhalten, weil alle ein polterndes Interview von ihm wollten. „Ich war kurz Donald Trump.“Im Dezember 2016 war dann Schluss damit. Seitdem geht es etwas ruhiger zu und der als Enfant Terrible verschriee­ne Schriftste­ller konzentrie­rt sich wieder aufs Kerngeschä­ft. Bevor ein neuer Roman erscheint, kommt jetzt erst mal der Band „Sieben Versuche zu lieben“heraus. Er versammelt 13 Familienge­schichten. Die ältesten stammen aus Billers Debüt „Wenn ich einmal reich und tot bin“(1990). Die jüngsten aus dem Band „Liebe heute“(2007). Alle sind schon mal erschienen. Doch die Lektüre lohnt sich trotzdem, weil sich in der Zusammensc­hau exzellente Einblicke in Maxim Billers Poetologie ergeben.

In den Geschichte­n begegnen die Leser immer wieder einer aus Russland stammenden Familie, die es während des Stalin-Terrors in die Tschechosl­owakei verschlage­n hat und die von dort nach dem Prager Frühling schließlic­h in der BRD landete. So ist es Maxim Biller selbst ergangen. Die Ausgangsbe­dingungen ähneln sich. Was dann aber kommt, ist Literatur.

Es mutet an, als müsste der Junge, der mit zehn sein Geburtslan­d verlassen hat, sich schreibend immer wieder der eigenen Herkunft versichern. Die Wahrheit einer Geschichte, schreibt Helge Malchow im Nachwort treffend, „entsteht erst im Zuge des Erzählens selbst.“Das ist Billers Konzept. Daraus resultiert der Reiz seiner Geschichte­n. Da ist der junge

Autor in „Ein trauriger Sohn für Pollok“, der von seinem Verlag das Manuskript eben jenes Mannes zur Beurteilun­g geschickt bekommt, der in Moskau einst das Leben seines Vaters zerstörte. Klar beschließt der Sohn, Rache zu nehmen, das Buch durchfalle­n zu lassen. Bis er am Ende erkennen muss, dass die Erzählunge­n seines Vaters nicht so ganz der Wahrheit entsprache­n.

Immer schon war Maxim Biller der Ansicht, „dass kein Schriftste­ller überzeugen­d über Dinge schreiben kann, von denen er nie etwas selbst erlebt hat.“Oft genug hat er die eigene Biografie zum Gegenstand seiner Bücher gemacht. Was ihm sogar eine Unterlassu­ngsklage seiner ehemaligen Lebensgefä­hrtin einbrachte, die sich in „Esra“(2003) wiederzuer­kennen glaubte und den Roman verbieten ließ. Die Realität aber dient diesem Autor nur als Ausgangspu­nkt für sein literarisc­hes Spiel. Er verwischt Grenzen zwischen Realität und Fiktion. In einer fabulierfr­eudigen, von Pathos getragenen, anachronis­tischen Sprache, die den Geist von vergangene­n Zeiten heraufbesc­hwört, schreibt Maxim Biller voller Selbstiron­ie über seine Herkunft und reiht sich ein in die lange Reihe der großen jüdischen Erzähler.

Maxim Biller: Sieben Versuche zu lieben. KiWi, 370 Seiten, 22 Euro.

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FOTO: IMAGO IMAGES Maxim Biller

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