Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
„Es ist möglich, dass die Tests falsch-positiv waren“
Für akute Fälle sind solche Tests ungeeignet, da ein Infizierter frühestens nach einer Woche, zumeist aber etwa nach zwei Wochen Antikörper bilde. Bei zwei von neun Patienten im frühen Webasto-Fall, die zu den ersten Infizierten in Deutschland gehörten, hat man festgestellt, dass die Antikörperkonzentration bereits wieder abnimmt.
Und von anderen Coronaviren weiß man, dass sich Infizierte nach einigen Jahre erneut mit dem Virus infizieren können. Wieler sagt denn auch: „Wir wissen nicht, wie stark die Immunität ist“. Antikörper müssten nicht unbedingt etwas über die Immunität aussagen. Auch die Zahl der Tests, die zeigen, wer aktuell infiziert ist, soll gesteigert werden – das fordern RKI, Bundesinnenministerium oder Bundesärztekammer. Allerdings ist laut Wieler die erreichte Testkapazität von 100 000 pro Tag gar nicht ausgelastet.
Eine Begründung, die man etwa von Evangelos Kotsopoulos vom Verband der Akkreditierten Labore in der Medizin oder auch vom Virologen Christian Drosten von der Charité hört: Es mangelt an für die Tests nötigem Material. Es gibt weltweit nur sechs größere Lieferanten dafür, angesichts der Corona-Ausbreitung ist, ähnlich wie bei Schutzbekleidung, ein Kampf um die knappen Erzeugnisse entbrannt. Zudem gilt weiterhin: Es gibt noch immer
keine Medikamente und keinen Impfstoff,
auch wenn weltweit unter Hochdruck an beidem geforscht wird. Laut dem Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) sind binnen kurzer Frist global 77 Impfstoffprojekte angelaufen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO zählt derzeit 70. Wann daraus aber ein Erfolg wird, ist völlig unklar. Immer wieder mal heißt es, dass im Herbst oder zum Jahresende ein Impfstoff zur Verfügung stehen könnte. Die US-Biotech-Firma Moderna gilt als einer der Hoffnungsträger bei der Entwicklung eines Impfstoffs, denn sie hat bereits mit klinischen Tests begonnen. Aber auch Moderna erklärt, dass bei einem positiven Testverlauf das Mittel erst in zwölf bis 18 Monaten auf den Weltmarkt gebracht werden könnte.
Auch die passende Therapie gibt es noch nicht. Wer schwer erkrankt ist, für den stehen etwa nur fiebersenkende Mittel oder Sauerstoffgabe zur Verfügung. Ein Mittel gegen das Virus aber braucht Zeit. Denn mit dem Entwickeln ist es nicht getan. Es müssen Wirksamkeit, Verträglichkeit, technische Qualität nachgewiesen werden. Ist eine Arznei für eine andere Anwendung zugelassen, sind Verträglichkeit und Qualität bereits dokumentiert. Dann fehlt noch der Nachweis, dass das Mittel gegen das neue Coronavirus wirkt.
Vieles also rund um Sars-CoV-2 ist unklar. Oder wie es Lothar Wieler sagt: „Wir lernen täglich dazu.“Das macht es der Politik nicht leicht, die richtigen Entscheidungen zu treffen.
RAVENSBURG - Es gibt Berichte von Menschen, die sich zum zweiten Mal mit dem neuartigen Coronavirus angesteckt haben. Virologe Professor Thomas Mertens erklärt im Gespräch mit Daniel Hadrys, welche Ursache das haben könnte.
In Südkorea haben sich „genesene“Patienten scheinbar erneut mit Sars-CoV-2 angesteckt. Bisher nahm man an, Menschen seien nach einer Erkrankung immun. Was weiß man über diese Fälle?
Leider noch viel zu wenig. Es gibt ganz verschiedene Möglichkeiten einer Erklärung. Eine triviale Ursache wäre, dass die Tests bei einer der beiden virologischen Diagnosen falsch-positiv waren, das heißt, dass eine Diagnose nicht stimmt. Dies ist bei so umfangreicher Massentestung mit der für Kontamination äußerst empfindlichen PCR-Methode durchaus denkbar. Es ist auch denkbar, dass einzelne Personen, zum Beispiel Menschen mit Immundefekten, trotz Infektion keinen ausreichenden Immunschutz gebildet haben. Hier wäre es wichtig zu wissen, ob die Betroffenen nach der ersten Infektion Antikörper und/oder spezifische T-Lymphozyten gebildet hatten. Es ist weiter möglich, dass die Betroffenen noch vermehrungsfähiges Virus in sich trugen, und die Infektion erneut „aufgeflammt“ist. Hier wäre es entscheidend zu wissen, in welchem zeitlichen Abstand die Infektionen oder Erkrankungen stattfanden. Die genaue Unterscheidung zwischen erneuter Infektion und erneuter Erkrankung ist ganz wichtig, denn erneute „harmlose“, kurze Infektion, aber ohne Erkrankung, gibt es durchaus auch bei anderen Virusinfektionen. Eine erneute Infektion mit einem Virus, das so mutiert ist, dass sich die für den Immunschutz relevanten Virus-Antigene so stark verändert haben, dass zuvor gebildete Antikörper nicht mehr schützen, ist theoretisch nicht unmöglich, aber ich halte es persönlich derzeit für extrem unwahrscheinlich. Hierzu müsste man Viren aus erster und zweiter Infektion molekulargenetisch vergleichen. Bislang spricht weiter sehr viel dafür, dass eine durchgemachte Infektion Immunität hinterlässt, wie in dieser Kolumne schon gesagt. Wie lange diese Immunität anhält, lässt sich derzeit von niemandem beantworten. Aus immunologischen Untersuchungen, die bei Patienten einige Jahre nach Infektion mit Sars-CoV-1 durchgeführt wurden, schließt man, dass die Immunität ein bis zwei Jahre anhält.
Falls es keine Immunität geben würde: Was würde das für etwaige Maßnahmen bedeuten?
Derzeit gibt es keinen Grund zur Sorge vor einem solchen Szenario. Es würde sicher eine sehr ernste Situation bedeuten, da man sich weder auf Immunität des Einzelnen, noch auf Gemeinschaftsimmunität (Herdenschutz), noch unter Umständen auf einen Schutz durch Impfung verlassen könnte. Was das für „etwaige Maßnahmen“bedeuten würde, vermag im Augenblick wohl niemand zu sagen, aber man müsste dann ganz auf den Schutz von Risikogruppen und auf Therapie setzen.
Wie wahrscheinlich sind Mutationen bei Sars-CoV-2?
Mutationen treten immer auf und bei RNA-Viren mehr als bei DNA-Viren. Wie bereits früher an dieser Stelle gesagt, wird die Situation bei Coronaviren eher günstig eingeschätzt. Es geht ja auch nicht um Mutationen allgemein, sondern solche, die zu einer sehr grundlegenden Veränderung der Virusproteine (Antigene, s. o.) führen, was schon viel weniger wahrscheinlich ist.