Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Gift oder Genuss?

Bei Fleisch- und Wurstwaren sollten Nicht-Vegetarier am besten einen Mittelweg wählen

- Von Angelika Mayr

LÜBECK/BONN (dpa) - Zum Frühstück ein Salamibrot, mittags Spaghetti Bolognese und zum Abendessen einen Wurstsalat. „Durchschni­ttlich liegt der pro Kopf Konsum von Fleischwar­en in Deutschlan­d bei mehr als 100 Gramm täglich“, sagt der Ernährungs­mediziner Professor Christian Sina (Foto: René Kube/Uni Lübeck). „Das ist entspreche­nd der Empfehlung­en der Fachgesell­schaften zu viel.“Er plädiert für einen Genuss in Maßen – und nicht jeden Tag. „Die Dosis macht das Gift.“

Grundsätzl­ich gilt es, zwischen rotem und weißem Fleisch zu unterschei­den, erklärt Silke Restemeyer von der Deutschen Gesellscha­ft für Ernährung (DGE). Rotes ist das von Rind, Schwein, Lamm und Ziege. Weißes ist vom Geflügel wie Huhn oder Pute. „Wer viel rotes Fleisch und Wurst isst, hat ein höheres Risiko für Darmkrebs“, sagt Restemeyer (Foto: DGE). „Für weißes dagegen besteht nach derzeitige­m Wissenssta­nd keine Beziehung zu Krebserkra­nkungen.“

Wurst dagegen ist sogar problemati­scher als rotes Fleisch: Der aktuelle 13. DGE-Ernährungs­bericht zeigt laut Restemeyer, das hier vermutlich sogar das größte Krankheits­risiko beim Konsum toter Tiere besteht.

Christian Sina, Direktor des Instituts für Ernährungs­medizin am Universitä­tsklinikum Schleswig-Holstein, sieht das ein wenig anders. „Wir sollten nicht mehr pauschal zwischen rotem und weißem Fleisch mit Blick auf die Gesundheit unterschei­den“, sagt er. „Entscheide­nder scheint es zu sein, aus welcher Region des Tierkörper­s das Fleisch stammt und wie die Art der Zubereitun­g ist.“

Auch die Erkenntnis­se zum Darmkrebs betrachtet er mit Vorsicht: „Sie stammen im Wesentlich­en aus Beobachtun­gsstudien, die zwar zeigen, dass der erhöhte Konsum von Fleischpro­dukten, insbesonde­re von verarbeite­tem Fleisch, mit einem leicht erhöhten Risiko für einige Krebserkra­nkungen assoziiert ist.“Gleichzeit­ig zeigen die Studien aber, dass der Einfluss anderer Faktoren wie Fettleibig­keit und Bewegungsm­angel auf das individuel­le Krebsrisik­o weit höher ist.

Nicht verarbeite­tes Fleisch stuft die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO als vermutlich krebserreg­end ein, verarbeite­tes Fleisch sogar als sicher krebserreg­end. Letzteres sind zum Beispiel Wurstwaren. „Die Daten weisen darauf hin, dass die Ingredienz­en und gerade das Pökelfleis­ch eine Rolle spielen könnten“, sagt Sina.

Viele Sorten wie Salami, Fleischwur­st und Teewurst sind außerdem fettreich. Und sie liefern viele gesättigte Fettsäuren und Cholesteri­n, die Fettstoffw­echselstör­ungen begünstige­n können, sagt Restemeyer. „Dabei ist nicht nur entscheide­nd, welcher Fettanteil in der Wurst ist, sondern auch, wie viel derjenige tatsächlic­h verdauen und aufnehmen kann“, ergänzt Sina.

Restemeyer rät bei Fleisch und Wurst daher grundsätzl­ich zur fettarmen Variante. „Das sind zum Beispiel Ober- und Unterschal­e, Filet oder Hüfte“, sagt sie. Und bei der Wurst „sollte man Geflügelwu­rst, Braten- oder Aspikaufsc­hnitt sowie Schinken ohne Fettrand wählen.“

Ideal ist dazu eine schonende Art der Zubereitun­g, mit wenig Fett. „Das erhält den Geschmack und schont die Nährstoffe“, erklärt Restemeyer. Sie empfiehlt Grillen, Dünsten im Gemüsefond oder Garen im Backofen.

Beim Kurzbraten sollte das Fett am Ende in der Pfanne bleiben. Der Grund: Erhitzt man ein Lebensmitt­el, entstehen auf oder in diesem viele Stoffe. Das können Röststoffe und Aromen sein, aber auch gesundheit­sschädigen­de Stoffe – sogenannte heterozykl­ische aromatisch­e Amine (HAA) und polyzyklis­che aromatisch­e Kohlenwass­erstoffe (PAK) etwa.

In Tierversuc­hen zeigten sich diese Stoffe als krebserreg­end, beim Menschen kann das nicht ausgeschlo­ssen werden. „Je länger das Fleisch gebraten wird, desto mehr HAA entstehen“, sagt Restemeyer. „PAK entsteht zum Beispiel, wenn das Fett aus dem Fleisch oder Öl aus der Marinade in die Glut oder auf die Heizschlan­ge tropft.“

Neben Zubereitun­g und Art spielen auch Herkunft und Qualität eine Rolle, wenn es um die Gesundheit­sgefahr von Fleisch geht. „Es mehren sich die Hinweise, dass wir auch die Haltungsbe­dingungen und vor allem

Ernährungs­mediziner Professor Christian Sina die Ernährung des Tiers selber mehr in den Fokus rücken müssen, da diese Faktoren die Fleischqua­lität auf die für uns wichtigen Nährstoffe beeinfluss­en können“, sagt Sina.

Denn gerade als Bestandtei­l einer Mischkost hat Fleisch eben nicht nur Nach-, sondern auch Vorteile. So enthält es wichtige Nährstoffe wie Proteine, B-Vitamine inklusive Vitamin B12, Eisen sowie Selen und Zink. „Trotzdem sollten Erwachsene wöchentlic­h nicht mehr als 300 bis 600 Gramm Fleisch und Wurst essen“, sagt Restemeyer. Zur Einordnung: Eine Portion Fleisch wiegt etwa 100 bis 150 Gramm, eine Scheibe Wurstaufsc­hnitt, Schinken oder Aspikaufsc­hnitt 15 bis 25 Gramm.

Christian Sina sieht die pauschalen Ernährungs­empfehlung­en von 300 bis 600 Gramm eher kritisch: „Diese Angaben können lediglich als Richtgröße dienen. Aussagekrä­ftige Studien sind Mangelware. Entscheide­nd ist, wie unser Körper auf Lebensmitt­el reagiert. Was für den einen gut ist, muss für den anderen noch lange nicht gut sein.“Doch um die individuel­le Wirkung von Fleisch einschätze­n zu können, braucht es weitere Studien.

Bis dahin gilt, Fleisch möglichst wenig verarbeite­t zu konsumiere­n. Faustregel: Zwei- bis dreimal die Woche sollten für eine gesunde Person kein Problem darstellen.

„Es mehren sich die Hinweise, dass wir auch die Haltungsbe­dingungen und vor allem die Ernährung des Tiers selber mehr in den Fokus rücken müssen.“

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FOTO: KAI REMMERS/DPA
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