Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
„Abendmahl kommt nicht mit Lieferdienst“
Südwest-Innenminister Strobl über religiöse Feiern und schmerzhafte Einschränkungen
STUTTGART - Geschlossene Grenzen zu EU-Nachbarn, um ihre Existenz bangende Gastwirte oder Hoteliers: die Corona-Pandemie verändert den Alltag. Als baden-württembergischer Innenminister ist Thomas Strobl (CDU) dafür zuständig, die Einhaltung aller Verbote zu kontrollieren. Im Gespräch mit Katja Korf erklärt Strobl, warum diese erheblichen Eingriffe in die Freiheit aus seiner Sicht notwendig sind.
Ein Osterfest ohne Gottesdienste liegt hinter uns. Wie haben Sie das Fest unter diesen außergewöhnlichen Umständen begangen?
Mit meiner Frau war ich viele Jahre nachmittags an Karfreitag in einer kleinen Heilbronner Kirche. Dort haben wir zur Todesstunde Christi einen sehr berührenden Gottesdienst besucht. Der ist freilich in diesem Jahr ausgefallen, wie die anschließenden Ostergottesdienste der christlichen Kirchen auch – das ist in dieser Form einzigartig in der jahrtausendealten Geschichte des Christentums. Das ist schmerzhaft. Freilich kann man Gottesdienste übers Internet und Fernsehen verfolgen, aber Religion zu erleben, das hat etwas mit Gemeinschaft zu tun. Und das Abendmahl gibt es auch nicht per Lieferdienst. Deshalb war dieses Osterfest für mich wie für viele Menschen ganz anders als sonst. Doch das war alles notwendig und richtig, um das Coronavirus in den Griff zu bekommen.
Wie lange müssen Gläubige noch mit diesen tiefen Eingriffen in die Religionsfreiheit leben?
Ich hoffe und wünsche sehr, dass wir jedenfalls an Pfingsten wieder Gottesdienste feiern können. Die Lage in unseren Gemeinden ist ja sehr unterschiedlich. In meiner Heimatstadt Heilbronn zum Beispiel gibt es Kirchen, in denen am Sonntag im Grunde jeder Gottesdienstbesucher eine eigene Bank für sich haben kann. In anderen Kirchen der Stadt sind sonntags alle Sitzplätze eng besetzt. Ich bin sehr zuversichtlich, dass uns gute Lösungen einfallen – zum Beispiel mehr Gottesdienste als sonst, damit sich die Besucher besser verteilen. Dann kann man auch den Infektionsschutz und die notwendigen Abstände zu anderen Menschen einhalten.
In der kommenden Woche beginnt der Fastenmonat Ramadan. Können Sie den Muslimen Hoffnung auf Lockerungen machen?
Das Osterfest der Christen und das Pessachfest der jüdischen Gemeinden sind jetzt unter den wegen der Pandemie geltenden Bedingungen zu Ende gegangen. Am 23. April beginnt der Ramadan, der heilige Fastenmonat der Muslime, der traditionell mit vielen Festlichkeiten begangen wird. Doch nach geltender Rechtslage werden auch sie in diesem Jahr nicht in gewohnter Form stattfinden. Denn das gemeinsame Fasten und Feiern könnte dazu führen, dass mehr Menschen an Corona erkranken. Deswegen gilt derzeit für Muslime wie für alle anderen Glaubensgemeinschaften: Zusammenkünfte aller Art sind untersagt. Ich gehe davon aus, dass das beachtet wird und die Informationen dazu auch innerhalb der muslimischen Gemeinden entsprechend kommuniziert werden. Wir werden auf strenge Einhaltung achten.
Gläubigen die Religionsausübung in deren Gotteshäusern zu untersagen – wie geht es Ihnen damit?
Das bin ich als Innenminister und als gläubiger Christ in einem inneren Konflikt. Ich hatte zu Beginn der Pandemie mit Ministerpräsident Kretschmann besprochen, dass die Polizei die strengen Auflagen für Beerdigungen mit Augenmaß kontrollieren wird. Ich habe die Landespolizeipräsidentin darum gebeten, mit der nötigen pietätvollen Zurückhaltung vorzugehen. Freilich gab es dieser Tage eine Beerdigung eines Menschen muslimischen Glaubens, bei der sich eine dreistellige Zahl von Trauernden versammelt hat. Als ich die ersten Einsatzberichte der Polizei gelesen habe, habe ich schon gezuckt. Das ist eine sehr gefährliche Sache in diesen Tagen, deswegen ist die Polizei dort zu Recht eingeschritten. Das wünscht man sich nicht, aber so leid es mir tut: Das Leben anderer geht auch bei einer Beerdigung vor. Deshalb waren die Personenfeststellungen durch die Polizei richtig – und die Ahndung der Verstöße ist es auch.
Sie kontrollieren aber nicht nur muslimische Zusammenkünfte?
Nein, natürlich nicht. Über die Ostertage waren sehr viele Polizistinnen und Polizisten unterwegs, die regionalen Kräfte wurden um 500 Kolleginnen und Kollegen der Bereitschaftspolizei verstärkt. Wir haben immerhin 3000 Verstöße registriert – die auch verfolgt werden. Das zeigt, dass wir es generell ernst meinen mit der Einhaltung der Regeln.
Ehe- und Lebenspartner, aber auch Familien, die Angehörige in Österreich, Frankreich oder der Schweiz haben, können sich nicht besuchen. Wann lockert Deutschland die Beschränkungen für diese Menschen?
Die Grenzen kontrolliert die Bundespolizei – und wir arbeiten exzellent zusammen. Ich habe diese Woche in der Konferenz aller Innenminister von Bund und Ländern dringend darum gebeten, dass die Bundesregierung entsprechende Begegnungen unter Ehepartnern und Kindern zulässt. Dabei habe ich im Kreis der Innenministerkollegen Unterstützung erfahren. Ich habe Bundesinnenminister Horst Seehofer auch in einem Brief persönlich die Lage erläutert. Er hat mir zugesagt, das rasch zu prüfen. Ich bin schon der Meinung: Ehe- und Lebenspartner und erst recht eigene Kinder zu treffen, das ist schon ein triftiger Grund für eine Einreise nach Deutschland. Und die Schweizer Grenzwacht sieht das seit diesem Freitag übrigens auch so.
Die Freizügigkeit in der EU ist ein hohes Gut. Muss man diese wie jetzt beschlossen tatsächlich weiterhin so stark einschränken?
Ich habe mich sehr dafür eingesetzt, dass die Kontrollen an den Grenzen intensiviert werden. Für uns in Baden-Württemberg war das besonders wichtig, weil mit der französischen Region Grand Est ein Gebiet mit sehr hohen Corona-Infektionsraten direkt angrenzt. Es gab Hilfeschreie aus der kommunalen Ebene des Hochschwarzwaldes. Außerdem waren bei uns – im Gegensatz zu Frankreich – Bau- und Gartenmärkte geöffnet. Wenn nun zu viele aus Frankreich nach Baden-Württemberg zum Einkaufen gekommen wären, wäre die Lage hier leicht außer Kontrolle geraten. Wir haben ja dennoch Lieferketten aufrechterhalten, damit die Wirtschaft gestärkt und die Versorgung der Menschen gesichert. Der von mir erfundene Passierschein, der Berufspendlern unbürokratisch die Einreise erlaubte, hat sich bewährt. Man sieht, Kreativität hilft, auch in schwierigen Zeiten gute Lösungen zu finden: einerseits Schutz vor Infektionen, andererseits Erhalt des wirtschaftlichen Lebens. Es ist freilich auch klar: Je mehr sich die Verhältnisse in den Grenzgebieten angleichen, etwa was die Infektionsraten und das öffentliche Leben angeht, desto mehr kann man den Grenzschutz wieder lockern. Darüber bleiben wir mit unseren französischen und Schweizer Freunden im Gespräch.
Viel Unmut herrscht bei Gastronomen, Hoteliers und vielen Einzelhändlern. Sie fühlen sich ungerecht behandelt, weil die vorgesehenen Lockerungen der CoronaBeschränkungen für sie nicht gelten. Muss das sein?
Der Bund und die Länder haben sich darauf im Sinne des Infektionsschutzes geeinigt. Ich persönlich hätte mir durchaus andere Lösungen vorstellen können, bei denen nicht die Größe oder Art eines Betriebs entscheidend ist, sondern allein der Infektionsschutz. Diese Überlegung war auch die Grundlage dafür, dass wir in Baden-Württemberg Bau- und Gartenmärkte geöffnet gelassen haben. Ich habe direkt gesagt: Wir werden sehr scharf kontrollieren, ob die Hygieneund Abstandsregeln eingehalten werden. Die Berichte der Polizei zeigen: Die Betreiber haben die Vorgaben penibel umgesetzt. Deswegen kann ich mir in absehbarer Zeit schon vorstellen, unter strikten Auflagen zu Abstand und Hygiene die Gastronomie, insbesondere Gartenwirtschaften oder Biergärten, aber auch den Einzelhandel komplett wieder zu öffnen.
Warum ist das nicht jetzt schon so gekommen?
Wenn sich 16 Ministerpräsidenten und der Bund auf etwas einigen, dann wird nicht alles so sein, wie ich es mir wünsche. Das lehrt mich meine jahrzehntelange politische Erfahrung. Und ich halte den Kompromiss im Großen und Ganzen für sehr ausgewogen. Ich bin nicht über jedes Detail glücklich - einen Punkt haben Sie angesprochen -, doch es ist insgesamt eine sehr respektable Lösung, die jetzt erarbeitet worden ist.
Sie wollen Gemeinde- und Kreisräten wegen der Corona-Pandemie erlauben, per Videokonferenz zu tagen. Wäre die Videoschalte ein Modell für Nicht-Corona-Zeiten?
Freilich, und dieser Wunsch wird jetzt häufig von den Verantwortlichen
in Städten und Gemeinden geäußert. Für eine Lösung, die auch nach der Corona-Pandemie noch gelten soll, müssen wir die Gemeindeordnung ändern. Da habe ich bereits sehr konkrete Vorstellungen, die ich in der kommenden Woche mit den Regierungsfraktionen besprechen werde. Ich bin zuversichtlich und es mangelt mir nicht an Ideen, dass wir die notwendigen Gesetzesänderungen rasch auf den Weg bringen.
Die CDU verzeichnet im Bund so viel Zustimmung bei den Wählern wie schon lange nicht mehr. Aber im Bund stellt die Union die Kanzlerin als oberste Corona-Krisenmanagerin, in Baden-Württemberg hat diese Rolle ein grüner Ministerpräsident inne. Kann die CDU im Südwesten vom positiven Trend profitieren?
Wir haben uns als CDU im Bund und in Baden-Württemberg alle Mühe gegeben, unser Land gut durch diese schwere Krise zu steuern. Mein Eindruck ist, dass uns das durchaus gelungen ist – und übrigens auch anerkannt wird. Wenn ich im privaten Umfeld Menschen frage, wo sie gerade leben wollen – in London, Paris, New York oder Ravensburg, dann fällt die Antwort derzeit sehr eindeutig für Baden-Württemberg und Deutschland aus. Die CDU kann dieses Land auch in schwierigen Zeiten gut regieren. Wir haben in unserem Land eine gut funktionierende Verwaltung, ein sensationelles Ehrenamt. Ich bin auch zuversichtlich, was die Wirtschaft angeht. Zum einen haben Bund, Länder und Gemeinden in den vergangenen Jahren sehr solide gewirtschaftet, zum anderen haben wir sehr starke Unternehmen, tüchtige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Ja, wir werden eine globale Rezession bekommen und diese wird Baden-Württemberg heftig erwischen. Doch wir haben auch alle Chancen, da sehr kraftvoll wieder herauszukommen. Das haben wir in der letzten Krise, die uns auch besonders getroffen hatte, auch geschafft!
Bayerns Regierungschef Markus Söder ist laut Umfragen einer der drei beliebtesten Politiker in Deutschland. Klingt, als wäre er der natürliche Kanzlerkandidat der Union für 2021.
Ich gönne dem Markus seine tollen Umfragewerte von Herzen und freue mich mit ihm. Aber ganz offen: Derzeit habe ich andere Themen als die Kanzlerkandidatur, nämlich: Wie führen wir dieses Land gut durch die Krise. Dafür arbeite ich von frühmorgens bis spätabends. Jedes einzelne Menschenleben ist wertvoller als ein Umfragewert.