Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Masken statt Kostüme
Schneidereien der Theater steigen in die Produktion von Schutzausrüstungen ein
ULM/MÜNCHEN/KONSTANZ - Not macht erfinderisch. Angesichts des Mangels an Mund-Nasen-Masken haben nicht nur Textilhersteller wie Mey und Trigema angefangen, Stoffmasken zu nähen. Auch viele Werkstätten der Stadttheater stellen Masken her. Genäht wird vor allem für kommunale Unternehmen, aber auch für Kliniken und Vereine.
Mund-Nasen-Masken statt „Rigoletto“. Am Ulmer Theater geht nichts mehr. Wie überall in der Republik liegen die Anproben und Aufführungen auf Eis. Doch hinter den Kulissen wird eifrig zugeschnitten und genäht. Die Kostümabteilung arbeitet gerade einen Auftrag über 4000 sogenannte Mund-Nasen-Masken ab. Zwölf Schneiderinnen und sieben Ankleiderinnen sind damit derzeit beschäftigt.
„Vor etwa vier Wochen bekamen wir eine Anfrage der Stadt, dass dringend Mundschutz-Masken benötigt werden“, sagt Ruth Hauser, die Leiterin der Kostümabteilung. „Wir haben dann schnell einen einfachen Schnitt recherchiert und einen dichten Baumwollstoff bestellt, den man gut kochen kann.“Der Stoff wird beim Nähen in Falten gelegt und passt sich so praktisch jeder Gesichtsform an. „Wenn man die Maske wäscht, ist sie morgens wieder fertig. Wir brauchten schnell eine einfache Lösung“, erzählt Hauser.
Um den Abstand einzuhalten, arbeiten einige Frauen von zu Hause aus. 20 bis 30 Masken könne eine Schneiderin täglich produzieren. „Das ist richtig viel“, sagt Ruth Hauser. Die Akkordarbeit ist ungewohnt. „Normalerweise ist jeder Tag bei uns anders.“Die Vielfalt fehle den Kolleginnen ein bisschen. „Aber die Frauen freuen sich, dass sie etwas Gutes tun“, sagt die Leiterin der Kostümabteilung.
Geld erhält die Schneiderei für die Masken nicht. Die Frauen sind bei der Stadt Ulm beschäftigt und fertigen die Masken während ihrer Arbeitszeit an. Wie lange die Kostümabteilung am Ulmer Theater Mund-Nasen-Masken nähen wird, ist noch unklar. Irgendwann müsse sich die Abteilung jedoch auch wieder auf die neue Spielzeit vorbereiten. Mit welchen Stücken das Theater Ulm dann startet, ist noch nicht entschieden. Die Kostüme für das Ballett „Ein Sommernachtstraum“und „Rigoletto“sind jedoch schon bereit für die Anprobe.
Auch bei den Münchner Kammerspielen dreht sich derzeit alles um den Mund-Nasen-Schutz. „Wir haben große Aufträge bekommen“, sagt die Leiterin der Kostümabteilung, Beatrix Türk. Ihre 20 Schneiderinnen und Schneider nähen gerade 2000 Stück für den Katastrophenschutz der Berufsfeuerwehr. Die Münchner Abfallwirtschaft hat ebenfalls 2000 Masken bestellt. An das kommunale kbo-Isar-Amper-Klinikum würden auch schon mehr als 1000 Mund-Nasen-Masken geliefert. Dort werden sie zum Beispiel an die Mitarbeiter der Essensausgabe verteilt. Denn für den medizinischen Gebrauch sind die Masken nicht bestimmt. Sie bieten keinen vollständigen Schutz vor einer Ansteckung, aber sie schützen andere davor, falls man selbst ohne Symptome bereits infiziert ist.
Die Initiative, auch bei den Kammerspielen Masken zu nähen, kam von der Leiterin der Kostümabteilung selbst. „Unsere Vorgesetzten und die Intendanz waren gleich begeistert“, sagt Türk. „Für die Schnitte haben wir uns dann mit Theatern im Netz ausgetauscht, damit nicht alle bei null anfangen.“ Geld verdienen die Kammerspiele mit den Masken nicht. „Wir bekommen aber die Materialkosten ersetzt“, sagt Beatrix Türk. Rund 200 Masken fertigt ihre Werkstatt täglich an. Neue Aufträge kommen laufend rein. „Wir wissen aber nicht, wann der Probenbetrieb wieder losgeht. Daher können wir immer nur von Woche zu Woche planen.“Ob die für Ende April geplanten Premieren nachgeholt werden, ist noch unklar. Die Samtkostüme für die Tanzperformance Mal sind zwar in Arbeit, aber die Regisseurin sitzt derzeit noch zu Hause in Portugal fest.
Am Theater Freiburg waren die Schneiderinnen und Schneider gerade mit den Kostümen für den „Der Freischütz“und „Madame Butterfly“beschäftigt, als das Kontaktverbot kam. Jetzt produzieren rund ein Dutzend Schneider in der Werkstatt und 14 Mitarbeiter von zu Hause aus Mund-Nasen-Masken. Auch Mitarbeiter aus den anderen Bereichen und dem Chor packen mit an. „Der Bedarf ist sehr groß, sodass wir so viel wie möglich produzieren werden“, sagt Sprecher Tim Lukas. Knapp 3000 Behelfsmasken wurden bereits für die Stadt Freiburg geschneidert, 2500 gingen an die Uniklinik dort. Noch sei unklar, wann die Werkstätten wieder normal weiterarbeiten und Bühnenbilder oder Kostüme produzieren können.
Im Konstanzer Stadttheater sind neun Näherinnen mit der Maskenproduktion beschäftigt. Auch die Ausstattungsassistentinnen und Garderobieren nähen mit. Mehr als 1500 Masken wurden bereits produziert. Auftraggeber ist die Stadt Konstanz, die den Bedarf koordiniert. Beliefert werden nicht nur Alten- und Pflegeheime, Feuerwehr, technische Betriebe oder eine Flüchtlingsunterkunft, sondern auch ehrenamtliche Mitarbeiter des Hospizvereins. Für die Näherinnen sei die Arbeit im Akkord ungewohnt und herausfordernd, sagt Ursula Oexl-Menzel, die Leiterin der Kostümwerkstatt. „Wir sind ja eigentlich Maßschneider.“
Eine Besonderheit der MaskenKollektion des Konstanzer Stadttheaters sind die Farben und Muster. „Wir haben bunte Reststoffe verwendet. Keine Stoffe, die aussehen wie im Krankenhaus. Das kommt sehr gut an“, sagt Abteilungsleiterin Oexl-Menzel. Neben den Reststoffen aus dem Theaterbestand hätten die Mitarbeiterinnen noch von zu Hause Stoffe mitgebracht. Die Masken werden unentgeltlich abgegeben. Einrichtungen, die nicht zur Stadt Konstanz gehören, würden freiwillig spenden. „Da hat noch niemand diskutiert“, berichtet Oexl-Menzel. Ein Problem dürfte allerdings der Nachschub an Gummibändern sein. Für zehn Masken braucht man zehn Meter Gummiband, sagt Oexl-Menzel. Da mittlerweile praktisch auf der ganzen Welt Masken genäht werden, ist das derzeit richtig schwierig zu bekommen.