Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Schwere Zeiten für Easy Rider
Für Motorradfahrer hat die Saison begonnen: Unfallrisiken und Covid-19 dämpfen die Fahrfreude
RIEDLINGEN - Wenn Heulen und sattes Knattern von den kurvenreichen Straßen am Rande der Schwäbischen Alb erklingen, wissen die Anwohner: Die Motorradsaison im April hat begonnen. Freudlos startete das Frühjahr für motorisierte Zweiradfahrer im Umkreis von Riedlingen: Die Kontaktsperre in Folge der Covid-19Pandemie erlaubt zum einen Motorradfahrern keine Zusammenkünfte mehr am Rande von Strecken oder Ausflugslokalen. Zum anderen verunglückte kurz vor Ostern ein Motorradfahrer bei Pflummern. Die Unfallrisiken für Biker sind vor allem nach dem Winter hoch. „Am Anfang der Saison haben sich Auto- und Motorradfahrer noch nicht aneinander gewöhnt“, sagt Josef Aubele, Vorsitzender des Motorradclubs Langenenslingen. Alle Verkehrsteilnehmer müssten rücksichtsvoll fahren, um Unfälle zu vermeiden. „Krankenhäuser haben in diesen Zeiten Besseres zu tun, als Motorradfahrer zusammenzuflicken.“
Die Polizei hat für das laufende Jahr noch keine offiziellen Zahlen für Unfälle vorliegen, in die Motorradfahrer involviert waren. Doch sie kontrollierte bereits am vergangenen Wochenende in der Albregion massiv, um Raser zu stoppen und Verstöße gegen das Verkehrsrecht zu ahnden. Genannt sei der Vorfall eines 53-jährigen Motorradfahrers, der am vergangenen Wochenende mit 180 Stundenkilometern die Zwiefalter Steige hochraste, wo lediglich 100 Kilometer pro Stunde erlaubt waren. Die Polizei stoppte ihn. Konsequente Überwachung und Kontrollen der Gesetzeshüter aus dem Polizeipräsidium Reutlingen finden daher nicht nur an Wochenenden und bei schönem Wetter statt.
„Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass schon alleine die Präsenz der Polizei bei den Kontrollen eine deutlich defensivere Fahrweise bewirkt“, sagt ein Polizeisprecher. Im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Reutlingen habe man 2019 insgesamt 521 Motorradunfälle gezählt. 314 Fahrer wurden leicht verletzt, 134 schwer, fünf starben. Daher will die Polizei noch mehr über Unfallrisiken aufklären. Das geschieht nicht nur bei Verkehrskontrollen, sondern auch mit der Verkehrswacht oder dem ADAC auf Bikertagen, wie zum Beispiel beim Nattheimer Motorradfrühling oder bei der Motorradwallfahrt Deggingen. „Leider musste der Aktionstag auf dem Lochen zu Saisonbeginn auf der Corona-Pandemie abgesagt werden“, sagt der Sprecher in Reutlingen. Auf dem Programm steht noch der geplante Bikertag am 21. Juni in Hülben. Ob er tatsächlich stattfinden wird, ist derzeit noch unklar.
In jedem Fall werfen Polizisten bei Verkehrskontrollen einen Blick auf den Zustand der Motorräder. Die Polizei, die zuständig ist für Ulm und die Landkreise Biberach, Alb-Donau, Göppingen und Heidenheim, berichtet davon, dass Motorradfahrer Rückspiegel ummontieren sowie Schutzkappen und Schalldämpfer abmontieren.
Entspanntes, sicheres Fahren auf einem Chopper – das liebt auch Thomas Ströbele. Er ist vormaliger Präsident des Eagles Motorradclubs Riedlingen. Er und die rund 20 Mitglieder
des Clubs sind mit ihren Harley-Davidsons „eher auf der softeren Schiene unterwegs“. Touren in einem Tempo rund um die 100 Sachen sind üblich. „Wir sind ältere und erfahrene Fahrer. Aber das schützt uns nicht vor kritischen Situationen“, sagt Ströbele. Nach dem Winter seien die Muskeln nicht trainiert, das permanente Greifen des Lenkers sei anstrengend. Wer die volle Kontrolle über sein Gerät haben will, müsse sich im Frühjahr erst einmal fitfahren. „Wir haben unseren Mitgliedern in den vergangenen Jahren Fahrsicherheitstraining des ADAC in Ehingen angeboten.“
Eines der großen Risiken für Unfälle vor allem im April seien Autofahrer. Grund sei, dass Autofahrer den motorisierten Zweiradfahrern mit wenig Rücksicht auf der Straße begegneten. Das sei aber wichtig: „Ich habe schon erlebt, wie Autofahrer gedankenlos eine Zigarette aus dem Fenster warfen, die dann im Gesicht
eines Motorradfahrers landete.“
Josef Aubele vom Motorradclub Langenenslingen sagt, für die Fahrer seines Clubs gelten strenge Regeln, damit alle gemeinsam sicherer durch die Landschaft rollen. „Generell fahren wir versetzt, um Auffahrunfälle zu vermeiden – umsichtig, mit großem Abstand und bremsbereit.“Einige Langenenslinger Biker hätten an Ostern eine Ausfahrt in Richtung Bodensee mit Pausen unternommen und auch die Pandemie-bedingten Regeln eingehalten. Bei Pausen hielten die Teilnehmer großen Abstand voneinander. Aubele: „Wir haben beobachtet, wie die Polizei mit Zeppelin und Drohnen überprüft, ob die Kontaktsperre in der Region eingehalten wird.“
Bis Ende 2019 fuhren die Riedlinger und Langenenslinger Clubmitglieder oftmals in kleinen Gruppen zu Partys, befreundeten Vereinen oder Ausflugslokalen in ganz
Deutschland und den Nachbarländern. Doch Corona hat die sozialen, vergnüglichen Aspekte des Motorradfahrens beendet. Die Clubhäuser und die Gastronomiebetriebe sind geschlossen, Treffen und Großveranstaltungen abgesagt. Gleichgesinnte kann man nicht von Angesicht zu Angesicht sprechen. „Die Saison 2020 ist für mich abgehakt.“So sieht es auch der Motorradhändler „House of Flames“in Erbach-Ringingen. „Bei uns ist wenig los, die Nachfrage wird geringer, viele Leute fahren weniger Motorrad. Wie in vielen anderen Unternehmen ist auch bei uns Kurzarbeit angesagt“, berichtet Verkaufsleiter Frank Weber.
Thomas Ströbele erzählt, er habe im Winter einige neue Teile an seinem Motorrad verbaut und habe diese bei einer einsamen Ausfahrt getestet. „Du kannst 'ne Runde mit dem Motorrad drehen, aber es ist in Corona-Zeiten nicht mehr so spannend, wie’s mal war.“