Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Brasilien taumelt durch die Corona-Krise
In Teilen Lateinamerikas steigen die Infektionskurven dramatisch an
HONGKONG (AFP) - Hongkonger Forscher haben an Hamstern nachgewiesen, dass sich durch OP-Masken die kontaktlose Übertragung des Coronavirus deutlich verringern lässt. Die Übertragungsrate wurde durch den Einsatz der Masken um mehr als 60 Prozent reduziert, wie aus einer Studie der Universität Hongkong hervorgeht. Ohne chirurgische Maske infizierten sich zwei Drittel der Hamster binnen einer Woche. Bei den Tieren, die sich trotz Maske infizierten, war der Virenbefall zudem weniger stark als bei Infektionen ohne Maske. Für die Studie wurden mit dem Coronavirus infizierte Hamster neben einen Käfig mit gesunden Tieren gesetzt. Zwischen die beiden Käfige wurden OPMasken platziert.
SÃO PAULO/MEXIKO-STADT - Während die Corona-Infektionen in den meisten Ländern Europas sinken, steigen sie in Teilen Lateinamerikas dramatisch an: Der brasilianische Bundesstaat São Paulo und Mexiko verzeichnen inzwischen jeweils mehr Todesfälle als China. Mehr als 5000 Menschen sind nach offiziellen Zahlen in Mexiko in Zusammenhang mit dem neuartigen Coronavirus gestorben. In São Paulo, dem mit mehr als 40 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten Bundesstaat Brasiliens, starben bislang 4688 Menschen im Zusammenhang mit dem Virus. Insgesamt verzeichnete Brasilien demnach bis Samstag 15 633 Corona-Tote.
Erschwerend kommt hinzu, dass Brasilien führungslos durch diese harten Zeiten taumelt und sich so zum neuen Corona-Hotspot auf dem amerikanischen Kontinent entwickelt: Zwei Gesundheitsminister in einem Monat gegangen, explodierende Zahlen bei den Corona-Infektionen und ein irrlichternder Präsident, der noch vor Erreichen des Höhepunktes der Pandemie in seinem Land die Wirtschaft nach und nach wieder öffnen will. Die Infektionskurve im größten Land Lateinamerikas steigt weiter steil an. Längst hat Brasilien Deutschland und Italien bei den Ansteckungen überholt. Derweil regiert Präsident Jair Bolsonaro immer autoritärer, während die Bevölkerung vom rechtsextremen Staatsoberhaupt zunehmend die Nase voll hat.
Am Freitag ging mit Nelson Teich der zweite Gesundheitsminister in kurzer Zeit, still, kommentarlos und schwer frustriert, nachdem Bolsonaro selbstherrlich verkündet hatte, Schönheitssalons, Friseure und Fitnessstudios seien „systemrelevant“und die Wiedereröffnung per Dekret verfügte. Zudem hatte er durchzusetzen versucht, dass das Malaria-Mittel Chloroquin trotz nicht nachgewiesener Wirksamkeit zur Bekämpfung der Lungenkrankheit eingesetzt wird. Der Onkologe Teich wurde am 17. April als Gesundheitsminister installiert, nachdem Bolsonaro dessen Vorgänger Luiz Henrique Mandetta entlassen hatte. Auch Mandetta hatte Differenzen mit Bolsonaro über Abstandsregeln, Ausgangssperren und die Anwendung von Chloroquin.
Vorerst übernimmt die Nummer Zwei im Ministerium, General Eduardo Pazuello, die Leitung des Ressorts, bis ein Nachfolger gefunden ist. Damit zeichnet sich ein Stück weiter die „Militarisierung“der brasilianischen Regierung ab. Der ehemalige Fallschirmjäger Bolsonaro fühlt sich unter Militärs wohler als unter Politikern, und er verherrlicht die Diktatur im Land noch immer nostalgisch.
Die Nachricht vom Rücktritt Teichs schürt bei vielen Brasilianern weiter die Wut auf den reaktionären Staatschef, der die Pandemie in seinem Land trotz gegenteiliger Zahlen nach wie vor klein redet und vehement für eine Wiedereröffnung weiterer Wirtschaftssektoren und der Schulen wirbt. In den besonders betroffenen Metropolen São Paulo und Rio de Janeiro machten die Menschen ihrem Ärger mit „Panelaços“Luft, dem Schlagen auf Töpfen und Pfannen. Und wieder ertönten die „Bolsonaro raus“-Rufe.
Die Corona-Pandemie bedroht zunehmend auch Brasiliens Ureinwohner. Von der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus in dem südamerikanischen Land seien bereits 38 indigene Völker betroffen, meldete die Vereinigung der Ureinwohner Apib. Das Virus erreiche mit „beängstigender Geschwindigkeit“alle Gebiete der Ureinwohner, warnte Apib.
Auch den Nachbarländern Brasiliens bereitet der nachlässige Umgang mit der Corona-Pandemie zunehmend Sorgen. Paraguays Präsident Mario Abdo Benítez bezeichnete Brasilien vergangene Woche als „eine große Bedrohung“für sein Land. Die beiden Staaten eint eine 7000 Kilometer lange Grenze, die seit Mitte März geschlossen ist. Und vorerst auch dicht bleibt: „So wie Brasilien die Krise managt, komme ich nicht im Traum auf die Idee, die Grenze zu öffnen“, unterstrich Abdo. Argentiniens Präsident Alberto Fernández, der seit Ausbruch der Pandemie seinem Land eine rigorose Quarantäne verordnet hat, äußert ebenfalls Unverständnis über die Nachbarn: „Nach Argentinien kommen jeden Tag LKW aus São Paulo, einem der am stärksten betroffenen Bundesstaaten. Wie kann die Regierung Bolsonaro nur so eine verantwortungslose Politik machen“.
Das fragen sich auch angesehene brasilianische und britische Gesundheitsexperten. Ihre Rechenmodelle legen nahe, dass die Infektionszahlen in Brasilien vergleichbar mit denen der USA sind. Die Mediziner fürchten, dass die Totenzahlen im größten Land Lateinamerikas bis Anfang Juni sogar auf bis zu 64 000 steigen könnten.
Peru ist mit mehr als 88 500 Infektionsfällen das am zweitstärksten betroffene Land in der Region, gefolgt von Mexiko mit mehr als 47 100 Fällen. Während in Peru bislang aber nur gut 2500 Infizierte starben, liegt Mexiko bei der Zahl der Todesfälle mit mehr als 5000 Toten auf Platz zwei hinter Brasilien. Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador ist dafür kritisiert worden, die Pandemie nicht ernst genug zu nehmen. Er bereiste im März noch das Land in Linienflugzeugen und badete in Menschenmengen, als fast alle anderen Länder in der Region bereits Anti-Corona-Maßnahmen ergriffen hatten.
Zuletzt kündigte er erste Lockerungen der Einschränkungen in den am wenigsten betroffenen Gegenden des Landes für kommenden Montag an, obwohl Mexiko nach Einschätzung seiner eigenen Regierung derzeit die schlimmste Phase der Ausbreitung der Lungenkrankheit Covid-19 durchmacht und das Gesundheitssystem beginnt, an seine Grenzen zu stoßen. Doch López Obrador verkündet: „Mexiko hat das Coronavirus gebändigt.“